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Mit sechs und acht Jahren saßen meine Schwester und ich eines Abends vor dem Fernseher, auf der Suche nach einem Film, den wir uns ansehen konnten. Ziellos schalteten wir durch die unzähligen Kanäle und stießen dabei auf den uns bis dahin unbekannten Sender Comedy Central, der um die Zeit noch eine Zeichentrickserie ausstrahlte. Überrascht davon – denn unsere üblichen Sender Disney Channel und SuperRTL zeigten um die Zeit keine Cartoons mehr – beschlossen wir, die Folge, die schon seit einer Weile lief, zu Ende zu schauen. Die bunt gekleideten Figuren, Kinder in unserem Alter, waren schlicht gehalten und lustig animiert. Es sah aus, als würden sie durch die mit farbenfrohen Häusern gesäumte Schneelandschaft watscheln. Der Titel des Cartoons war „South Park“. Lange Rede, kurzer Sinn: neben einigen expliziten sexuellen Begriffen, die wir an jenem Abend hörten, sahen wir mit an, wie einer der Charaktere an einer klaffenden Wunde in seiner Brust starb. Das dabei gezeigte Blut, die Rippen und Organe waren zwar zweidimensional, einfarbig und sehr schlicht animiert, doch sie reichten aus um uns so zu erschrecken, dass wir in dieser Nacht nicht schlafen konnten.
Ein paar Jahre später, ähnliches Szenario: wieder sitzen meine Schwester und ich, mittlerweile ungefähr dreizehn und fünfzehn Jahre alt, am Abend vor dem Fernseher. Diesmal allerdings mit dem Ziel, uns den Horrorfilm „The Ring“ anzusehen. Wir warten gespannt auf die gruseligen Momente und Jumpscares, nehmen das grauenvolle Schicksal des Mädchens Samara recht gelassen hin, genießen die unheimliche Atmosphäre in den letzten Szenen und sprechen anschließen darüber, dass uns der Film nicht gruselig genug war. Das Ende bezeichneten wir sogar als vorhersehbar.
Neben dem Zeitsprung von immerhin sieben Jahren gibt es zwischen diesen Szenarien einen wesentlichen Unterschied: der brutale Tod der Figur in „South Park“ kam unerwartet und verstörte uns, „The Ring“ hingegen schalteten wir ein, um uns zu erschrecken.
Das Nachdenken über die verschiedenen Arten, wie Grusel und Gewalt uns in den Medien präsentiert werden, hat mich zu einigen Fragen geführt: werden wir durch Gewalt in den Medien abgestumpft? Weshalb werden Millionen von Menschen von Filmen, die Totschlag und Blutbäder versprechen, in die Kinosäle gelockt? Und sind „Horror“, „Splatter“ und „Gore“ als Begriffe ausreichend, um vor dem zu warnen, was uns auf dem Bildschirm erwartet?
Cartoons für die ganze Familie
Zuerst möchte ich klarstellen, dass egal, ob in Videospielen, Filmen oder Serien Gewalt nicht gleich Gewalt ist. Es muss sich dabei nämlich nicht immer um Schießereien oder Morde handeln und die Darstellung von Schmerzen und wiederholter (Selbst)Verletzung beginnt schon früh. Vor allem als Serien wie „Ren und Stimpy“ oder „Courage der feige Hund“ noch im Kinderprogramm liefen, war das Toben und Wüten für Kinder eigentlich ungeeigneter Szenen an der Tagesordnung. Viele junge Erwachsene, die in den Neunzigerjahren regelmäßig Nickelodeon einschalteten berichten in Onlineforen oder YouTube-Videoessays, wie Szenen, in denen der Zeichentrickchihuahua Ren sich Nervenenden aus dem Zahnlosen Mund zieht oder mit dem Grinsen und Kichern eines Horrorfilmmörders im Detail beschreibt, wie er seinen Mitbewohner und dessen Cousin verstümmeln möchte, ihnen als Kinder den Schlaf raubten.
„Courage der feige Hund“ kam zwar ohne neurotische Chihuahuas aus, erschreckte sein Publikum allerdings mit düsterer Atmosphäre und alptraumhaften Kreaturen. Immerhin lief die Serie nur von 1999 bis 2002 und „Ren und Stimpy“ wurde 1998, sieben Jahre nach der englischen und zwei Jahre nach der deutschen Erstausstrahlung, ins Nachtprogramm verschoben. Doch auch Heute setzten einige Kinderserien auf den Schockfaktor um zu unterhalten und für Aufmerksamkeit zu Sorgen. Das beste Beispiel dafür sind meiner Meinung nach „Spongebob Schwammkopf“ und „Cosmo und Wanda – Wenn Elfen helfen“. Beides sind beliebte und bekannte Zeichentrickserien, die von Nickelodeon produziert werden oder wurden. Sie kamen anfangs mit einzigartigen Charakteren, running Gags, absurden Abenteuern und lustigen Sprüchen aus, blendeten aber mit der Zeit immer mehr seltsam realistische Nahaufnahmen von entstellten oder ungepflegten Körperteilen ein oder bauten Scherze darauf auf, dass eine Figur wiederholt verletzt wird oder auf andere weise leidet (Ersticken, Schlafentzug, Mobbing…, wobei letzteres schon immer Teil des Lebens von Timmy Turner, dem Protagonisten von „Cosmo und Wanda“ war). Mir fällt da eine Szene ein, in der Thaddeus Tentakel, einer Figur aus „Spongebob“ beim umstellen seiner Möbel ein Sofa auf den Zeh fällt und dort unter gequältem Geschrei von Thaddeus so lange vor und zurück geschoben wird, bis sein Zehennagel (Tintenfische haben so was anscheinend) nur noch lose am Zeh hängt. Ein Close-up davon durfte natürlich nicht fehlen. Diesen „Person-fällt-von-einer-Klippe-oder-bekommt-ein-Klavierauf-den-Kopf-Humor“ gibt es zwar schon seit „Tom und Jerry“ und den „Looney Tunes“, doch dort torkelten die Charaktere danach bloß zu lustiger Klaviermusik herum, statt vor Schmerz zu schreien oder so auszusehen, als hätte sich ein verrückter Horrorfilm-Maskenbildner an ihnen ausgetobt. Naja, zumindest bluten sie dabei nicht aus einer tödlichen Wunde im Kopf. Das kommt erst, wenn man aus der, im vergleich relativ heilen, Nickelodeonwelt in die von politischen und zweideutigen Witzen geprägte Welt der Erwachsenencartoons geworfen wird. Denn nein, Zeichentrickserien sind nicht nur für Kinder. Jedenfalls nicht die, die regelmäßig Sex, Waffen, Rassismus und das politische Geschehen thematisieren. Auf MTV und Comedy Central gibt es mehr als genug weltberühmte Paradebeispiele. „American Dad“, „Family Guy“ später am Abend dann „Drawn Together“. Die eigentlich ernsten Themen, die auf Scherze heruntergebrochen werden, bleiben hierbei dieselben: Mobbing, Verletzungen, Prügeleien, aber auch Drogen oder der Tod. Wer kennt denn nicht Kyle Brovlowskis und Stan Marshs Running Gag? „Oh mein Gott, sie haben Kenny getötet!“ „Ihr Schweine!“ Klassiker.
Beiläufiger Mord und Schockmomente am Computer
Bei den bunten, zweidimensionalen Verstümmelungen in Zeichentrickserien hört es aber noch lange nicht auf. Werfen wir doch zum Beispiel mal einen Blick auf die berühmt-berüchtigten, unsere Kinder zu Attentätern machenden Videospiele. Der Fernsehsender SRF berichtet, dass die Hirnregionen Jugendlicher, die öfters Gewalt darstellende Spiele wie etwa „Grand Theft Auto“ spielen, weniger stark reagieren, wenn sie mit gewalttätigen Szenarien konfrontiert werden.
Das wundert mich, um ehrlich zu sein, überhaupt nicht. Ich denke sogar, es ist ähnlich, wie beim Lernen einer Sprache. Wenn ich mir in der Freizeit häufig Videos auf Französisch ansehe, gewöhne ich mich an den Klang und die Aussprache und komme mit den Hörübungen im Unterricht besser zurecht. Und wenn ich stundenlang Spiele am Computer spiele, in denen ich mit recht Realistischen Effekten, bei denen Blut spritzt und Gehirnstückchen fliegen, Zombies, Aliens, Verbrecher, Soldaten, Wikinger oder was auch immer erschlagen und erschießen kann, gewöhnt sich mein Gehirn an die erstickten Schreie, das Schmerzerfüllte Stöhnen und die gurgelnden Todesgeräusche und ich kann die daraus entstehenden Reize leichter verarbeiten.
Weder bei der Aufzählung der möglichen Opfer noch bei der Beschreibung der Audiovisuellen Effekte wurde hier übertrieben.
In vielen Videospielen sind Krieg, Kämpfe und Mordaufträge zentrale Themen, die zwar nicht glorifiziert, aber auch nicht als negativ dargestellt werden. In der Liste der Aufträge, die der Spieler in „Assasins Creed – Valhalla“ zu erfüllen hat, steht dann beispielsweise einfach „Plündere Erningstein“. Ich rezitiere nun von space4games.com, wie diese Quest erfüllt werden soll: „Stürmt Erningstein und werft Fackeln auf die Häuser. Ein Yeomann (Freibauer) stellt sich Eivor (der Protagonist des Spiels) in den weg. Tötet ihn und haltet die Soldaten davon ab, die Glocke zu läuten. Brennen alle Dächer, sprecht mit Galin um die Quest abzuschließen.“
Ach, wie schön. Geschichten darüber, wie die Wikinger England eroberten, hautnah miterleben und nebenbei noch gemütlich ganze Dörfer vom Sofa aus niederbrennen und die hälfte der Einwohner mit dem Schwert erschlagen. Denn dass „Plündern“ gleichzusetzen ist mit „Jeden umlegen, der sich einem in den Weg stellt“ sollte doch wohl klar sein.
Auf der anderen Seite werden in „Hororgames“ Tod und Gewalt zwar in den meisten Fällen als etwas Negatives dargestellt, das ändert allerdings recht wenig daran, dass man unter Umständen Zeuge davon wird, wie einer Leiche das Gesicht abgeschält oder der Babybauch aufgeschnitten wird. Spielen Sie doch Mal „Martha is Dead“, wenn sie wissen möchten, wovon ich spreche. Sollten Sie zu jung sein, um es zu kaufen und vergessen haben, auf der Seite, die Sie zum Herunterladen von Spielen verwenden, die Volljährigkeit vorzutäuschen, dann finden Sie vielleicht LetsPlays, also Videos, in denen jemand ein Videospiel spielt und kommentiert, dazu auf YouTube oder Twitch.
Aber auch ohne, dass sich jemand an den Toten vergreift, schaffen es Horrorspiele, uns mit dem plötzlichen Auftauchen von Monstern oder Sekten, tragischen Geschichten und dem Eintauchen in Flashbacks und Halluzinationen zu verstören oder mit angespannter Atmosphäre zu fesseln. Die unangenehme Dunkelheit und Stille, in der vielleicht ab und an ein Kichern, Atmen, oder Schritte im Hintergrund zu hören sind, lässt vielen Fans einen wohligen Schauer über den Rücken laufen. Dasselbe wie bei Horrorfilmen im Prinzip, nur, dass die Erfahrung hier interaktiver, persönlicher ist. Das Überleben hängt von den Entscheidungen und der Reaktionsfähigkeit des Spielers ab. Eine andere Gemeinsamkeit mit Horrorfilmen ist Laut Ulrich Kobbé vom Institut für subjektpsychologische Wissenschaften, interdisziplinäre Forschung und institutionelle Therapie in Lippstadt die sogenannte “Angstlust”. Er spricht von einer “Mischung aus Furcht und Wonne, die an eine Rückkehr zur Sicherheit gekoppelt ist”. “Wir verlassen ja nur in Gedanken unsere sichere reale Welt – wir setzen uns mit Wonne den virtuellen Gefahren aus, behalten aber stets im Hinterkopf, dass wir eigentlich in unserem friedlichen Wohnzimmer sitzen”, so Kobbé.
Zudem erklärt er, dass der Sieg der Protagonisten über für Menschen typische Ängste wie Kontrollverlust, Tod oder die Angst an sich, uns ein gutes Gefühl gibt.
Horror ist nicht gleich Horror
Vor einer Sache warnt der Wissenschaftler jedoch: Jeder hat seine Grenzen und auf diese sollte geachtet werden. Selbst meine was Brutalität auf der Leinwand angeht recht abgehärtete Freundin hat Probleme mitanzusehen, wie jemand im Film mit Nadeln gestochen wird. Ich selbst kann das zwar gut verkraften, komme allerdings mit der Darstellung von Ersticken, Ertrinken, Verhungern oder Verdursten überhaupt nicht zurecht. Meiner Mutter wird von fast jeder Art von Brutalität auf dem Bildschirm übel und eine meiner Bekannten bat mich sogar, nicht weiter zu Reden, als ich ihr die Inhalte dieser Textpassage beschrieb. Dadurch, dass wir alle so unterschiedlich sind, stark variierende Ängste haben und dazu noch von persönlichen Erfahrungen geprägt sind, ist es fast unmöglich zu verhindern, dass Zuschauer von gewissen Inhalten zutiefst verängstigt werden und einige Bilder oft tagelang nicht aus dem Kopf bekommen. Denn ja, logisch geht es in den „Saw“- Filmen um ein aufwendiges Spiel mit Fallen, das in brutalen Morden endet, aber ob dabei jetzt Nadeln, Wasser oder eine rostige Säge ins Spiel kommen, kann Keiner im Voraus wissen.
Auch die Kriterien, nach denen entschieden wird, was zensiert werden muss oder nicht ausgestrahlt werden kann sind mir – vor allem durch Beispiele wie „Ren und Stimpy“ am Anfang des Textes – nicht ganz klar. Es scheint so, als könne man über einiges an Brutalität hinwegsehen, solange sie nur animiert ist. Der Film „The Human Centipede“ würde beispielsweise kaum im Fernsehen gezeigt werden, die „South Park“ Episode „The Human CentIPad“ hingegen, in der praktisch dasselbe wie im Film, nur mit etwas Humor, von Steve Jobs veranlasst und mit einem neunjährigen Jungen in der Mitte des Tausendfüßlers passiert, wird problemlos ausgestrahlt. Hier stellt sich die Frage, ob wir tatsächlich weniger abgeschreckt werden, wenn statt Kunstblut rote Pixel im Spiel sind.
Bei mir persönlich sind es nämlich oft gar nicht die blutigen Szenen, die mich nicht mehr loslassen, sondern Darstellungen oder auch nur Beschreibungen von psychischem oder lang anhaltendem Leid. Was mich zum Beispiel am vorhin genannten Spiel „Martha is Dead“ am meisten mitgenommen hat war der Monolog der Protagonistin Giulia am Ende, in dem sie ihre Zeit in einer Psychiatrie in den 1940er Jahren beschreibt.
Um also auf meine Frage zu antworten, ob die Begriffe „Splatter“ und „Gore“ oder auch Altersbeschränkungen ausreichen, um uns einigermaßen auf das vorzubereiten, was uns in Filmen, Spielen und Serien erwartet: Nein, tun sie ganz sicher nicht. Ich bin allerdings der Meinung, dass es
allgemein nicht möglich ist, durchs Leben zu gehen, ohne von irgendetwas Alpträume zu bekommen. Wir haben alle gewisse Ängste und werden Zeit unseres Lebens oft genug mit ihnen konfrontiert werden. In manchen Fällen geschieht das durch Zufälle und unfreiwillig, in anderen, weil wir uns gerne im Dunkeln einen gruseligen Film ansehen, durch den wir, wenn es ganz blöd läuft, noch eine Angst dazu entwickeln. Das heißt jedoch nicht, dass ich es gutheiße, dass Cartoons Gewalt als Scherz nutzen oder verharmlosen und Horrorfilmproduzenten es mit Filmen wie „A Serbian Film“ (googeln auf eigene Gefahr) auf die Spitze treiben.
Im Allgemeinen finde ich es ganz sinnvoll, wenn wir, auch wenn wir Egoshooter und True Crime Dokus noch so gerne mögen, unsrer Psyche mal eine Pause gönnen.
Maria Gurschler
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