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Seit sechs Jahren bin ich Kundin auf Amazon und bestelle oft schnell mal was, um mich am Ende immer schlecht dabei zu fühlen. Es ist ja nicht so, dass man nichts über die Missstände bei Amazon wüsste, über die wettbewerbsfeindliche Haltung des Konzerns, den respektlosen Umgang mit den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und über die ausufernde Macht im e-Commerce – und darüber hinaus. Ich kenne inzwischen Menschen in meinem Umfeld, die sich ihren Traum vom eigenen Laden verwirklichen wollten und, weil sie von der Coronakrise in die Knie gezwungen worden sind, kurz vor dem Aus stehen. Ironischerweise ist Jeff Bezos seit der Coronakrise um einige Milliarden reicher geworden. Weil eine Gesellschaft im kollektiven Homeoffice ihre Ware größtenteils über Amazon erwirbt und damit den Traum vom eigenen Laden ein Stück weit mit demontiert.
Obwohl ich das alles weiß, hatte bisher meine Bequemlichkeit meine Moral stets überboten. Ich habe Amazon jedes Mal aufgerufen, wenn mein Leben etwas stressiger wurde und ich mir den Weg in den Laden sparen wollte und dazwischen eigentlich auch, sobald ich etwas unbedingt sofort haben musste. Aber die anderen machen das ja auch, oft hat man eben nicht viel Zeit und günstiger ist es meistens sowieso, haben meine Freunde und ich uns immer wieder gegenseitig bestätigt.
Dann kam Corona und manche Logistikzentren des Versand-Giganten wurden zu Corona-Hotspots. In den USA gab es vermehrte Klagen über ungenügende Sicherheitsmaßnahmen am Arbeitsplatz. Kurz nach den medialen Berichten kam eine heuchlerische E-Mail von Amazon bei mir an, in der Dankbarkeit gegenüber den Mitarbeitern während der Pandemie betont wurde und von Vielfalt im Handel die Rede war. Jetzt war für mich klar, dass ich etwas ändern muss. An einem warmen Frühlingstag beschließe ich also, dass die Gleitrollen für meinen neuen Vorhang das letzte sein soll, das Amazon mir schicken wird.
Am Anfang fühlt sich jeder Klick, den ich Amazon nicht gebe, wie eine karitative Spitzenleistung an. Ich lagere erfolgreich aus, was am einfachsten ist, und bin stolz darauf. Meine Musik höre ich schon seit Ewigkeiten über einen schwedischen Streamingdienst. Die Buchhandlung meines Vertrauens hat ohnehin meine Kundendaten gespeichert und erleichtert mir das Bestellen. Die ersten Tage meiner Amazon-Abstinenz verbringe ich mit langem Suchen nach alternativen Onlinehändlern. Ich werde auch fündig, denn der Onlinehandel präsentiert sich mir vielfältiger als gedacht. Ich entdecke etwa einen Onlineshop für Büroartikel, der mir meine Bestellungen zuverlässig innerhalb von 48 Stunden nach Hause liefert und einen Anbieter für Kosmetika, der zwar etwas langsamer in der Lieferung ist, aber preislich ganz okay. Ersatz für meine abgewetzten Volleyball-Knieschoner finde ich in einem Onlineshop eines lokalen Sportfachhandels, und weil ich mich auch mit einem älteren Modell aus der Sales-Ecke zufriedengebe, steige ich auch genauso günstig aus, wie ich es mit Amazon gemacht hätte.
Bei Buchempfehlungen verlasse ich mich nur noch auf Buchbesprechungen in verschiedenen Medien und auf Tipps von Freunden. Somit bewege ich mich wieder aus der immer enger werdenden Blase raus, die Amazon für mich entworfen hatte. Die meisten Bücherbestellungen auf Amazon der letzten Jahre waren bei mir ohnehin studienmotiviert. Wenn Amazon also glaubt, dass ich theoretische Schriften von Roland Barthes in meiner Freizeit lese, kennt es mich schlecht.
Außerdem entspannt es mich, jenseits von Amazon zu konsumieren. Es gibt kein Überangebot mehr, keine zehn Produkte nebeneinander in den Vorschlägen, die sich in Preis und Qualität nur minimal unterscheiden und einen genauen Vergleich verlangen. Ich muss mich nicht mehr zwischen all diesen ähnlichen Artikel für den vermeintlich passendsten entscheiden und mich damit stressen, das beste Angebot durch einen fehlenden Klick verpasst zu haben. Meine Wunschliste auf Amazon wird nicht mehr länger und unübersichtlicher, Must-Haves notiere ich auf Papier und suche gezielter danach im Netz.
Amazon macht mir die Scheidung aber schwer. Auf meinen E. T. A. Hoffmann aus der Bücherei warte ich sechs Wochen lang sehnsüchtig und ein Franz Grillparzer ist nach dem dritten Anruf doch nicht erhältlich: ein Fehler im System, wie man mir am Telefon bedauernd erklärt. Außerdem leiten viele Onlinehändler, an die ich mich wende, beim Zahlungsvorgang auf Amazon weiter, was ich seufzend in Kauf nehme, meinen Ehrgeiz aber unbefriedigt zurücklässt.
Bei Filmen muss ich leider resignieren. Die Plattformen, die ich als Substitute aufsuche, können das vielfältige Angebot von Amazon Prime nur unterbieten und von den Serien, die mir Netflix anbietet, fühle ich mich nicht unterhalten. Einige andere Film-Plattformen haben sich mittlerweile ohnehin in Amazon eingegliedert und werden bei Prime als Channel angeboten.
Nach drei Monaten überwiegender Amazon-Abstinenz hat sich mein Konsumverhalten dennoch maßgeblich verändert: Viele Produkte suche ich in Onlineportalen für Kleinanzeigen und Gebrauchtwaren und ab und zu fahre ich tatsächlich zu Läden. Und die meisten größeren Läden haben mittlerweile ja auch einen Onlineshop. Außerdem habe ich einen nachhaltigen Outletstore im Netz entdeckt, wo die Abwicklung sich als sehr unkompliziert erweist. Insgesamt treffe ich viele Kaufentscheidungen überlegter und führe eine Liste mit Onlineportalen, die ich alternativ zu Amazon nutzen kann, falls es bei mir mal wieder zu Kurzschluss-Kaufentscheidungen kommen sollte.
Unterm Strich habe ich es nicht geschafft, Amazon gänzlich aus meinem Alltag zu verdrängen. Ich schaue nach wie vor Filme auf Amazon Prime oder habe für meine Freundin eine CD bestellt, die nur Amazon im Angebot hatte. Andererseits glaube ich auch nicht nur an Veränderung durch radikalen Verzicht, den sich ohnehin nur wenige Privilegierte leisten können: die ausgewogene Ernährung ohne tierische Produkte, die fair gehandelte Mode, Biolebensmittel, Elektromobilität. Deshalb beschließe ich, dass es auch die vielen kleinen Konsumentscheidungen im Alltag sind, die vielleicht einen kleinen Unterschied machen.
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