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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 06.02.2024
MeinungDie Gegenwart in einem Zitat

„Gefährliche Weltanschauung“

Ein geheimes AfD-Treffen, mittendrin unser Autor – und was das alles mit einem vermeintlichen Zitat von Alexander Humboldt zu tun hat.
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Es war ein Vorschlag, den ich nicht ablehnen konnte. Ob ich Lust habe, als einziger Journalist auf ein geheimes AfD-Treffen zu gehen? Auch die Parteichefs Alice Weidel und Tino Chrupalla werden da sein, sagte mein Kontakt. Das Ganze soll sich auf einem Weingut in Baden-Württemberg abspielen. Er kannte den Gastgeber der Veranstaltung und versicherte mir, dass ich problemlos reinkomme: Also?

Die Anfrage kam Mitte Januar, Deutschland befand sich gerade in einer Art Schockstarre. Wenige Tage zuvor hatte das Recherche-Netzwerk Correctiv bekanntgemacht, dass sich Rechtsextreme getroffen haben, um die Vertreibung von Millionen „nicht assimilierten“ Menschen zu planen, auch mit deutscher Staatsbürgerschaft. Mitglieder der AfD und der CDU haben ebenfalls an dem Treffen teilgenommen. Und das alles in einer Villa an einem Seeufer bei Potsdam, in der Nähe Berlins – wie eine zweite Wannseekonferenz.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Es war keine Wannseekonferenz 3.0, was ich auf dem Weingut in Baden-Württemberg erlebt habe. Da wurde nichts geplant, nichts konspiriert. Es war einfach ein Sauffest unter Rechten. Und als Höhepunkt des Abends: eine Selfie-Stunde mit den Parteichefs. Gruselig genug. Aber eine schöne Gelegenheit, um mit diesen Leuten in ausgelassener Atmosphäre zu sprechen, vom einfachen AfD-Wähler bis hin zum Bundestagsabgeordneten.

Manche spickten ihre Thesen mit absurden Zahlen: 300.000 neue Einwanderer am Tag kämen nach Deutschland, sagt beispielsweise ein Bäcker aus der Nachbargemeinde.

Ich begann mit den besten Absichten, fragte Rentner nach ihren finanziellen Sorgen, Handwerker nach Abstiegsängsten. Ich klapperte alle Gründe ab, bei denen ich dachte, deshalb könnte jemand die AfD wählen, ohne gleich ein schlechter Mensch zu sein. Nichts zu machen. Es ging ihnen gut, sagten sie selbst, nur Deutschland habe sich verändert. Heute, sagte einer, müsse er beim Juwelier klingeln, wenn er da etwas kaufen wolle. „Wegen der ganzen Kriminellen, wissen Sie? Und das sind doch alles Ausländer.“ Ob er selbst welche kennt? „Persönlich nicht“, sagte der Mann.

Manche spickten ihre Thesen mit absurden Zahlen: 300.000 neue Einwanderer am Tag kämen nach Deutschland, sagt beispielsweise ein Bäcker aus der Nachbargemeinde. Ich rechne ihm vor: Bei 365 Tagen sind das über 100 Millionen Zugewanderte im Jahr, mehr als Deutschland Einwohner hat. „Ja, ich hab die genaue Zahl jetzt auch nicht mehr im Kopf. Es sind jedenfalls zu viele.“ Ein anderer schimpfte, dass die Grünen die Scharia ins Grundgesetz einführen wollen. Die Frau, die daneben stand, hatte davon noch nie etwas gehört, fand das aber einen Skandal. „Deswegen muss sich in diesem Land mal was ändern!“

Ich brauchte einige Tage, um mich von der geballten Ignoranz zu erholen. Da stieß ich auf folgendes Zitat:

„Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben.“

Ist das die Ursache für die Anziehungskraft der AfD? Mangelnde Weltkenntnis?

Der Satz wird Alexander Humboldt zugeschrieben, dem großen deutschen Naturwissenschaftler, der wie kaum ein anderer im 19. Jahrhundert die Welt bereist hatte, bis in die entlegensten Winkel, in Dschungeln, in Wüsten, in wilden Gebirgen. Dass es wirklich von ihm stammt, ist nirgends belegt, es ist wahrscheinlich ein Kuckuckszitat. Und doch, in der Aussage liegt eine tiefe Wahrheit – und die hat nichts mit Reisen zu tun.

Hätte der Mann, der sich vor den Scharia-Grünen fürchtet, jemals mit Muslimen gesprochen, die aus Ländern geflüchtet sind, in denen Islamisten das Sagen haben, hätte er womöglich gemerkt, dass seine AfD und die Islamisten erstaunlich viel gemeinsam haben.

Es würde schon reichen, aus dem Haus zu gehen, sich von Zeit zu Zeit der Welt, die sich hinter einem anderen Menschen verbirgt, bewusst auszusetzen. Hätte der Mann, der sich vor den Scharia-Grünen fürchtet, jemals mit Muslimen gesprochen, die aus Ländern geflüchtet sind, in denen Islamisten das Sagen haben, hätte er womöglich gemerkt, dass seine AfD und die Islamisten erstaunlich viel gemeinsam haben: in erster Linie das Prinzip, eine Gruppe aufgrund eines starren Kriterienkatalogs zu bevorzugen und alle anderen auszugrenzen.

In Deutschland gibt es glücklicherweise noch eine Mehrheit, die das durchschaut hat und die sich vor der AfD genauso sehr fürchtet wie vor der Scharia. Hunderttausende sind in den letzten zwei Wochen auf die Straße gegangen, um ein Zeichen gegen rechts zu setzen. Es waren die größten Demos in der Geschichte der Bundesrepublik.

Und in Südtirol? Gut, wir haben es auch versucht, damals, im Dezember. Sind halt nur etwa Tausend Menschen gekommen, um gegen die Koalition der SVP mit einer neofaschistischen Partei zu protestieren. Vielleicht zu wenige, jedenfalls sind die Südtiroler Brandmauern schnell gefallen, vielleicht haben sie auch nie existiert. Humboldts Kuckuckszitat ist deshalb unvollständig: Es reicht nicht, aus dem Haus zu gehen, um die Vielfalt der Welt anzuschauen. Man muss auch aus dem Haus gehen, um sie zu verteidigen.

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