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Harry Jungmayer, der Agenturchef im Auftrag der Schwammelpartei, hatte sich die ganze Woche so gefühlt wie das hintere Ende seines Wagens: verbeult und zerknittert. Irgendwie war er froh, dass nun alles vorbei war. Vor allem nach dieser letzten Wahlkampfwoche. Da war dieses Tagblatt, das sich an den nächsten Landeshauptmann so anbiederte, dass es zum Fremdschämen war. Und zusätzlich schien das Bergorgan für den Dandy das letzte Aufgebot zu mimen. Das war aber für den abgebrühten Agentur-Zampano nicht das Wildeste, das er in der Schlusswoche erleben sollte.
Nachdem nochmal zwei dieser Umfragen erschienen sind, die besagten, dass die Schwammelpartei immer noch deutlich unter der Mandatsmehrheit lag, brach maximale Nervosität in der Zentrale aus. Die Folgen für Jungmayers Strategie waren fürchterlich: Es fühlten sich zwei Herren im Wahlkampfleitungsgremium berufen, ihr Image der Nichts-Checker abzulegen. Das – so glaubten sie – gehe am besten mittels Last-Minute Aktion. Der Parteisekretär und der Ehrenamtswahlkampfmanager hatten heimlich immer wieder irgendwelche Sager des Spitzenkandidaten aufgenommen und sie neu zusammengeschnitten. Jetzt fütterten sie ihren Computer mit einzelnen Sätzen des schlaksigen Schwammelheilands. So ausgerüstet ließen sie nun systematisch vom Computer aus tausende Wähler anrufen.
Diese zwei lustigen Gesellen waren überzeugt, dass ein Anruf des Kronprinzen „persönlich“ jeden Wähler zur Begeisterung bringe. Hinzu kam, dass jeder Anruf mit der Frage begann: „Werden Sie denn die Schwammelpartei wählen?" Ein langgezogenes „Aaaa" war für die Software Hinweis auf Zustimmung. Darauf folgte das pathetische Dankeschön des Spitzenkandidaten. Blöd war ja nur, dass sich im hiesigen Dialekt das „Ja“ kaum vom „Na“ unterschied. Die Bedeutung allerdings war diametral. Wobei auch schon die Belästigung an sich ausreichte. Diese Geschichte beherrschte die Medien, die Kommentarspalten der Online-Portale und den Luftraum der Stammtische in den letzten Tagen vor der Wahl.
Der Tag danach
Jungmayer dankte an diesem Montag nach dem Wahltag allen irdischen, überirdischen und geistigen sowie ungeistigen Mächten der Welt und aller angrenzenden Gemeinden dafür, dass es vorbei war. Endlich konnte er die angenehmen Seiten Südtirols genießen und verbrachte fast den ganzen Nachmittag in einem Straßencafé im Zentrum der Hauptstadt und amüsierte sich über die letzten Wahlprognosen der Zeitungsjournalisten.
Es wurde langsam Abend und wie alles, das in der Landespolitik rumfleucht, begab sich auch Harry Jungmayer in den Spiegelsaal des Palais Dandy. Dort waren die Wahlzentrale und das Wahl-Studio des Öffentlich-rechtlichen untergebracht. Seine Anwesenheit wurde sofort von der Schwarz-Haarigen mit den blauen Augen aus der gleichfarbigen Partei bemerkt. Sie begann sofort zu zwinkern und mit Luftküssen nach ihm zu schmeißen. Der Agenturchef versuchte sich in einer Übung, die er auf dem politischen Parkett zu beherrschen glaubte: strategische Positionierung. Im konkreten Fall hieß das möglichst weit weg von der blauen Truppe.
Jungmayer hatte bei seiner Flucht zwar permanent die Dame in Blau im Augenwinkel im Blick, wurde aber doch schlagartig nervös, weil er sie plötzlich nicht mehr sah.
Da half nur noch ein ordentliches Versteck. Er drängelte sich durch die Menge vorbei an einem grau melierten Moderator, der aussah wie der Landlord aus einem Roman von dieser Rosamunde Pichler. Der Moderator hatte sich vor eine große Leinwand gestellt und diese war genau das Ziel von Harry Jungmayer. Dahinter würde ihn die leidenschaftsgetriebene Verfolgerin wohl nicht entdecken.
Mittlerweile waren die Ergebnisse eingetrudelt und die Techniker des Öffentlich-rechtlichen, machten sich daran, die Ergebnis-Tabellen per Beamer von hinten auf die Leinwand zu projizieren. Der Landlord schien zwar am Ohr verkabelt, aber im Eifer der Live-Sendung hatte ihm niemand die Ergebnisse gereicht. In seiner adeligen Coolness war er aber zunächst entspannt mit der Gewissheit, die Daten richtig ablesen zu können. Er setzte an zur Ergebnispräsentation und baute Spannung auf, nannte das Kürzel der Schwammelpartei, der ganze Saal wurde auf die Sekunde leise. Nicht mal atmen hörte man. Hunderte Augenpaare starrten auf die Leinwand, auf der die Umrisse eines Mannes zu sehen waren, dem gerade eine Frau um den Hals fiel und ihn innig küsste. Dann riss sie ihm das Hemd auf. Knöpfe purzelten unter der Leinwand hervor und rollten dem Moderator vor die Füße. Dieser war zu keinem Wort fähig. Betrachtete die Knöpfe und hatte sowas wie ein Déjà-vu. Irgendwie kam auch die Erinnerung an die Parlamentswahlen 2013 in ihm hoch.
Im Saal begannen langsam einige Anwesende zu johlen und zu pfeifen. Der Mann hinter Kamera 5, der auch unter akuter Perplexität litt, drehte verdutzt seine Kamera so hin, dass ihr die Geschehnisse hinter der Leinwand nicht entgingen.
Am Vorplatz des Palais Dandy standen zwei Übertragungswagen. In einem davon wurde die Regie gemacht. Kaum ein Medium im Lande hatte einen Chefredakteur, der so unter Strom stand wie das Öffentlich-rechtliche. Auch ohne solche Geschehnisse. Der eh schon hohe Grund-Adrenalin-Spiegel erhöhte sich nochmal zig-fach. Es war ein kurzer zuckender Griff auf den Knopf mit der Aufschrift „Kamera 5" und schon landete das Bild der Szene hinter der Leinwand in allen Haushalten im Land der Blauschürzen.
Rauchend in den Sonnenuntergang
Der Tumult war unvorstellbar. Gott sei Dank geriet die ganze Szenerie in so ein Durcheinander, dass Harry Jungmayer es schaffte, sich aus den Fängen der Leidenschaft loszureißen und den Saal durch einen Notausgang zu verlassen.
Er wusste in dem Moment nicht, wo ihm der Kopf stand. Aber wenigstens wo sein Wagen stand. Dort angekommen lehnte Walter Vorlackner auf der Motorhaube mit einer Selbstgedrehten, die er genüsslich paffte. Wortlos als Willkommengruß reichte er das Gerät an den Agenturchef. Dieser zog daran, als wollte er sie in einem Zug fertigrauchen.
Das war genau der Moment, in dem Harry Jungmayer beschloss, aus diesem Business auszusteigen. Walter las in seinen Augen und fragte: „Wos willst jetzt machen?"
Jungmayer hob die Schultern und sagte: „Vielleicht schreibe ich eine Fortsetzungsgeschichte über all das hier. Mit einem Pseudonym, was hältst du von Hansi Klein?"
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