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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 19.03.2019
Meinung40 Wochen

Es geht los!

Veröffentlicht
am 19.03.2019
Schlafmangel, Speiattacken und ungeahnte Urkräfte. Die Geburt ist ein Marathon, bei dem man nie weiß, wie weit das Ziel noch entfernt liegt.
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Ich freue mich auf die Geburt. Ja, genau das habe ich vierzig Wochen lang gefühlt, gesagt, gedacht. Ich freue mich auf eine selbstbestimmte, schmerzfreie Geburt in perfekter Zusammenarbeit mit dir, meinem Kind und dir, meinem Körper. Das war die Intention, mein Mantra, das ich während meinen Meditationen gesetzt habe. Und nun? Nun liege ich in dieser Plastikwanne, mitten in meiner Wohnküche und blicke in die Gesichter meiner Hebammen und Jakob. Von oben schauen sie auf mich herab, als wäre ich dem Jenseits schon ganz nahe. „Wenn du denkst, du stirbst, dann ist alles vorbei“, schießt es mir durch den Kopf. Die weisen Worte meiner Mutter, die ich bis zu diesem Moment nie wirklich glauben konnte, deren Wahrheitsgehalt ich nun aber in jeder Zelle meines Körpers spüre. Doch von vorne.

„Ich wusste es!“
Es ist zwei Uhr nachts, als ich von einer feuchten Unterhose und einem leichten Ziehen im Bauch geweckt werde. Der Gang auf die Toilette bestätigt das Gefühl, das ich in dieser Nacht bereits beim Zubettgehen hatte. „Es geht los“, flüstere ich Jakob ins Ohr. „Ich wusste es“, antwortet er ganz schlaftrunken mit zusammengekniffenen Augen. Wir müssen beide grinsen. Irgendwie ist es kaum fassbar, dass der Augenblick, auf den man ganze vierzig Wochen lang hingewartet hat, nun wirklich da ist und das Kennenlernen mit Herzmensch zum Greifen nahe ist. Der Beginn dieser Reise ist so unglaublich spannend, weil man sich so gut darauf vorbereitet hat, aber doch nie weiß, wie die Geburt am Ende verlaufen wird. Und alles, was man von nun an tun kann, ist, zu vertrauen.

„Die Sonne scheint durchs Fenster direkt auf meinen Bauch, und ich muss mir vorstellen, wie Herzmensch sie das letzte Mal orange-rot durch meine Bauchdecke sieht.“

Ich spüre die ersten Wehen in meinem Unterbauch. Sie fühlen sich an wie eine Mischung aus Vorwehen und Regelschmerzen. Im Zehn-Minuten-Takt schleichen sie durch meinen Körper, und ich versuche sie ganz lässig mit tiefen Atemzügen anzunehmen. In einer der ersten Wehen-Pausen greife ich zum Telefon und rufe unsere Hebamme an. Astrid rät mir, die Zeit gut zu nutzen und mich nochmal hinzulegen. Auch wenn ich vermutlich kein Auge zumachen werde, solle ich versuchen, mich auszuruhen für die bevorstehenden Stunden. Ein altes Sprichwort besage nämlich, dass die Sonne bei der ersten Geburt einmal unter-, dann auf- und nochmal untergehe, ehe das Baby da ist. Ich lege mich also nochmal ins Bett und messe die Zeitabstände zwischen den einzelnen Wehen. In den Pausen versuche ich zu entspannen. An Schlaf ist natürlich nicht zu denken. Viel eher liege ich mit geschlossenen Augen da und versuche zu realisieren, was hier eigentlich gerade passiert. Die Stunden scheinen währenddessen zu verfliegen, und ehe ich mich versehe, scheint mir die Sonne durchs Zimmerfenster ins Gesicht.

Ich beginne diesen 21. Februar mit einem Vollkorn-Honigbrot und stetig stärker werdenden Wehen. Doch als Astrid wenig später bei uns Zuhause vorbeischaut, lassen diese plötzlich wieder nach. Typisches Symptom, wenn eine zusätzliche Person zur Geburt dazustößt, meint die erfahrene Hebamme. Wir entscheiden uns trotzdem dazu, den Geburtspool schon mal in Position zu bringen und verfallen in eine hitzige Diskussion über die Zukunft der Geburten in Südtirol, während die Luft in den hellblauen Plastikpool strömt. Dann verabschiedet sich Astrid nochmal, und Jakob und ich starten in die letzten gemeinsamen Stunden zu zweit. Wir setzen uns in den leeren Geburtspool, trinken eine Tasse Tee und sinnieren über Gott und die Welt. Die Sonne scheint durchs Fenster direkt auf meinen Bauch, und ich muss mir vorstellen, wie Herzmensch sie das letzte Mal orange-rot durch meine Bauchdecke sieht. Ob er wohl aufgeregt ist da drinnen? Ob er weiß, dass es losgeht? Oder vielleicht war sogar er es, der entschieden hat, dass es an der Zeit sei, die Geburt einzuleiten. Fragen, auf die ich wohl nie eine Antwort kriegen werde.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold
Mittlerweile ist es Nachmittag. Die Abstände zwischen den Wehen werden immer kürzer, das Ziehen immer stärker. Während ich sie vor einigen Stunden noch mit Leichtigkeit veratmen konnte, muss ich jetzt schon einen Moment schweigen, um mit ihnen fertig zu werden. Jakob unterstützt mich auf seiner Gitarre und stoppt gleichzeitig die Intervalle. Um nicht den ganzen Tag wartend in der Wohnung herumzusitzen, ziehen wir uns etwas über, gehen nach draußen und genießen das schöne Wetter. Im Schneckentempo wandern wir durch unseren Kräutergarten steil nach oben. Die frische Luft strömt in meine Lungen wie ein gutes Doping-Mittel. Mit der Sonne auf meiner Haut, dem Duft der Kräuter in meiner Nase und dem Ausblick auf Schlern, Latemar und Weißhorn unter strahlend blauem Himmel kann ich mich noch einmal richtig entspannen. Es sind nur noch wenige Worte, die wir zu diesem Zeitpunkt wechseln. Irgendwie scheinen sie nutzlos, in einem Moment wie diesem. Die Stille fühlt sich so viel besser an, so viel tiefer, so viel verbundener. In ihr können wir alle drei noch einmal Kraft für die bevorstehende Geburt schöpfen.

„Mir ist klar, dass das Baby jetzt nicht sofort aus mir herausschießen wird, aber irgendwie fühlt es sich nun plötzlich richtig ernst an.“

Zurück in unserer Wohnung stelle ich mich unter die Dusche und lasse den warmen Wasserstrahl meine müden Muskeln weichkneten. Ich habe Hunger, doch an Essen ist nicht zu denken. Schließlich habe ich keine Lust, mich später während der Geburt übergeben zu müssen. Also faste ich eisern weiter und lege mich mit Jakob noch einmal ins Bett. Wir diskutieren gerade darüber, wie lange diese Phase wohl noch dauern wird, als mich plötzlich eine Wehe überkommt, die ich im Liegen nicht mehr veratmen kann. Mein Körper zwingt mich zum Aufstehen und überrascht mich im Stand schließlich mit einem wellenartigen Gefühl, das mit einer enormen Intensität durch meinen ganzen Körper schwappt. Und das Fruchtwasser schießt zwischen meinen Beinen hervor. Ich bin überwältigt und blicke sprachlos zu Jakob, dem wortwörtlich die Kinnlade runtergefallen ist. „Ich habe genau gesehen, wie der Schwall rausgebrochen ist“, meint er, zieht geschockt seine Augenbrauen hoch und läuft völlig perplex zu seinem Handy, um Astrid Bescheid zu geben. „Es geht los!“, ruft er ins Telefon und fängt gleich darauf an, die Geburtswanne zu befüllen.

Mir ist klar, dass das Baby jetzt nicht sofort aus mir herausschießen wird, aber irgendwie fühlt es sich nun plötzlich richtig ernst an. Obwohl es bestimmt nicht einmal ein halber Liter war, der da aus mir herausgeflossen ist, fühle ich mich schon richtig erleichtert und freue mich jetzt noch einmal mehr, dass das Baby auch bald aus meinem Bauch draußen ist und mein Körper wieder mir alleine gehört. Ich stelle mich zu Bob Marleys Musik in die Geburtswanne, wo mir das Wasser bis zur Mitte der Unterschenkel reicht und versuche, das warme, entspannende Gefühl durch meinen ganzen Körper fließen zu lassen. Irgendwie fühlen sich die Wehen nun angenehmer an als vorher. Mein Becken wippt im Takt und Wehe für Wehe vergeht.

Mama hat Schmerzen
Bei einer Erstgebärenden können Geburten locker auch zehn bis zwölf Stunden dauern, darauf hatte mich meine Hebamme bereits vorbereitet. Den Punkt habe ich seit fünf Stunden überschritten, als Astrid richtig hübsch gekleidet durch die Tür hereinspaziert. „Willst du das Baby etwa in dem Outfit auf die Welt bringen?“, frage ich sie und muss grinsen. Solange ich noch so scherzen kann, gehe die Geburt sicher noch nicht los, meint sie und grinst zurück. „Du bist noch viel zu viel im Außen.“ Und ich dachte mir, die Geburt sei schon fast zu Ende! Dann überkommt mich die nächste Wehe, und ich nehme einige tiefe Atemzüge mit geschlossenen Augen. Die Wellenatmung, die mich bis hierher durch die Eröffnungsphase begleitet hat, habe ich aus einem Hypnobirthing-Buch gelernt. Eine natürliche Methode, die durch verschiedene Entspannungs-, Massage-, Selbsthypnose- und Atemtechniken eine sanfte Geburt mit wenig Schmerz verspricht. Bis zu diesem Punkt wahrlich hilfreich, doch umso stärker die Wehen werden, desto schwieriger wird es für mich, mich auf die erlernten Techniken zu konzentrieren. Und das, obwohl ich monatelang jeden Tag dafür geübt habe. Zum Glück habe ich den perfekten Geburtshelfer an meiner Seite, der mir jeden Wunsch von den Augen abliest. Jakob unterstützt mich hingebungsvoll mit Massagen, Hypnosetechniken und aufmunternden Worten.

„Es kostet mich alle Kraft, meinen Geist zu zügeln und bei positiven Gedanken und Affirmationen zu bleiben.“

Eigentlich sollten mich die guten Atemtechniken bis jetzt bereits zu den erwünschten zehn Zentimetern Öffnung meines Muttermundes begleitet haben. Was Astrid ertastet, ist jedoch gerade mal so groß wie die Öffnung einer Espresso-Tasse – und das nach 15 Stunden! Außerdem hat sich Herzmensch noch nicht genau entschieden, in welche Richtung er gerne schauen möchte, wenn er sich durch den Geburtskanal in diese Welt schiebt und hat sein Köpfchen noch nicht ideal positioniert. Deshalb schwappt auch bei jeder Wehe noch ein wenig Fruchtwasser aus mir heraus. „Erst wenn der Kopf ideal liegt, verdichtet er den Ausgang“, erklärt Astrid und rät mir, mit meiner vollen Konzentration und Aufmerksamkeit in den Beckenbereich zu gehen und dem Baby mit tiefen Atemzügen und starken Gedanken zu helfen, die richtige Position zu finden. Ich versuche gemeinsam mit Jakob in einen meditativen Zustand zu kommen und mich mit Herzmensch zu verbinden, um ihm zu sagen, dass es an der Zeit wäre, sich zu entscheiden. Mama hat Schmerzen!! Mittlerweile ist auch die zweite Hebamme bei uns eingetroffen. Die beiden ziehen sich ins Nebenzimmer zurück und lassen Jakob und mich diese intensiven Momente der Geburt in trauter Zweisamkeit erleben. Stirn an Stirn stehen wir da und versuchen, dem kleinen Herzmensch mit unserer Atmung und leichten Tönen den richtigen Weg zu zeigen.

Immer noch schwappt bei jeder Wehe Fruchtwasser aus mir heraus. Deshalb überkommt mich kurz ein ungutes Gefühl. In meinem Hinterkopf habe ich nämlich die Geburtsgeschichte einer Freundin, deren Baby durch einen Kaiserschnitt geboren wurde, nachdem es sich nicht richtig in den Geburtskanal geschoben hatte. Es kostet mich alle Kraft, meinen Geist zu zügeln und bei positiven Gedanken und Affirmationen zu bleiben. Zum Glück ist Jakob da. Das Licht ist gedämpft, der Raum geheizt, das warme Wasser entspannt meine Füße. Es duftet nach Ylang-Ylang, Jasmin, Rose, Lavendel, Bergamotte und allerhand anderen ätherischen Ölen, die meine Familie für den großen Moment vorbereitet hat. Eine Atmosphäre, in der ich mich ohne Probleme fallen lassen kann. Die Zeit habe ich schon lange vergessen, als ich mich nach einem letzten Gang zur Toilette und ein paar Runden um den Küchentisch genüsslich ins warme Rosenwasser der Geburtswanne sinken lasse. Immer wieder mal schaut Astrid vorbei, misst die Herztöne von Herzmensch und fragt mich, wo ich den Druck in meinem Becken spüre. Nun verstehe ich ganz genau, was sie damit gemeint hat, als sie am Nachmittag gesagt hat, dass ich noch viel zu viel im Außen sei.

„Die Wehen scheinen nun ihren Höhepunkt erreicht zu haben und mir zeigen zu wollen, welch enorme Kraft eigentlich in meinem Körper steckt.”

Meine Umgebung habe ich mittlerweile komplett ausgeblendet, liege nackt im warmen Wasser und wälze mich mit jeder Wehe in eine andere Richtung. Mein Körper weiß an diesem Punkt genau, was zu tun ist, und deshalb versuche ich, mich ihm so gut als möglich hinzugeben. Die Wehen scheinen nun ihren Höhepunkt erreicht zu haben und mir zeigen zu wollen, welch enorme Kraft eigentlich in meinem Körper steckt. Ich bin überwältigt. Alles, was ich noch aus mir herausbringe, ist der klägliche Ruf nach einem Löffel Honig und noch mehr Wasser. Ich fühle mich super müde, hungrig und verschwitzt. Mein Körper hat mittlerweile überhandgenommen. So in etwa muss es sich anfühlen, wenn man von einem Dämon besessen ist, denke ich mir, als mich die nächste Wehe erreicht. Von innen heraus scheint es mich in alle Richtungen zu ziehen. Ein unangenehmer Brechreiz überkommt mich, während meine Beine krampfen. Dann überprüft Astrid noch einmal, wie das Köpfchen liegt. „Der ist so tief drinnen, dass ich den Muttermund gar nicht mehr richtig tasten kann, super, das ging jetzt richtig schnell“, meint sie. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Nun kann es ja wirklich nicht mehr lange dauern!

Morgen könnt ihr hier den 2. Teil dieser Kolumne lesen.

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