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Veröffentlicht
am 21.10.2024
MeinungDie Welt 2050

„Eine Umorientierung wird schmerzhaft“

Veröffentlicht
am 21.10.2024
Wie stellen sich junge Menschen die Welt im Jahr 2050 vor? Roland Benedikter von EURAC Research lässt sie zu Wort kommen: Jan Unterhofer über Verlust, die Haltung europäischer Gesellschaften gegenüber anderen Nationen und den gefährlichen Stolz Südtirols.
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Die Welt im Jahr 2050 ist zu meinem eigenen großen Bedauern von Verlust geprägt. Allem voran vom Verlust unserer ökologischen und kulturellen Vielfalt, wie wir sie heute noch genießen dürfen. Wenn ich mir die „Natur“ der Zukunft vorstelle, dann sehe ich nicht das, was ich heute sehe: Der Mensch wird so weit in natürliche Prozesse eingegriffen haben – bewusst oder unbewusst, aktiv oder passiv –, dass es keine unberührte Natur mehr geben wird. Das, was wir heute darunter verstehen, wird unter künstlichen Bedingungen aufrechterhalten werden und unter einem Hyperprotektionismus leiden: einzelne, nicht mehr zusammenhängende Ökosysteme, die als letzte Schutz- und Zufluchtszonen für Flora und Fauna dienen. Der Mensch wird diese Ökosysteme schützen. Jedoch nicht aus Zuneigung, sondern aus nüchternem Zwang: weil es sich um die dabei geschützten Lebensräume und Arten, sei es Zebra, Löwenzahn oder Rotkehlchen, um die letzten seiner Art handeln wird. Die „Natur“ wird zu einem begrenzten, eingegrenzten Raum, sie wird zu einem Ding, das der Mensch schützen muss.

Auch der kulturelle Verlust wird offensichtlich sein. Dabei wird dieser nicht durch jene Ursachen herbeigeführt worden sein, die in unserer gegenwärtigen Politik so hohe Wellen schlagen. Der Konservatismus und Protektionismus der nächsten Jahre und Jahrzehnte wird „unsere Kultur“, „unsere Identität“ oder „unsere Heimat“ nicht wie in einem Weck-Glas konservieren können. Stattdessen werden sich diese Schlagwörter als hohle Ideen herausstellen, hinter denen sich die Angst verbirgt, sich dem Neuen und Unbekannten zuzuwenden. Bis dahin werden viele von uns vergessen haben, worum es sich bei diesen Ideen eigentlich gehandelt hat, und eine Umorientierung wird schmerzhaft und schwierig werden. Um diese Umorientierung in der individuellen und kollektiven Lebensführung vollziehen zu können, werden interkultureller Dialog und Kompromissbereitschaft notwendig sein: Kompetenzen, die nicht von heute auf morgen erlernt werden können, vor allem nicht als Gesellschaft, sondern jahrelange Übung erfordern. Jahre, die uns in nächster Zeit verloren gehen werden, wenn wir uns nicht aktiv dafür einsetzen.

Europa wird sich in einer reaktionären Situation wiederfinden, in der es sich daran orientieren muss, was andere globale Akteur:innen vorgeben.

Bei diesem kulturellen Verlust denke ich vor allem an die westliche Welt und ganz besonders an Europa. Ähnlich wie Julian Nikolaus Rensi bin auch ich der Meinung, dass westliche und europäische Wertvorstellungen, allen voran Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und der Schutz der Menschenrechte, an Einfluss und Relevanz verloren haben werden. Jene Wertvorstellungen, die noch übrig sein werden, muss Europa verteidigen – das heißt anerkennen, dass diese weder universell noch allgemeingültig sind. Die westliche Welt wird darüber reflektieren müssen, welche dieser Wertvorstellungen zukunftsfähig sind und welche nicht – ohne einen Anspruch darauf zu erheben. Dieser Verlust wird weniger von externen Akteur:innen herbeigeführt worden sein. Solange Europa nicht von seinem hohen Ross herunterkommt und globale Beziehungen als gleichwertige und auf Augenhöhe geführte Beziehungen anerkennt, wird es weiter an Einfluss verlieren. Europa wird sich in einer reaktionären Situation wiederfinden, in der es sich daran orientieren muss, was andere globale Akteur:innen vorgeben.

In Bezug darauf bin ich mir noch unsicher, welche Rolle die Weltregionen Afrika, Südamerika und Südostasien im Jahr 2050 spielen werden. Wie wird ihre Beziehung zu China sein? Und ist deren Beziehung zu Europa von Ablehnung oder ehrlichem Interesse geprägt? Im Hinblick auf die sozialen und ökonomischen Krisen, von denen die Länder des sogenannten globalen Südens betroffen sind, wird sich in den nächsten 25 Jahren ein allgemein erhöhter Lebensstandard etablieren. Dieser Lebensstandard wird aber mehr auf quantitativen als auf qualitativen Faktoren aufbauen – eine Tatsache, die auch im sogenannten globalen Norden Realität sein wird. Dabei denke ich vor allem an ein erhöhtes Einkommen und eine stabilere soziale, politische und ökonomische Lage, die es erlauben, mehr Konsumgüter zu erwerben. Diese Güter werden aber nicht einem hohen qualitativen Standard entsprechen, sondern vor allem industriell gefertigt sein und eine große ökologische Belastung darstellen.

Auch Südtirol wird es verpasst haben, sich zu öffnen und sich am Projekt „nachhaltige Zukunft“ aktiv zu beteiligen.

Die Situation Südtirols im Jahr 2050 sehe ich in Analogie zur Situation von Europa. Südtirol wird den eigenen Höhepunkt bereits hinter sich haben und – durch den eigenen Stolz geblendet – die Möglichkeit verpasst haben, die Bedingungen für eine nachhaltige und zukunftsfähige Realität zu schaffen. Darunter verstehe ich vor allem eine ökologisch und sozial nachhaltige und gesunde Gesellschaft, die sich als Teil eines größeren, globalen Ganzen sieht, sich auf die eigenen, lokalen Ressourcen konzentriert und ernsthaft daran arbeitet, die Verantwortung zu übernehmen, die ihr als Teil einer globalen Gesellschaft zukommt. Stattdessen wird auch Südtirol sich in einer reaktionären Haltung wiederfinden, in der es sich an anderen orientieren muss, um mitzuhalten. Zu dessen eigenem Glück wird sich der Lebensstandard halten, was dem Privileg des ökologischen Reichtums zu verdanken ist. Ähnlich dem Verlust europäischer Wertvorstellungen wird auch in Südtirol das konservative Denken dazu führen, dass sich die Gesellschaft anderen Lebensentwürfen verschließen wird, um einem hohlen Sicherheitsgefühl nachzueifern. Ganz nach dem Spruch „Wås der Bauer net kennt, frisst er net!“ wird auch Südtirol es verpasst haben, sich zu öffnen und sich am Projekt „nachhaltige Zukunft“ aktiv zu beteiligen.

Ich bin selbst überrascht über meine Vision der kommenden 25 Jahre, vor allem, weil ich meistens als optimistische Person beschrieben werde. Die Auseinandersetzung mit meiner Vorstellung der Welt im Jahr 2050 hat mir aufgezeigt, mit wie vielen Entscheidungen und Entwicklungen ich unzufrieden bin und dass ich diese frustriert zur Kenntnis nehmen muss. Mir ist aufgefallen, dass ich mich am meisten an der Haltung der europäischen Gesellschaften gegenüber anderen Nationen und Weltregionen stoße. Diese überhebliche Haltung wird Auswirkungen auf die Stellung Europas in der Welt haben – wahrscheinlich nicht im positiven Sinne.

Meinen Text verstehe ich nicht unbedingt als Zukunftsprognose, sondern sehe darin mehr eine Gegenwartskritik. Wenn ich darüber nachdenke, dass die Weichen für eine gemeinsame Zukunft im Hier und Jetzt gestellt werden, ist diese Kritik von großer Bedeutung für (m)eine Zukunft. Leider fühle ich dabei mehr Ernüchterung als Hoffnung.

Autor: Jan Unterhofer, geboren 1999, Ritten.

Dieser Beitrag stammt aus der Serie „Was junge Menschen in Südtirol über die Welt im Jahr 2050 denken“, herausgegeben von Roland Benedikter (Eurac Research)

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