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Veröffentlicht
am 18.12.2024
MeinungWas junge Menschen in Südtirol über die Welt im Jahr 2050 denken

„Eine meiner größten Sorgen: die Wahrheit“

Veröffentlicht
am 18.12.2024
Wie wird unsere Welt 2050 aussehen? Max Walder sieht Künstliche Intelligenz als Chance und Risiko zugleich. Zwischen Arbeitsmarktumbrüchen, Fake-News-Fluten und Katzenbildern stellt sich die große Frage: Können wir die Kontrolle behalten oder droht der Verlust einer gemeinsamen Realität?
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Als ich gefragt wurde, diesen Beitrag zu schreiben, wusste ich im ersten Moment gar nicht, auf welches Thema ich mich konzentrieren sollte. Das Jahr 2050 ist weit weg, ich habe knapp nicht so viele Jahre Lebenserfahrung wie die Zeitspanne, die ich nun vorhersagen soll.

Also gut, dachte ich mir, lässt du dich halt drauf ein. Schreibst ein bisschen über alles, was dich so umtreibt. Nimm einfach das, was du bisher erlebt hast, und rechne es für die nächsten 25 Jahre hoch. Als mir dann aufgefallen ist, dass das im Grunde die technische Funktionsweise von generativer KI, also von ChatGPT und Co., recht gut beschreibt, wurde mir klar, dass ich um einen Fokus auf das Thema Künstliche Intelligenz nicht herumkomme. Also los, „halluzinieren“ wir über die KI-basierte Zukunft.

Das Thema KI begleitet mich aktuell allgegenwärtig. Das ist natürlich nicht weiter verwunderlich, wenn man den Bachelorstudiengang „Artificial Intelligence“ belegt, aber es ist ja bei weitem nicht nur der Studieninhalt an sich. In meinem Betrieb nutzt die komplette Programmierabteilung den Copilot von Microsoft, um schneller, besseren Code zu schreiben. Powered by ChatGPT, natürlich. Meine Seminararbeit an der Uni über ein KI-Thema wurde sprachlich dank GPT nochmal deutlich aufgewertet. Aber auch auf E-Mail-Anfragen bekomme ich von Uni-Personal langatmige und inhaltslose Antworten, die garantiert KI-generiert wurden. Gefühlt kommt jetzt schon niemand mehr bei der Arbeit ganz ohne KI aus. Manchmal offiziell und ganz offen, manchmal inoffiziell und mehr oder weniger gut versteckt.

Unsere Arbeitswelt wird sich auf jeden Fall stark verändern – und mit ihr die Grundstrukturen der Gesellschaft. Ob tatsächlich so viele Arbeitsplätze wegfallen, wie oft gesagt wird, weiß ich nicht. Jede technologische Revolution in der Vergangenheit hat am Ende auch Arbeitsplätze nicht einfach nur vernichtet, sondern stattdessen neue Berufsfelder erschaffen und alte abgelöst. Vielleicht kommt es durch KI zu einem ähnlichen Wandel, vielleicht auch nicht. Eine sehr spannende Entwicklung der letzten drei Jahre finde ich, dass sich die Erwartung der zukünftig wegfallenden Berufsfelder komplett gedreht hat. Vor GPT dachten alle, es fallen die simplen, körperlichen und handwerklichen Berufe als Erstes weg (allen voran die LKW- und Busfahrer:innen), und die Leute wenden sich mehr den mentalen Berufen und den Künsten zu. Jetzt ist es doch ganz anders gekommen, alle befürchten dank DALL-E und Stable Diffusion, dass die künstlerischen Branchen zuerst bedroht sind. Vollständig durch KI generierte Lieder haben es im August erstmals in die deutschen Charts geschafft. Gleichzeitig haben wir überall Busfahrermangel. Das hätte man so vor fünf bis zehn Jahren, als selbstfahrende Autos das Hype-Thema waren und Textgenerierung noch in den Kinderschuhen, niemand geglaubt.

Trotzdem bin ich mir bei einem sicher: Der in unserem Wirtschaftssystem fast schon ideologisch geforderte Zustand der Voll(zeit)beschäftigung für alle Bürger:innen wird bis 2050 sicher überholt sein. Das sorgt natürlich für viele unbeantwortete Fragen. Wenn nicht mehr alle arbeiten müssen oder können, wie gestalten wir die Wirtschaft, damit nicht der ganze Kreislauf zum Erliegen kommt? Bedingungsloses Grundeinkommen klingt in der Theorie nach einer Lösung, aber setzt sich das gegen den real existierenden Kapitalismus durch? Ich glaube, das wird einer der (vielen!) gesellschaftlichen Konflikte der nächsten 25 Jahre.

Wie sichern wir in einer Welt voll generierter Inhalte eine gemeinsame Wahrheit, eine gemeinsame Realität?

Aber noch ein anderes Thema beschäftigt mich aktuell sehr. Vor Kurzem stand ich minutenlang vor einem überdimensionierten Werbeplakat, wie sie das Stadtbild hier in Linz leider nur allzu oft verunstalten. Selbst nach langer Betrachtung konnte ich nicht mehr sagen, ob die Person auf dem Plakat echt ist, mit Photoshop noch nachbearbeitet wurde, oder die Person komplett KI-generiert ist.

Dieses Erlebnis ist mir ungewöhnlich stark im Kopf geblieben. Eine meiner größten Sorgen für 2050 ist die Wahrheit. Wenn ich jetzt schon nicht mehr beurteilen kann, ob etwas existiert (die Person auf dem Werbeplakat) oder man sich jetzt schon nicht auf die gleiche Realität einigen kann (Stichwort Fake News & Filterblasen), wie soll das dann erst ablaufen, wenn jedes gefälschte Bild, jedes gefälschte Video oder sonstiges Medium kaum oder gar nicht mehr vom Original unterschieden werden kann? Wie sichern wir in einer Welt voll generierter Inhalte eine gemeinsame Wahrheit, eine gemeinsame Realität?

Ich sehe hier zwei Szenarien. Szenario eins: Wir finden eine technisch robuste und datenschutztechnisch akzeptable Lösung für einen Urhebernachweis, dem man vertrauen kann (im weitesten Sinne ein abgesichertes Wasserzeichen oder Ursprungszertifikat für Dateien?). Wir investieren massiv in Bildung und Medienkompetenz. Wir arbeiten als Gesellschaft auf eine Demokratisierung der sozialen Netze hin, damit nicht so viel Macht in den Algorithmen der Großkonzerne liegt (denn die sind natürlich allesamt gut bewahrte Geschäftsgeheimnisse und deshalb fast vollständige Black Boxes). Da gibt es in letzter Zeit schon Anzeichen für Fortschritte, wie zum Beispiel die Abwanderung von X/Twitter in Richtung dezentralisierter Systeme wie Mastodon oder Bluesky. Vielleicht wird es notwendig sein, soziale Medien sogar zur kritischen Infrastruktur zu erklären und zu verstaatlichen.

Oder Szenario zwei: Wir kriegen die strukturellen Probleme nicht unter Kontrolle, die Erschaffung von Parallelgesellschaften und deren Radikalisierung geht weiter wie bisher. Die Großkonzerne bewahren ihre Monopole, die Wahlen werden immer mehr zum Meme-Wettbewerb ohne Inhalte (siehe zuletzt die USA oder Rumänien). Wir werden erschlagen von „Alternative Facts“, wie das die Pressesprecherin von Trump 2017 zu seinem ersten Amtsantritt so schön gesagt hat (das ist schon 8 Jahre her?) und jeder baut sich die Welt, wie sie ihm gefällt.

Ich hoffe auf Szenario eins und bin zumindest vorsichtig optimistisch, dass ein Konsens für eine partizipative und demokratische Gesellschaft gefunden werden kann. Einfach wird es aber sicher nicht. Dass wir trotz der Distanzierung durch Digitalisierung noch persönlich miteinander reden können. Dass die Radikalisierung, vor allem auf dem rechten Flügel, wieder umschwingt und nur ein kurzlebiger Trend bleibt.

Sollte Szenario zwei eintreten, dann war die Prämisse dieses Beitrags falsch. Da darf es nicht mehr heißen „Wie stelle ich mir unsere Welt in 2050 vor“. Die Frage wäre eher eher, wie ich mir meine Welt in 2050 vorstelle. Meine Welt, meine persönliche Filterblase bestünde primär aus nerdy IT- und Technik-Kram, ein wenig zynischer Politik-Satire und Bildern von flauschigen Katzen. Was die anderen mit ihrer Welt machen, könnte ich dann noch weniger vorhersagen als ohnehin schon. Ich hoffe, wir könnten uns immerhin auf die Katzenbilder einigen.

Max Walder, geboren 2001, Eppan

Dieser Beitrag stammt aus der Serie „Was junge Menschen in Südtirol über die Welt im Jahr 2050 denken“, herausgegeben von Roland Benedikter (Eurac Research).

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