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Deutsche sagen „Sie“ zueinander. Sie brüllen sich mit „Sie“ an, wenn sie im Straßenverkehr aneinandergeraten. Schüler werden ab 16 von den Lehrern gesiezt. Mein Vater hat einen seiner besten Freunde jahrzehntelang gesiezt. Erst als sie gemeinsam in Bergnot gerieten und um ihr Leben bangten, gingen sie zum „Du” über. Das „Du” anbieten: Das hat für Deutsche zwar nicht ganz den Rang eines Heiratsantrags, geht aber in diese Richtung. Es kommt durchaus vor, dass ein Duz-Antrag abgelehnt wird, weil der Adressat die Zeit für diesen gravierenden Schritt noch nicht gekommen sieht – eine peinliche Situation für beide.
Für den sanfteren Übergang hat der Deutsche Zwischenstufen vom „Sie“ zum „Du“, die sozusagen einer Verlobung gleichkommen. Zum Beispiel das „Hamburger Sie“, bei dem man den Vornamen mit dem „Sie“ kombiniert: „Tobias, könnten Sie bitte die Türe schließen?“ Oder das „Münchner Du“, bestehend aus „Du” und Nachnamen: „Hürter, mach die Tür zu!” Es ist verwirrend.
Südtiroler ersparen sich all das, indem sie von vornherein duzen, fast jeden, fast immer. Ich habe mich daran gewöhnt und duze routiniert zurück. In extremen Duz-Situationen, zum Beispiel wenn ich auf einer Behörde von einem mir unbekannten Beamten geduzt werde, muss ich einige Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht zum „Sie” zurückzufallen. Duzende Beamte sind in Deutschland so undenkbar wie siezende Freunde in Südtirol. Beamtenduzen ist nach deutschem Recht strafbar.
Ich bin ein überzeugter Siezer. Piefke eben. Ich schätze die Variation zwischen Du und Sie als Mittel, um die Distanz zwischen meinen Mitmenschen und mir zu regulieren. Andererseits ist mir das Sie-Du-Gedöns oft lästig, daher schätze ich auch das geradlinige Südtiroler Du. Beide Welten haben etwas für sich, und ich bin in dieser Hinsicht froh, zwischen ihnen zu leben. Deutsche siezen, Südtiroler duzen. Jeder tut, was er am besten kann. So kann es bleiben.
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