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Man findet Probleme halb so schlimm. Solange man sie nicht hat. Ich hatte immer viele Haare. Genetisch fühlte ich mich auf der sicheren Seite. Irgendwann mit 29 oder so wurden meine Schläfen etwas grau. Macht nichts, dachte ich. Robert Redford hat graue Schläfen. Robbie Williams auch.
Vor einem halben Jahr dann ging es los. Ich stand morgens vor dem Spiegel und es kam mir so vor, als würden sich an den Seiten und auch vorne die Haare etwas lichten. Ich spürte so ein Zittern in mir. Das Zittern war Angst. Der Kopf, genauer gesagt, seine Oberfläche, ist die Problemzone des Mannes. Die Glatze ist die Cellulite des männlichen Ü-30ers.
Du spinnst, sagte mein bester Freund. Da ist nichts, sagte er.
Ganz sicher nicht. Da, na ja, vielleicht ganz ein bisschen, das ist doch normal in dem … Na ja? Vielleicht? Na ja und vielleicht sind keine Begriffe, die ein bester Freund auf die Frage, ob man eine Glatze bekommt, verwenden sollte. Auch nicht nach der dritten Nachfrage: Sicher nicht? Auch nicht nach der Aufforderung: Jetzt sei doch mal ehrlich!
Der Schaden war nicht mehr gutzumachen. Ich verbrachte Stunden vor dem Spiegel. Auf den ersten Blick war tatsächlich alles in Ordnung, man sah nichts, aber beim genaueren Hinsehen, vor allem nach dem Vergleich mit Fotos von früher, wurde mir klar: Mir bleibt nicht mehr viel Zeit.
Meine Haare wurden zu meinem Projekt. Und was machen Männer, wenn sie Projekte angehen: Sie steigern sich rein. Ich steigerte mich rein. Männer mit neuen Projekten fahren – Jabbajajayippiyippiyey – zum Baumarkt. Dann zum nächsten. Sie vergleichen die Produkte, die Preise. Sie lesen Fachliteratur, sie abonnieren Fachzeitschriften, sie recherchieren auf Nerdforen im Internet oder sie gründen eins.
Ich klapperte in Berlin (das ist die Stadt, in der ich lebe) zwei Dutzend Kosmetikläden ab und kam mit zwei Tüten voll mit Haarmitteln zurück. Die hießen alle „Magic Elixier“, „Revitalizer“ oder so ähnlich. Ich gab ein Vermögen aus.
Ich überlegte mir, wie weit ich gehen würde. Ernährung umstellen: Keine Lust dazu. Morgens Kopf und Haare kalt duschen und dann kalt föhnen (laut meiner Google-Recherche sollte das helfen): Drei Tage lang durchgehalten. Für den Rest meines Lebens mit Yankees-Basecap rumlaufen: Nicht mein Style. Haartransplantation: Idee sofort wieder verworfen.
Das ist ja jetzt in Mode, sich Haare zu transplantieren und dann auch noch dazu zu stehen, in die Kamera zu grinsen und zu sagen: Hey, ja, habe ich gemacht, sieht doch gut aus, stehe ich voll dazu, nix wofür ich mich schämen muss. Das alles mit Nix-wofür-ich-mich-schämen-muss-Grinsen. Wayne Rooney hat das gemacht. Jürgen Klopp. Christian Lindner. Benedikt Höwedes. Ich habe wirklich keine drei Sekunden darüber nachgedacht. Ich meine, Benedikt Höwedes. Ich hörte mich schon sagen: Hey, klar, habe ich gemacht, so wie Benedikt Höwedes, sieht doch gut aus …
Eine weitere Möglichkeit: Dem Schicksal zuvorkommen. Sich eine Glatze rasieren. So tun, als ob man das cool fände. So Pep-Guardiola-mäßig cool. So Dieser-letzte Bachelor-mäßig cool. Mir lief es kalt den Rücken runter. Auch die Idee verwarf ich wieder. Nach Sekunden.
Es gibt ein paar coole Glatzenträger, die meisten von ihnen lassen ihre Glatze einfach so, wie sie ist. Und dann gibt es noch Bruce Willis. Aber der rettet auch New York vor bösen Terroristen und schießt sich selbst in die Schulter, um den Bösewicht, der hinter ihm steht, mit derselben Kugel zu töten. So wie Bruce Willis werde ich nie sein.
Eine letzte Möglichkeit: Sich einen lustigen Oberlippenbart wachsen lassen, so Salvador-Dalí-mäßig und von nun an der lustige Kerl sein, über den alle ein bisschen schmunzeln, der eine Glatze hat, aber das fehlende Haupthaar mit einem lustigen Oberlippenbart zu kompensieren versucht.
Ich hatte schlaflose Nächte mit Schüttelfrost. Wenn ich doch mal schlief, dann träumte ich wirres Zeug. Ich träumte davon, dieser lustige Glatzenmensch mit Dalí-Schnurrbart zu sein, der zudem immer so lustige Glatzensprüche bringt und nicht mehr damit aufhört: Ein schönes Gesicht braucht Platz. Wenn der Verstand wächst, müssen die Haare weichen. Haare sind wie junge Mädchen, wenn sie ausgehen wollen, gehen sie aus. Meine Glatze ist auf die Spitze getriebener Nudismus. Glatzköpfe haben mehr vom Leben, sie verschwenden keine Zeit beim Frisör.
Ich mag meinen Frisör. Ich verschwende gerne Zeit da. Frisöre strahlen so eine innere Ruhe aus. Zumindest mein Frisör tut das. Er plappert nicht. Er sperrt morgens seinen kleinen Laden auf, macht sich einen Kaffee, schneidet ein paar Leuten die Haare, mittags setzt er sich in die Sonne, wenn sie scheint, isst eine Kleinigkeit, raucht eine Zigarette, trinkt noch einen Kaffee, liest ein bisschen in der Zeitung, dann schneidet er wieder ein paar Leuten die Haare, im Hintergrund läuft leise Puccini, am späten Nachmittag sperrt er seinen Laden wieder zu, trinkt an der Bar an der Ecke noch ein Glas Wein oder ein Aperitif und geht nach Hause oder sonst wohin. Ich finde, mein Frisör hat das beneidenswerteste Leben der Welt. Ich würde ihn vermissen. Das wusste ich.
Ich wachte auf aus dem Glatzenmensch-mit-Dalí-Schnurrbart-Alptraum, schweißgebadet. Fasste mir an den Kopf. Fuhr mir durch die Haare. So ging das ein paar Wochen, dann ging es wieder. Weil, das Gute ist: Wenn Männer ein Projekt haben, dann steigern sie sich rein. Ein paar Wochen lang. Aber: Dann verlieren sie schnell auch wieder das Interesse daran. Suchen sich ein neues Projekt.
Vor einer Woche ging es los. Ich stand morgens vor dem Spiegel. Ich stellte mich seitlich hin. Zog meinen Bauch ein. Ist der dicker geworden? Ich habe sofort zwanzig Liegestütze gemacht. Googelte nach „Waschbrettbauch in 100 Tagen“ …
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