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Am Donnerstagabend sind die Straßen vor dem Europäischen Parlament in Brüssel wie leer gefegt. Alle drängen in die Bars am Place de Luxembourg. Um Bier zu trinken. Und um ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen: smalltalken.
Im Gespräch mit jungen Praktikanten aus aller Welt erfährt man allerhand. Da gibt es Sara, die bei der UNO arbeitet und abends immer auf Konferenzen geht, um Gratis-Brötchen zu futtern. Dann ist da noch Sven, der tagsüber für eine Wirtschaftslobby schuftet und nachts seine Bachelorarbeit schreibt. Er schläft deshalb nur drei Stunden. Von seinem Chef erhält er später ein nettes Arbeitszeugnis und einen feuchten Händedruck.
Jeder spricht hier mindestens zwei, eher drei oder vier Sprachen. Die Brüsseler Praktikanten haben eine gute Ausbildung, eine weltoffene Geisteshaltung und die unerschütterliche Motivation, den eigenen Lebenslauf zu pimpen. Dabei nehmen viele keine oder eine sehr geringe Bezahlung, ohne geregelte Arbeitszeiten in Kauf.
Die Situation in Brüssel ist ein Spiegelbild für die Arbeitsverhältnisse der jungen Menschen in ganz Europa. Laut einer Umfrage der Internationalen Arbeitsorganisation aus dem Jahr 2011 werden 49 Prozent der Praktikanten in Europa überhaupt nicht bezahlt. Von denen, die eine Entschädigung erhalten, können 45 Prozent der Befragten ihre Lebenskosten nicht damit abdecken. Und das, obwohl sie hart arbeiten, denn „Praktikum“ bedeutet ja nicht Kaffee kochen und dumm in die Luft schauen.
Praktika ermöglichen – wie der Name vermuten lässt – einen Einblick in die Praxis und die Möglichkeit, Wissen und Erfahrungen zu sammeln. Sie ebnen den Weg zum späteren Berufseinstieg. Die meisten sind deshalb froh, überhaupt einen Praktikumsplatz ergattert zu haben. Trotzdem ist es überraschend, mit welcher Gleichgültigkeit die jungen Menschen ihre Unterbezahlung hinnehmen. Empörung? Fehlanzeige. Das ist etwas für Moralisten und Wutbürger jenseits der 50. Unsere Generation gründet bei gesellschaftspolitischen Missständen lieber Facebook-Gruppen oder denkt sich kreative Hashtags aus. Wie naiv.
Zugegeben, ich habe auch keinen smarten Fünf-Punkte-Plan in der Schublade, wie man das Problem lösen könnte. Aber es wäre schon ein Fortschritt, wenn wir die Dinge beim Namen nennen. Ein Student, der 40 Stunden die Woche arbeitet und keinen Cent verdient, wird ausgebeutet. Ich denke, das kann man durchaus so sagen, ohne gleich den marxistischen Klassenkampf zu beschwören.
Wir sollten deshalb den Mut besitzen, unbezahlte Praktika gar nicht erst anzunehmen. Wir sollten die Dreistigkeit besitzen, einen Lohn zu fordern, mit dem wir unsere Miete, unser Essen und ja, auch unser Feierabendbier finanzieren können.
Wir sollten uns gegen un- und unterbezahlte Praktika wehren. In Südtirol. In Brüssel. Überall.
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