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Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 04.03.2024
LebenMännlichkeit und Liebe im Patriarchat

Die „Leiden“ des jungen Mannes     

Veröffentlicht
am 04.03.2024
Ist der Mann „Opfer“ oder „Täter“ in einer patriarchalen Gesellschaft? Die Meinungen von Feminist:innen sind gespalten. Eine kritische Analyse von Männlichkeit, Liebe und Emotionsarbeit im Patriarchat durch die kontroversen Stimmen von Autorin bell hooks und Männerforscher Christoph May.
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Die Rolle und die Hindernisse des Mannes in patriarchalen Gesellschaften werden in feministischen Diskursen hitzig und kontrovers diskutiert. Während sich viele – allen voran die afroamerikanische Autorin bell hooks – sicher sind, dass Männer unter dem Patriarchat leiden, belächeln andere die vermeintlichen Wunden des Patriarchats für Männer. Dem schließt sich auch Männerforscher Christoph May an: „Das Patriarchat hat negative Auswirkungen für alle, auch für Männer. Dennoch fühlt es sich komplett falsch an, Männern im Patriarchat eine Opferrolle zuzuschreiben und von deren Leiden zu sprechen, wenn die eigentlichen Leidtragenden Frauen und FLINTAS* sind.“
Doch welche patriarchalen Strukturen betreffen nun konkret nicht nur das Leben von Frauen, sondern auch das von Männern?

Vermeintlich emotionslos: zu Gefühllosigkeit erzogen?
bell hooks versucht in ihrem Buch „Männer, Männlichkeit und Liebe“ (2004) den Spuren männlicher Emotionsarbeit zu folgen. Darin beschreibt sie, welche Wunden patriarchale Gesellschaften Männern zufügen. Sie bezieht sich kurz darauf, dass Männer bereits in frühester Kindheit dazu erzogen werden, ihre Gefühle abzuspalten, was zu unterdrückter Wut führt.

„Männer können nicht lieben, wenn ihnen die Kunst zu lieben nicht beigebracht wurde. Es ist nicht wahr, dass Männer sich nicht ändern wollen. Wahr ist, dass viele Männer Angst vor Veränderung haben. Um lieben zu können, müssen Männer imstande sein, sich von ihrem Wunsch zu verabschieden, andere zu beherrschen.“ – bell hooks

– bell hooks
Feministin bell hooks

Bedeutet das, dass alle Männer gefühllos sind? Christoph May, Mitbegründer des Detox Masculinity Institute in Berlin, widerspricht dieser Annahme. Er betont, dass Männer durchaus alle Facetten von Gefühlen erleben, jedoch Schwierigkeiten haben, diese zu benennen. Psychologe Björn Süfke stimmt dieser These zu und erklärt, dass Männer oft nur grundlegende Emotionen wie Wut und Aggression kennen, da ihnen der Ausdruck und Umgang mit anderen Gefühlen fehlt oder dieser verlernt wurde.
May argumentiert, dass diese mangelnde emotionale Ausdrucksfähigkeit sozial erlent wird. Studien zeigen, dass die emotionalen Sprachmuster, die durch Medien, Abwesenheit von Vätern und andere Einflüsse vermittelt werden, dazu führen, dass Männer Konflikte eher bekämpfen, ablehnen oder leugnen, anstatt darüber zu sprechen. Dies führt auch zu einer geringen Kritikfähigkeit bei Männern, da sie nicht gelernt haben, konstruktiv mit Kritik umzugehen.

„Wenn Männer aus dieser hegemonialen Männlichkeit aussteigen, können sie ein deutlich erfüllteres, sinnstiftenderes Leben führen.“

– Christoph May

Ein weiterer Faktor, der die emotionale Entwicklung beeinflusst, ist die Art und Weise, wie Eltern mit ihren Kindern kommunizieren. Unbewusst neigen Eltern dazu, mit Jungs sachlicher und distanzierter zu sprechen, während sie mit Töchtern andere Themen ansprechen und eine andere Art der Kommunikation wählen. Auch das führt dazu, dass Männer frühzeitig den Zugang zu ihren Gefühlen verlieren. „Die Auswirkungen dieses Mangels an emotionaler Kompetenz zeigen sich, wenn Männer in späteren Lebensphasen Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle zu verstehen und auszudrücken. Viele Männer, mit denen ich arbeite, haben seit Jahrzehnten nicht geweint, weil sie nicht mehr wissen, wie das geht“, so der Experte.

„Um Jungen die Regeln des Patriarchats zu indoktrinieren, zwingen wir sie dazu Schmerz zu fühlen und ihre Gefühle zu verdrängen.“

– bell hooks

Kulturell „verarmte“ Männer und eine sozioökonomische „arme“ Gesellschaft

Männerforscher Christoph May

Viele Argumente für das Leiden der Männer im Patriarchat belegt bell hooks mit persönlichen Erfahrungen von Männern aus ihrem Umfeld, wobei sie auch auf statistische Ungleichheiten verweist: Laut dieser sterben Männer früher an Überarbeitung, Herzinfarkt, Alkohol-, Tabak- oder Drogenmissbrauch, durch Selbstmord oder Mord oder im Krieg als Frauen.
May unterstützt hooks’ These: Männer würden definitiv von einem Ausstieg aus dem Patriarchat profitieren. „Wenn Männer aus dieser hegemonialen Männlichkeit aussteigen, können sie ein deutlich erfüllteres, sinnstiftenderes Leben führen.“
Wenn toxische Männlichkeitsstrukturen wie Schweige-, Missbrauchs- und Gewaltkulturen aufgelöst werden, profitiere davon sogar die Wirtschaft, erklärt May und verweist auf das Werk von Boris Heesen mit dem Titel „Was Männer kosten“. Der Autor zeigt darin auf, welchen Schaden Männer durch Drogenkonsum, Gewalt, Gefängnisaufenthalte usw. anrichten, und kommt auf einen jährlichen Gesamtbetrag von 63 Milliarden Euro in Deutschland. Dabei sind unbezahlte Care-Kosten, die oft auf Frauen abfallen, noch nicht einmal mit eingerechnet.

Ein Ausstieg aus dem Patriarchat wäre also durchaus für alle profitabel. Dennoch geht der Männerforscher May nicht so weit zu behaupten, dass Männer die „Opfer“ des Patriarchats sind. Er warnt davor, dass dieses Betroffenen-Narrativ eine beliebte Abwehrstrategie für Männer darstellt. Er spricht stattdessen von einer enormen kulturellen Armut: „Männer, die in ihren männlichen Monokulturen feststecken, leben kulturell ärmer, humorloser und sind oft total unterfordert.“

„Die Wahrheit, die wir nicht erzählen, ist, dass Männer sich nach Liebe sehnen.“

– bell hooks

Sexgesteuert und liebesunfähig: Was ist dran am Vorurteil?
Laut Feministin bell hooks sollen Männer statt Liebe in absurder Übersteigerung Sex begehren und damit noch mehr verlernen, echte Beziehungen aufzubauen. Die feministische Darstellung des männlichen Sexualtriebs vermittelt beinahe den Eindruck, als könnten Männer gar nicht anders. Diese vermeintliche zwanghafte Passivität stößt bei Männerforscher Christoph May auf Kritik: „Laut bell hooks klingt das fast wie ein unvermeidlicher Fluch.“ Gleichzeitig ist es in sich antifeministisch, Geschlechtsverkehr als etwas darzustellen, das per se dem Mann zusteht.        
Der 44-Jährige sieht jedoch das große Problem in der Eindimensionalität von männlicher Sexualität. Dazu gehören Annahmen wie die Gleichsetzung von Sex mit Penetration, die Abwehr und Leugnung komplexer Gefühle, mangelndes Konsensbewusstsein sowie die Ablehnung fluider Sexualitäten. May betont: „Konsens ist sexy! Bock zu ficken? Darf ich dich küssen? Konsens macht alles so viel besser.“ Dennoch versuchen viele Männer, das sexistische Narrativ aufrechtzuerhalten, dass Konsens anstrengend sei oder die Stimmung ruinieren würde.

Dieses Verhalten geht einher mit der männlichen Dominanz- und Pornokultur, die zusätzlich den weiblichen/FLINTA*-Körper abwertet, objektiviert, gewalttätige Fantasien beinhaltet und von sexueller Einfallslosigkeit geprägt ist. May stellt fest, dass er selten Männer über Zärtlichkeit oder respektvollen Umgang miteinander sprechen hört. Mit seiner Partnerin Stephanie May bietet er seit einem halben Jahr feministische Paarberatung an, wo das Thema Sex oft ein zentrales Problem ist: „Die meisten Paare führen ein gehemmtes, einseitiges und unsicheres Sexualleben. Die wenigsten Männer haben sich jemals in einer Beziehung die Frage gestellt, wie einfühlsam, zärtlich oder hingebungsvoll sie sind und was Frauen mögen oder nicht mögen. Ihnen ist das peinlich, sie wollen darüber nicht sprechen.“

„Die Frage ist, ob Männer bereit sind, ihre Privilegien abzulegen und das lässt sich bis dato noch nicht beobachten.“

– Christoph May

Neben Desinteresse an weiblicher Lust, Konsens etc. beschreibt Autorin bell hooks das Lügen über Sexualität als einen akzeptierten Teil der patriarchalen Männlichkeit. Das bedeutet in anderen Worten, dass Männer in einer patriarchal geprägten Gesellschaft konstant dazu aufgefordert werden, über sich, ihre Begehren oder die Intimität mit anderen Menschen die Unwahrheit zu erzählen. Das belegen auch einige Studien zum Thema Penisgröße und Bodycount, wo Männer im Durchschnitt in Größe und Anzahl eher dazu tendieren auf- als abzurunden. Dieses vermeintlich männliche Gehabe und die „Angeberei“ beschreibt die Autorin in ihrem Buch als Dominanzkultur. hooks verweist damit darauf, dass Sexualität im Patriarchat für Männer einen Kampf bedeutet, in dem sie gelehrt werden, dass es für sie sicherer sei, gefürchtet als geliebt zu werden. Dieser Annahme stimmt auch May zu, welcher dieses Phänomen des „Gefürchtetseins“ mit der fragilen Männlichkeit begründet. Diese Dominanzkultur zeigt sich laut dem Experten aber nicht nur in Bereichen der Sexualität, sondern ganz allgemein. Sie zeigt sich immer dann, wenn Männer beispielsweise bei einem feministischen Thema nicht zuhören, sofort reinreden, lauter reden und damit das Gegenüber „besiegen“ wollen. 

Der Ausstieg aus dem Patriarchat: eine Utopie?       
bell hooks sieht einen Ausweg aus dem Patriarchat nur dann, wenn Männer von konditionierten Kriegern zu ganzheitlichen Persönlichkeiten werden. Erst dadurch können laut der intersektionalen Feministin männliche Seelen heilen, wobei sie tatkräftig von Frauen unterstützt werden sollen: „Nur dann können sie aus ihrer Verdingung als Ernährer, Arbeitsweltkrieger und porno-konsumierende Schürzenjäger aussteigen.“ hooks Plädoyer an die Frauen lautet demnach, Männer nicht zu bekämpfen, sondern ihr Leiden anerkennen und ihnen helfen, in Kontakt zu sich und anderen zu kommen. 

„Um liebende Männer zu erzeugen, müssen wir Männer lieben. […] Sich um Männer zu kümmern, wegen dem, was sie für uns tun, ist nicht dasselbe, wie sie zu lieben, einfach weil sie sind. Wenn wir Männlichkeit lieben, bieten wir Liebe an, egal ob Männer Leistung bringen oder nicht.“

– bell hooks

Genau dieser „Frau muss Mann helfen“-Ansatz, den bell hooks in ihren Werken betont, stößt bei einigen Feminist:innen auf Widerstand. Christoph May äußert sich klar dazu: „Nein, die Frau muss ganz gewiss nicht den Mann überzeugen, aus seiner privilegierten patriarchalen Bubble auszubrechen oder ihm dabei gar noch helfen. Das kann er alleine. Die Frage ist nur, ob Männer bereit sind, ihre Privilegien abzulegen und das lässt sich bis dato noch nicht beobachten.“

May betont, dass es einen immerwährendes Missverständnis im Emotionsdiskurs bei Männern gibt, nämlich dass Emotionsarbeit meistens bei den Partner:innen abgeladen werden kann. Diese oft unreflektierte Erwartungshaltung führt zu vielen gescheiterten Beziehungen. Emotionale Arbeit kann in eine Beziehung eingebracht werden, sollte aber ausgewogen sein, ohne einen unterbewussten Anspruch an die Frau, dem Mann mit seinen Gefühlen helfen zu müssen. 

„Viele Männer, besonders im patriarchalen Kontext, sind erst dann zu Veränderungen und Kompromissen bereit, wenn sie persönliche Vorteile sehen oder die Situation für sie ungünstig wird.“

– Christoph May

In Bezug auf männliche Emotionsarbeit achtet der Co-Leiter des Detox Masculinity Institute in seiner Arbeit mit Männern darauf, dass der Emotionsdiskurs in einen größeren Kontext eingebettet ist. Er betont, kein Therapeut oder Psychologe zu sein und lenkt die Aufmerksamkeit auf die männlich dominierten Strukturen. Er hinterfragt die Plausibilität, dass Männer in der kritischen Männlichkeitsdebatte oder bei anderen feministischen Themen zunächst ihre über Gefühle sprechen wollen und spricht von einem Abwehrdiskurs. „Die Neigung der Männer, persönliche Geschichten und Gefühle zu betonen und zu verallgemeinern, statt sich auf Fakten und Zahlen zu konzentrieren, ist so stark, dass ich in Workshops vermehrt darauf hinweise, wie wichtig es ist, die objektiven Daten zu betrachten.“

bell hooks erzählt hingegen immer wieder von Männern, die erleichtert weinen, wenn ihnen ihre Unterdrückung im Patriarchat bewusst wird. Doch steht dieses Bild für alle Männer? Sind Männer wirklich willig, sich aus ihrer „scheinbaren“ Unterdrückung zu befreien und patriarchale Privilegien abzulegen? May sieht dies skeptischer und berichtet von nur sehr wenigen Männern, die tatsächlich bereit sind, neue feministische Wege zu beschreiten. „Oftmals postulieren sich Männer als emanzipativ, aber sobald es dann um konkrete Schritte geht, wie die Einführung von Frauenquoten, bei denen sich Männer einfach limitieren müssten, schweigen sie sich raus.“

May betont die Bedeutung von Instagram, TikTok und Youtube, wo Männer unzählige queere und weibliche Vorbilder finden und deren Lebensrealitäten kennenlernen können – und wo man vereinzelt auch Männern folgen kann, die über Mental Load und sexistische Themen reden und sich gegen Gewalt und Sexismus aussprechen. Er beschreibt zudem einen aktuellen Backlash mit traditionellen, gewalttätigen Männlichkeiten, repräsentiert durch Figuren wie Trump und die AfD. Gleichzeitig gäbe es aber auch positive Entwicklungen durch prominente Frauen wie Taylor Swift, Beyoncé, Greta Gerwig und erfolgreiche weibliche Fußballmannschaften, die an Ansehen sowie struktureller Macht und Einfluss gewinnen.         

Wie man das Blatt auch dreht und wendet, erfordert der Ausstieg aus dem Patriarchat einen Wandel männlicher Denk- und Verhaltensmuster. Ob nun durch Eigeninitiative, Liebe, gesellschaftlichen Druck oder gar durch die Unterstützung der Frau, bleibt eine offene Debatte.

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