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Barbara Plagg
Veröffentlicht
am 29.01.2024
MeinungMotherhood unPlagged

Die gute Mutter – Vom Normalisieren der elterlichen Erschöpfung

Veröffentlicht
am 29.01.2024
Unerreichbarer Muttermythos: Barbara Plagg über die Unmöglichkeit, eine perfekte Mutter zu sein und warum wir es dennoch alle versuchen. Ein Appell, Belastungen zu verringern und sich von utopischen Mutterbildern zu lösen.
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Vor drei Jahren stand ich in der Uni, kotze in einen Gummibaum, dachte an Kate Middleton und schämte mich. Nicht, weil ich in einen Gummibaum kotzte, sondern weil ich, als Kate in einen Gummibaum kotzen musste, gedacht hatte: “C’mon, Prinzesschen, das bisschen Winken wirst du schon trotz Schwangerschaft noch schaffen.“ Und jetzt war es zum Abwinken. Ich kotzte mich aus der Uni raus über die Straßen bis nach Hause, kotzte mich durchs Treppenhaus bis vor die Kloschüssel und kotzte dort weiter. Wochenlang und bis zu neunmal die Stunde. Ich kotzte mich fünf Kilo unter mein Normalgewicht und meine Lebensfreude. Der gesellschaftliche Diskurs, der die Schönheit und Erfüllung des Kinderkriegens und -habens als einzige Erzählung rumposaunt, hatte mir rosa Schwangerschaftsyoga und himmelblauen Nesttrieb versprochen, ich aber hasste die ganze Welt, weil sie stank, stank, stank und ich musste kotzen, kotzen, kotzen. Hyperemesis gravidarum oder „Ist nicht so schlimm“, nennt man das unstillbare Schwangerschaftserbrechen, wie der Arzt sagte, der mich an den Tropf hing, weil auch kein Schluck Wasser mehr unten blieb, „das geht vorbei“.

Mutter zu werden bedeutet, in eine kollektive Lüge einzutreten.

Barbara Plagg

Ging es nicht. Nicht die Schwangerschaftsübelkeit, die mir in „leichterer“ Form bis zur Geburt blieb und nicht das Bagatellisieren und Normalisieren mütterlicher Notlagen. Und auch nicht, dass ich wie blöde dabei mitspielte. Im Gegenteil, das nahm mit der Geburt erst so richtig Fahrt auf. Nun wird man als Frau ja grundsätzlich gern gesellschaftlich gegaslighted, bei Menstruationsschmerzen sind wir nur „empfindlich“, ein Herzinfarkt ist erstmal „wahrscheinlich nur stressbedingtes Unwohlsein“ und als die Coronaimpfung unseren Zyklus durcheinanderbrachte, haben wir Frauen uns weltweit das monatelang „sicher nur eingebildet“. Und das Schlimmste ist: Wir glauben den Mist auch noch selbst. Den Zenit der gesellschaftlichen Verarsche erreicht man dann aber mit der Elternschaft, wo die Bedürfnisse und Notlagen wahlweise nicht gesehen oder vertuscht werden, man aber gleichzeitig permanent dazu aufgefordert wird, „es zu genießen“. Mutter zu werden bedeutet, in eine kollektive Lüge einzutreten.

Zunächst presst man aber noch hoffnungsfroh und in der Überzeugung, als Mutter erstens besser und gechillter als alle anderen zu werden, einen Menschen in der Größe einer Gans aus einer Körperöffnung in der Größe eines Golfballes. Dabei erhält man jedoch weniger Schmerzmittel als bei der Ziehung eines Weisheitszahnes. Dann torkelt man schockverliebt mit dem kleinen Wesen im Maxi-Cosi nach Hause, wo man tags wie nachts so viel ackert wie noch nie — aber plötzlich nach gesellschaftlichem Maßstab überhaupt nichts mehr „arbeitet“. Noch im Wochenbett, wo man nachts alle zwei Stunden geweckt wird, damit sich jemand an seinen Nippeln festsaugen kann, um dann tagsüber mit schmerzenden Riesenbrüsten und blutender Vulva so verliebt wie erschöpft seinen Säugling rumzuschleppen, drängen sich erste Fragen auf: Hä, warum haben die auf Insta alle frisch gewaschene Gute-Laune-Babys in erdfarbenen Bio-Stramplern vor beigefarbenen Manufactum-Spielzeug rumliegen, während man selbst mit Kotze aufm Pyjama und dem mittelmäßig gelaunten Säugling im Arm aufm Klo sitzt, weil der sofort brüllt, wenn man ihn hinlegt — aber man auch eh gar nicht mehr wüsste, wohin man ihn noch legen könnte, weil überall alles rumliegt?

Es spielt sich nicht!

Barbara Plagg

Spätestens nach ein paar Jahren weiß man dann mit Sicherheit: Nee, das spielt sich nicht. Das mit dem Kind und der Karriere, mit der Me-Time und dem Musikunterricht, mit der Beziehungszeit und dem Bügeln, mit den selbstgemachten Dinkelkeksen und der bildschirmfreien Erziehung, mit dem Sexleben und dem Co-Sleeping, mit der Quality Time und dem Abwasch, mit der Hausaufgabenbetreuung und den Abholzeiten des Geschwisterchens bei der Tagesmutter, mit der Führungsposition und den betreuungsfreien Sommermonaten, mit der bedürfnisorientierten Erziehung montags um sieben, wenn ein Kind den einen Handschuh nicht findet, das andere sich inzwischen nochmal einen Joghurt aus dem Kühlschrank holt und man in einer halben Stunde im Meeting sitzen muss. Es spielt sich nicht. Nicht mit diesen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, nicht mit der Lohnabhängigkeit, nicht mit der lückenhaften Kinderbetreuung unterm Schuljahr, nicht mit der fehlenden Kinderbetreuung im Sommer, nicht mit der unvergüteten Carearbeit. Und es spielt sich eigentlich bei niemanden. Aber irgendwie spielen alle mit.

„Wenn ich da nicht mitspiele und nicht auch so tu, als käme ich damit zurecht, obwohl schon alles logischerweise anstrengend ist, dann sagen die, dass ich mich nicht genug bemühe, weil ich mein Kind nicht genug liebe“, sagte eine Freundin mal zu mir. „Das Schlimmste aber ist, dass ich neulich im Wartezimmer eine Mutter weinen gesehen habe, die war fix und fertig und mein erster Gedanke war: Jetzt reiß dich doch zusammen!“ Ich wusste sofort, was sie meint. Kate Middleton lässt grüßen und es ist zum Kotzen: Sie gaslighten uns so lange, bis wir uns gegenseitig gaslighten! Mütterliche Not wird normalisiert als part of the game und wir spielen alle mit. Erst, weil wir es nicht besser wissen und sobald wir es wissen, aus Angst, eine schlechte Mutter zu sein. Genialer Move des Patriarchats, die Mutterrolle mit Idealvorstellungen aufzuladen, die man in der Gegenwart der Kleinfamilie und Lohnabhängigkeit nie und nimmer erfüllen kann, wir aber (fast) alle so tun, als ob wir das schon irgendwie cool wuppen würden, um nur ja der mythisierten Rolle der „guten Mutter“ zu entsprechen! Weil größtes Versagen im Frauenleben überhaupt: Als Mutter zu scheitern. Mit Männern ist man da schon deutlich großzügiger. Aber auch für sie ist es nicht einfach.

Man kann für sein Kind alles geben und gleichzeitig (und genau deswegen) irgendwann nichts mehr zu geben haben.

Barbara Plagg

Dabei liegt es nicht an den Müttern. Und es liegt nicht an den Kindern. Und schon gar nicht an fehlender Mutterliebe, sondern am System, das Eltern alleine lässt. Man kann sein Kind nämlich gleichzeitig lieben und furchtbar erschöpft sein. Man kann für sein Kind Berge versetzen, Pausenbrote schmieren, Händchen halten, Schlaflieder singen, Hausaufgaben kontrollieren, zum Flöten-, Schlagzeug-, Judo- und Ballettraining fahren, man kann im Büro, im Krankenhaus, im Geschäft, im Hotel, in der Schule und in der Uni sein Bestes geben und trotzdem das Gefühl haben, nichts mehr wirklich auf die Reihe zu kriegen. Man kann dem perfektesten Persönchen aller Zeiten stundenlang fassungslos verliebt beim Schlafen zusehen und trotzdem das Gefühl haben, dass von der Person, die man selbst einmal war, wenig übrig geblieben ist. Man kann für sein Kind alles geben und gleichzeitig (und genau deswegen) irgendwann nichts mehr zu geben haben. Ich behaupte sogar, dass jene Mütter, die ihre Kinder unerschöpflich lieben, am erschöpftesten sind. Weil bedingungslose Liebe wahnsinnig zehrend ist. Die Freundinnen, die ich an der Mutterschaft zerbrechen sah, waren ausgerechnet jene, die ihre Kinder millionenmal bis zum Mond und wieder zurück liebten. Und von dieser unendlichen Liebe auch unendlich müde wurden. 

Und vom Warten darauf, dass „es vorbei geht.“ Seit ich kotzend überm Klo hing, habe ich mir den Spruch so oft anhören müssen wie nie zuvor. Als das Kind zahnte und ich um 9 Uhr im Büro stehen muss, als ich es auf dem WC stillen musste, weil es keine Stillräume gab, als es keinen Platz in der Kita bekam, als es keinen Platz in der Nachmittagsbetreuung im Kindergarten bekam, als ich auf mein Mittagessen verzichten musste, damit ich es von der Grundschule abholen kann, sogar als ich neulich mit dem proppenvollen Zug von Berlin nach Südtirol fuhr und über die ÖBB keinen Sitzplatz für meine Zweijährige reservieren konnte, weil man für Kinder unter 6 Jahren keinen Sitzplatz reservieren kann, sagte mir die Schaffnerin nach sechs Stunden schwitzend mit dem Kind auf dem Schoß: „Das geht vorbei.“ Klar, geht alles vorbei. Angesichts mangelnder Lösungsstrategien bleibt nur darauf zu hoffen, dass das Problem „Kindheit“ von alleine verschwindet. Und das Problem dabei ist, dass wir alle so tun, als sei das normal.
Als neulich eine Mama mit rotgeränderten Augen zu mir sagte: „I pock’s nimmer, i glab i muass kündigen.“, machte ich reflexhaft einen auf Kotz-Arzt: „Na, bisch sicher? Des geat vorbei, magari schloft sie bold durch!“ Aber WTF?! Nein! Warum verlangen wir von Eltern, dass sie einfach mal jahrelang aufm Zahnfleisch gehen, bis das Problem „verschwindet“? Dabei „verschwindet“ es noch nicht mal, es verwandelt sich nur! Die Kündigungen aus Unvereinbarkeit von heute sind die Altersarmut von morgen. Der Schlafentzug von heute ist die Angststörung von morgen. Der Stress von heute ist der Reizdarm von morgen. Das Kind von heute ist der Erwachsene von morgen, den wir zu wenig genießen konnten, weil wir immer abgehetzt waren. In einer Welt der SPA-Bereiche und Selfcare normalisieren wir die Erschöpfung der Eltern und schaffen genau deshalb keine nachhaltigen Lösungsstrategien.

Nicht, weil wir unsere Kinder lieben, müssen wir so viel ertragen. Sondern weil wir sie lieben, müssen wir damit aufhören.

Barbara Plagg

Und nein, unsere Großmütter haben das nicht besser hingekriegt, „obwohl sie dreimal so viel Kinder hatten.“ Für Oma war das auch schon beschissen, aber Oma musste immerhin nicht auch noch montags um 8:00 Uhr im Büro stehen, weil ein Gehalt zum Überleben und halbwegs sauber gekämmte Kinder fürs Mutterkreuz reichten. Aber auch Oma musste ganz schön oft auf „Kur“ und Oma durfte noch weniger darüber reden, warum. Das muss aufhören. Es muss aufhören, sonst hören irgendwann alle damit auf, Kinder zu machen. Werden ja eh immer weniger und wen wundert’s? Wie kategorisch Eltern nach wie vor übergangen werden, hat ja kürzlich die Pandemie deutlich überzeichnet, als von Eltern ernsthaft monatelang erwartet wurde, ihren Job neben der Betreuung und Schulung der eigenen Kinder fucking gleichzeitig auszuüben. Gleichzeitig! Das ist schon nicht mal mehr gaslighting, das ist, keine Ahnung, ghostlighting?! Kinder gibt es nicht. Sie sind bedürfnislose, stille und damit sozialpolitisch inexistent Wesen, deren Sein unerheblich ist. Ein Kind zu haben ist wie ein Haustier zu haben, wobei man mit dem Hund immerhin noch hundert Meter rausdurfte. Kinder hingegen kann man neun Stunden auf dem Schoß oder in die Gepäckablage setzen und seine Reise durchs Leben ganz normal fortsetzen. Und wenn’s anstrengend wird, dann muss man den Mangel an Care-Geld, flexibler Kinderbetreuung, Elternzeit und kinderfreundlichen Räume einfach lächelnd mit seiner Mutterliebe kompensieren. Wer sein Kind liebt, geht auch die eine Meile mehr noch, aufm letzten Rest Zahnfleisch.

Nein! Basta. Dass eine „gute Mutter“ alles erträgt gehört zum misogynsten Mist, den das System Patriarchat jemals hervorgebracht hat. In geschlechterpolitisch fortgeschrittenen Ländern brauchen Eltern weniger Antidepressiva als in Ländern mit schlechter Familienpolitik. Weil es eben kein privates, sondern ein systemisches Versagen ist! Und deswegen müssen wir endlich aufhören zu glauben, dass wir selbst schuld an der chronischen Elternerschöpfung sind. Wir müssen aufhören zu glauben, dass wir schlechte Mütter sind, wenn wir an den unvereinbaren Standards einer lohn- und leistungsabhängigen Gesellschaft scheitern. Wir müssen aufhören zu glauben, dass man das nicht ändern könnte. Wir müssen aufhören, mit dem Muttermythos miese Familienpolitik zu relativieren und uns gegenseitig als „schlechte Mütter“ gaszulighten, wenn wir nicht lächelnd und liebend alles privat kompensieren, was strukturell verabsäumt wurde. Wir müssen aufhören, zu normalisieren, dass Elternsein ein permanentes Überschreiten der Belastungsgrenze bedeutet. Nicht, weil wir unsere Kinder lieben, müssen wir so viel ertragen. Sondern weil wir sie lieben, müssen wir damit aufhören.

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