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Kathrin Runggatscher
Veröffentlicht
am 04.06.2024
LabernScience Shorts

Die Geheimgesellschaft

Veröffentlicht
am 04.06.2024
In dieser Ausgabe von Science Shorts beleuchten wir ein mächtiges und geheimnisvolles Netzwerk, das weltweit operiert. Die Mitglieder dieses Netzwerks verfügen über unterschiedliche Fähigkeiten: Einige sind Experten in der Abfallbeseitigung, andere entkommen aus den sichersten Gefängnissen, wieder andere können Lebewesen wie Zombies kontrollieren. Und einige von ihnen – mit Knoblauch und Butter gebraten – sind eine wahre Gaumenfreude.
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Ohne Pilze wäre das Leben, wie wir es kennen, nicht möglich. Durch Hefepilze können wir Bier, Wein und Brot genießen. Penicillin, aus einem Schimmelpilz gewonnen, und andere Antibiotika waren eine Revolution bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Pilze sind die Hauptverantwortlichen dafür, dass Totholz und Laub zu wertvollen Nährstoffen umgewandelt werden und Pilze waren vermutlich die ersten Lebewesen, die sich vom Wasser auf das Land gewagt haben.

Tier oder Pflanze?
Pilze sind weder Pflanze noch Tier. Obwohl sie Eigenschaften von beiden Gruppen haben, sind sie mit keiner der beiden Gruppen näher verwandt. In den frühesten biologischen Klassifizierungsversuchen wurden Pilze den Pflanzen zugeordnet, was auf den ersten Blick einleuchtet. Wenn man Pilze aber genauer anschaut, fällt auf, dass ihnen die grundlegende Eigenschaft von Pflanzen fehlt, nämlich die Photosynthese. Pilze ähneln in ihrem Stoffwechsel eher Tieren und müssen – wie wir – essen und atmen. Sie sind aber trotzdem keine Tiere. „Der Unterschied zwischen Tieren und Pilzen ist einfach: Tiere schieben Nahrung in ihren Körper hinein, während Pilze ihren Körper in die Nahrung schieben“, bringt es der britische Biologe Merlin Sheldrake auf den Punkt. Weil Pilze sich nicht wie wir fortbewegen können, haben sie eine erstaunliche Vielfalt an Möglichkeiten entwickelt, zu ihrer Nahrung zu kommen und sind deswegen eine der vielfältigsten – und auch artenreichsten – Klasse von Lebewesen auf unserer Erde.

Das größte bisher entdeckte Lebewesen ist ein Netzwerk.

Der Zombie-Pilz
Da gibt es etwa die Pilzgattung Cordyceps, die weltweit verbreitet ist. Diese Parasiten haben sich auf Insekten spezialisiert, und das auf eine genauso kreative wie gruselige Art und Weise: Wird eine Ameise oder ein anderes Insekt von den Sporen des Parasiten infiziert, verändert der sich ausbreitende Pilz die Gehirnchemie der Ameise – wie genau ist noch nicht gut erforscht. Die Ameise wird zum willenlosen Zombie, sie klettert auf die Spitze eines Grashalms und beißt sich dort fest. Diesen „Todesbiss“ wird die Ameise bis an ihr nahes Lebensende nicht mehr loslassen. In der Zwischenzeit hat sich Cordyceps weiter im Körper der Ameise ausgebreitet und aus ihrem Kopf wächst ein kleiner Fruchtkörper. Dieser enthält neue Sporen die, je nach Art, entweder von größeren Tieren mit dem Grashalm gefressen werden oder einfach auf die darunter wuselnden Artgenossen regnen, die dann den Horrorkreislauf fortsetzen. Wenn es dir jetzt kalt über den Rücken läuft, keine Angst! Der Pilz befällt nur Insekten und es ist nicht möglich, dass er einfach so den Wirt wechselt – „The last of us“ lässt grüßen.

Das Wood Wide Web
Pilze sind also mehr als nur Hut und Stiel. Was wir von ihnen sehen, ist meistens nur ein kleiner Teil. Der Großteil des Pilzkörpers wächst unter der Erde und bildet dort weitverzweigte Netzwerke, die man Mycelium nennt. Diese können gigantische Dimensionen annehmen. Das größte bisher entdeckte Lebewesen auf unserer Erde ist so ein Netzwerk. Ein einzelner dunkler Hallimasch in Oregon, hat einen Durchmesser von 965 Hektar, zehn Quadratkilometern oder 1.667 Fußballfeldern. Er wiegt mindestens 7.000 Tonnen, also 37 Mal mehr als der größte Blauwal. Sichtbar sind nur die tausenden Fruchtkörper, die dieser Riesenpilz hervorbringt, die man als einzelne Lebewesen wahrnimmt, aber unter der Erde sind sie alle eins.

Ein Pilz ist meist mit mehreren Bäumen verbunden und bildet so eine Verbindung zwischen ihnen. Damit ist der ganze Wald in einem „Wood Wide Web“ connected.

In jedem Wald gibt es tausende Pilzarten, die ein unterirdisches Netzwerk aufbauen. Darunter gibt es einige Parasiten, wie der eben erwähnte Hallimasch, aber die meisten dieser Pilze leben in Symbiose mit den Bäumen, die sie umgeben. Das Pilzmycel umschließt die feinsten Wurzeln oder wächst sogar in sie hinein. Die Bäume geben den Pilzen Nährstoffe, die sie nicht selbst herstellen können, und die Pilze geben den Bäumen Spurenelemente, Wasser und vielleicht sogar Informationen. Ein Pilz ist nämlich meist mit mehreren Bäumen verbunden und bildet so eine Verbindung zwischen ihnen. Damit ist der ganze Wald in einem „Wood Wide Web“ connected. Es gibt die Theorie, dass Bäume sich durch das Pilz-Netzwerk etwa vor Fressfeinden warnen oder sich gegenseitig mit Nährstoffen aushelfen, was bedeuten würde, dass im Ökosystem Wald Kooperation vorherrscht. Allerdings werden die Fähigkeiten dieses Wood Wide Web gerade unter Ökolog:innen sehr kontrovers diskutiert und es wird vor einer Vermenschlichung des Ökosystems gewarnt. Was aber sicher ist, durch den gegenseitigen Austausch von Nährstoffen und Zucker profitieren beide Spezies von dieser symbiotischen Beziehung und stärken auf diese Weise das für uns so wichtige Ökosystem. 

Die „Abfallbeseitigung“
Eine andere wichtige Rolle im Ökosystem Wald spielen Pilze, die für die Abfallverwertung zuständig sind. Die meisten dieser Pilze sind keine Kostverächter und fressen alles, was ihnen zwischen ihre Millionen „Finger“ kommt. Wie bereits erwähnt, wachsen sie in ihr Futter hinein und verdauen es von innen. Sie zersetzen Totholz, Blätter und snacken auch mal den einen oder anderen toten Vogel. Wenn zu wenig Stickstoff in Form von toter Materie vorhanden ist, werden einige von ihnen zu Jägern. Trifft der hungrige Pilz auf einen im Boden lebenden Wurm, bildet er aus seinen Fäden Schlingen aus, die sich bei Kontakt zusammenziehen und die Beute bewegungsunfähig machen. Die unterirdischen Fäden können Duftstoffe produzieren, um noch mehr Würmer anzulocken. Wenn sich ein Wurm in der Schlaufe verfangen hat, wachsen aus ihr kleine Fäden in den Wurm und verdauen ihn von innen. Noch eine Eigenschaft, die aus einem Horrorfilm stammen könnte.

Die Zersetzungswut der Pilze ist äußerst wichtig für den Boden – sie sind Pioniere, die auch robuste Strukturen wie Zellulose oder Lignin mühelos abbauen und so ein Substrat für andere Zersetzer wie Bakterien oder Insekten schaffen. Dadurch werden Nährstoffe schneller dem Kreislauf zurückgegeben, der Wald kann sich selbst regenerieren und mehr Arten Schutz bieten. Leider wird in unseren forstwirtschaftlich genutzten Wäldern oft zu wenig Totholz liegen gelassen, was sich negativ auf den Artenreichtum und die Resilienz des Ökosystems auswirkt. 

Für einen Organismus ohne Hirn und Nervensystem leisten Pilze Erstaunliches.

Pilze sind intelligent
Für einen Organismus ohne Hirn und Nervensystem leisten Pilze Erstaunliches. Sie können aktiv Gefahren ausweichen, bewegen sich koordiniert zu neuen Futterquellen und verteilen über ihre komplexen und riesigen unterirdischen Netzwerke Nährstoffe und Informationen in Form von Elektrizität und chemischen Signalen. Sie kommunizieren auch mit anderen Organismen, etwa indem sie mit Bäumen Nährstoffe austauschen – oder wenn ein Trüffel einen so unwiderstehlichen Duft aussendet, dass ein Wildschwein (oder ein Trüffelsucher) ihn unbedingt aus der Erde buddeln und essen will. All das ist doch ein Zeichen von Intelligenz?

Der Biologe Merlin Sheldrake meint, dass Pilze sehr wohl intelligent sind, aber auf eine andere Art, wie wir Intelligenz definieren würden, die aber in der Natur sehr erfolgreich ist. Die Intelligenz von Pilzen ist nicht gesteuert; es gibt in einem Pilzmycel keine Kommandozentrale wie unser Gehirn. Befehle werden vielmehr dezentral gegeben und ausgeführt und lokale Anpassungen passieren, ohne dass es dafür einen Plan gibt. Andererseits können sich Pilze aber auch gezielt einer neuen Futterquelle zuwenden und die Wuchsrichtung für das gesamte Netzwerk verändern, irgendwie gibt es also doch einen Plan. Wie das genau passiert, ist noch ein absolutes Rätsel für die Wissenschaft und einer der Gründe, warum Pilze uns noch immer in Staunen versetzen.

Deep Dive:
In „Entangled Life“ von Merlin Sheldrake nimmt dich der britische Biologe mit in seine wunderbare Welt der Pilze.

Wer den Zombiepilz Cordyceps in Action sehen will, kann sich dieses Video ansehen. Achtung, nichts für schwache Nerven!

Wenn du einen echten Urwald erleben möchtest, ist das in Europa leider gar nicht mehr so einfach. Der einzige Wald in den Alpen, der unberührt von menschlichen Eingriffen ist, befindet sich im Gebiet Dürrenstein in Niederösterreich.
Wenn du wie ich gerne Pilze isst und Kaffee trinkst, versuche dich doch an deiner eigenen kleinen Austernpilzzucht. Alles, was du dazu brauchst, sind dieser Pflanzkübel und dein morgendlicher Kaffeesatz.

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