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Selma Mahlknecht
Veröffentlicht
am 17.07.2018
MeinungKommentar zur WM

Die Angst vorm schwarzen Fußballmann

Veröffentlicht
am 17.07.2018
Wer hat Angst vorm schwarzen Fußballmann? Alle – oder zumindest noch viel zu viele. Das ist Selma Mahlknechts Fazit in ihrem Kommentar zur Fußball-WM in Russland.
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Also, eigentlich war es mir ja wurscht. Fußball wirkt auf mich einschläfernd, und die Tätowierungen von Neymar, Boateng oder Messi kann ich genauso wenig auseinanderhalten wie die dazugehörigen Spieler und ihre Mannschaften. Da mein Mann aber ganz gerne mal ein Fußballspiel anschaut und wahrscheinlich jedes WM-Spiel-Ergebnis seit 1958 im Kopf hat, habe ich die soeben vergangene Fußball-WM in Russland dann doch ein bisschen stärker mitbekommen als etwa die Champions League, um die ich mich immer glücklich herumdrücke. Meine Vorurteile haben sich freilich auch diesmal nicht groß verändert: Fußball ist für mich ein völlig überbewerteter Sport, viel weniger attraktiv als beispielsweise Synchronschwimmen (das in meinen Augen wiederum völlig unterbewertet ist). Die Spieler halte ich für hoffnungslos überbezahlt, und da lasse ich mir auch nicht einreden, ihre sportliche Leistung oder meinetwegen ihr Unterhaltungswert rechtfertigten in irgendeiner Form ihre Phantasiegehälter und abenteuerlichen Ablösesummen.

„So sympathisch mir bunte, ausgelassene, feiernde Menschen sind, so abscheulich finde ich es, wenn sich bei manchen Nationalismus und Rassismus zu einer giftigen Melange der Menschenverachtung vermengen.“

Deswegen war es mir eben eigentlich auch wurscht, wer bei dieser WM am Ende gewinnt. Wenn ich mir schon etwas hätte wünschen können, dann wäre es nett gewesen, wenn nicht die Reichsten gewinnen. Aber da spricht die Marxistin in mir, die sich in seltenen Momenten zu Wort meldet und die Fäuste schüttelt, wenn die Ungerechtigkeit der Welt ihr gar zu nahe rückt. Arm ist sowieso keiner dieser WM-Kicker, höchstens im Geiste. Und das ist dann auch wieder etwas, was er mit einigen seinen Fans gemeinsam hat.

Denn apropos Fans: Ich finde es eigentlich schön, wenn jemand begeisterungsfähig ist. Für wenige Stunden seine Emotionen sichtbar zu machen, mitzufiebern, zu jubeln oder zu trauern, das ist eine prinzipiell gute Sache und kann durchaus kathartisch wirken. Man kommt ja sonst so selten dazu, seine verspielte Seite zu zeigen. Ich habe auch ein Lied dazu gemacht und damit meine Sympathie für Fußballfans bekundet – und Mann und Hund hatten viel Spaß, mich dabei zu unterstützen.

Aber zugleich muss ich sagen: So sympathisch mir bunte, ausgelassene, feiernde Menschen sind, so abscheulich finde ich es, wenn sich bei manchen Nationalismus und Rassismus zu einer giftigen Melange der Menschenverachtung vermengen. Als harmlose Witzchen getarnt oder in einigen Fällen sogar mit offenem Hass vorgetragen werden da Sprüche und Bildtafeln geteilt, die einem die Haare zu Berge stehen lassen.

So wurde das schlechte Abschneiden der deutschen Mannschaft als das Versagen eines phantomatischen Multikulti-„Buntlands“ apostrophiert. Mit „echten Bio-Deutschen“ wäre das nicht passiert. Und echte Bio-Deutsche sind natürlich nur jene, die in ihrem Ahnenpass eine lückenlose westschwäbische familiäre Inzestlinie bis ins 15. Jahrhundert nachweisen können und deren Haut so farblos ist wie die einer schwindsüchtigen Anämikerin in einem Roman von Thomas Mann.

Überhaupt war Hautfarbe ein großes Thema bei dieser WM. Noch immer gibt es in vielen Köpfen einen Standard, und wer von diesem abweicht, braucht eine gute Ausrede. Der Norm-Mensch in unseren Köpfen ist noch immer weiß (oder genauer gesagt: rosa-beige, aber das klingt nicht so sauber). Wer diesem rosa-beigen Ideal nicht entspricht, hat sich etwas erschlichen, was ihm nicht zusteht, diese reflexartige Zuschreibung hat sich in den Jahren der aggressiv geführten Flüchtlingsdebatten in vielen Köpfen verfestigt.

„Seltsamerweise habe ich noch nirgends ein Wort darüber gelesen, dass die argentinische Elf schon verdammt weiß ist für eine südamerikanische Mannschaft.”

Natürlich: Den Spielern, die für Nigeria spielen, „verzeiht“ man, wenn sie schwarz sind. Den Spielern, die für Frankreich spielen, hingegen unterstellt man, nicht „echt“ zu sein. Jetzt schmarotzen diese Wirtschaftsflüchtlinge also auch schon in der sozialen Hängematte des Spitzenfußballs! So weit ist es mit uns gekommen! Das haben wir uns alles bieten lassen! Und dann sind sie auch noch Weltmeister geworden! Als ob es nicht genug wäre, dass sie unsere Frauen stehlen, jetzt nehmen sie uns auch noch den schönen Pokal weg!

Seltsamerweise habe ich noch nirgends ein Wort darüber gelesen, dass die argentinische Elf schon verdammt weiß ist für eine südamerikanische Mannschaft. Aber dass in Argentinien so viele Menschen wie Skandinavier aussehen, macht uns offensichtlich nicht stutzig. Wie gesagt: rosa-beige ist der Normmensch. Der darf überall sein. Nur der dunkelbraune Mensch fällt aus dem Rahmen und hat seinen genau definierten Platz, den er nicht verlassen darf.

In den sozialen Netzwerken so viel rassistische Hetze lesen zu müssen, war natürlich enttäuschend für mich. Ein echter Sportfan freut sich über guten Fußball, sollte man meinen. Und wie der Ballkünstler aussieht, ist völlig egal. Naja, manchmal träume ich eben noch von fliegenden Grünkernlaibchen …

Als nun im WM-Finale ausgerechnet Frankreich und Kroatien aufeinandertrafen, war es mir dann letztendlich doch nicht mehr wurscht. Nicht, weil ich einer rein weißen Mannschaft den Sieg nicht gegönnt hätte. Aber ausgerechnet die Kroaten haben sich in der Vergangenheit und auch wieder während dieser WM mit faschistoiden Aussagen, Gesten und Liedern hervorgetan. Wer die Ustascha und den Massenmord im kroatischen KZ Jasenovac während des Zweiten Weltkriegs verharmlost, kann natürlich trotzdem ein hervorragender Fußballspieler sein, aber meine Unterstützung hat er definitiv nicht mehr. Hitlergruß-Mandžukić war mir ohnehin nie besonders sympathisch. Diese Hintergrundinformationen habe ich meinem Mann zu verdanken, der eben nicht nur Fußballfan, sondern auch Konflikt- und Migrationsforscher ist und sich mit der Geschichte Ex-Jugoslawiens hervorragend auskennt.

„Aber ein Verdacht bleibt doch: Dass sich viele nicht in erster Linie FÜR die Kroaten, sondern GEGEN die Franzosen entschieden haben, weil diese zu wenig weiß waren.”

Selbstverständlich ist von einem Fußballfan nicht zu erwarten, dass er sich über jede Mannschaft kritisch und differenziert informiert, bevor er seine Sympathien verteilt. Die meisten entscheiden aus dem Bauch heraus, wenn sie schon nicht ihre eigene Nationalmannschaft unterstützen können oder wollen. Und bei dieser WM haben sich viele Bäuche für Kroatien entschieden. Wie gesagt, es ist niemandem zu unterstellen, dass er über die unappetitlichen Gesinnungsbekundungen dieser Mannschaft Bescheid wusste. Aber ein Verdacht bleibt doch: Dass sich viele nicht in erster Linie FÜR die Kroaten, sondern GEGEN die Franzosen entschieden haben, weil diese zu wenig weiß waren. Das zumindest lassen die vielen Postings vermuten, die nun mit verschämt vorgeschobener Ironie behaupten, nicht Frankreich, sondern „Afrika“ habe die WM gewonnen – ironisch ist daran höchstens die Ahnungslosigkeit, mit der manche die (vorwiegend unselige) Verquickung der europäischen und afrikanischen Geschichte verdrängen.

Natürlich könnte man jetzt einwenden, dass man von Fans doch nicht verlangen kann, sich mit Geschichte, Geographie und ellenlangen Hintergrundartikeln zu befassen, bevor sie zum Public Viewing gehen. Nein, das verlangt tatsächlich niemand. Aber es wäre schön, wenn wir uns als Menschheit irgendwann darauf einigen könnten, dass Unterstützung und Sympathie für eine Mannschaft oder einen Sportler okay sind. Hass, Hetze und Rassismus hingegen sind nie okay. Man möchte meinen, wir hätten uns schon längst wenigstens auf diesen Minimalkonsens geeinigt. Die Realität schaut jedoch nach wie vor anders aus, und mich beschleicht oft sogar der Verdacht, dass wir schon einmal weiter waren.

Naja, vielleicht klappt es ja bis zur nächsten WM. Die ist dann in Katar. Und im Advent. Ich nehme das einfach mal als gutes Omen. Denn wie sagt man so schön: „A Natale siamo tutti più buoni “. Ich drücke uns die Daumen.

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