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Die Reaktion von Albert Pürgstaller war nicht überraschend. Der ehemalige Vorsitzende der SVP-Arbeitnehmer und spätere Bürgermeister tritt aus Protest gegen die noch auszuhandelnde Koalition mit den neofaschistischen Fratelli d´Italia aus seiner Partei aus.
Ebenso wenig überraschend ist die Kritik des langjährigen Parlamentariers und Obmannes Siegfried Brugger an der angestrebten Koalition. Brugger ist ein erklärter Gegner von Arno Kompatscher, seine Ablehnung ein Anti-Kompatscher-Reflex. Laut Brugger wären andere Optionen möglich gewesen. Trotzdem ist die Kritik verwunderlich; Brugger plädierte in der Vergangenheit immer wieder für eine Annäherung an „Mitte-Rechts“.
Mit Unverständnis auf die Koalitionsverhandlungen reagierte auch Ex-Obmann Richard Theiner, Mitglied der Landesregierungen von Luis Durnwalder. Der ehemalige Arbeitnehmer kann sich mit der Politik seiner Partei nicht anfreunden.
Zu erwarten war, dass der ehemalige Parlamentarier Karl Zeller seinem Freund Arno Kompatscher den Rücken stärkt. Um die geschwächte Autonomie, wegen verschiedener Urteile des Verfassungsgerichts, wieder aufzurichten, ist für Zeller auch ein Pakt mit dem Teufel sinnvoll. Auch Paket- und Parteiübervater Silvius Magnago hätte so gehandelt. Zeller war ein engagierter Befürworter einer Zusammenarbeit mit den italienischen Mitte-Links-Parteien in Bozen und Rom. In seiner Polit-Bilanz stellt Zeller der mitte-linken Regierung Bestnoten aus. Sie unterstützten den gehaltvollen Ausbau der Autonomie, so seine Begründung.
Zeller stimmt in dieser Frage mit seinem langjährigen Parteifeind Luis Durnwalder überein. Der Landeshauptmann a. D. plädiert auf salto dafür, einen Vertrauensvorschuss zu wagen. Durnwalder, als einer der Freunde im Edelweiß ein strikter Kompatscher-Gegner, kann offensichtlich der „Zweck-Ehe“ mit den Neofaschisten einiges abgewinnen. Diese Positionierung verwundert keineswegs, ist Durnwalder doch der geistige Vater des rechten Blocks im Parteiausschuss. Genauso wenig die Stellungnahme des Alt-Mandatars Franz Pahl, der in seiner Amtszeit von seinen Kritikern als „deutschnationaler Stahlhelm“ abgeurteilt wurde.
Restauration statt Erneuerung
Der Politikwissenschaftler Günther Pallaver sieht in der von der SVP angestrebten Koalition mit den Fratelli einen Rückschritt in die Restauration, keine Erneuerung und eine große Gefahr für die SVP. Pallaver wirft der SVP vor, sich zum Türöffner für Rechtsextremisten zu degradieren.
Arno Kompatscher wurde, wie schon 2018, vom rechten Lager in der eigenen Partei überrumpelt. Er ließ sich vor fünf Jahren bloßstellen und ging eine Koalition mit der rechtspopulistischen Lega ein. Fünf Jahre später schafften es diese Kräfte abermals, Kompatscher in die Knie zu zwingen. Er musste als Zaungast bei der Sitzung des Parteiausschusses seiner eigenen politischen Beerdigung ohnmächtig zuschauen, analysierte Christoph Franceschini auf salto.
Kurzfristig soll Kompatscher einen Rücktritt überlegt haben, sagte er am „Runden Tisch“ auf RAI-Südtirol. Er verhinderte einen Totalabsturz der SVP, genauso wie sein Freund Hubert Messner, der als Unabhängiger auf der SVP-Liste am zweitmeisten Vorzugsstimmen erhielt. Mit ihrem Rücktritt wäre das rechte Machtkartell in der Partei vor einem Scherbenhaufen gestanden. Eine vertane Chance, die Strippenzieher in der außerhalb der Partei angesiedelten „cabina di regia“ zu entmachten.
Ob diese „cabina di regia“ auch für den Abstimmungs-Gau verantwortlich ist? Fast die Hälfte des Parteiausschusses fehlte bei der Abstimmung über die zu bildende Koalition. Orchestriertes Fehlen?
Die „Freunde im Edelweiß“ halten weiterhin am Programm fest, so Christoph Franceschini und zwar Kompatscher zu gängeln. Er lässt sich auch noch gängeln. Aus welchen Gründen auch immer. Seine Leidensfähigkeit scheint unbegrenzt zu sein.
Der zum Pragmatiker mutierte einstige Erneuerer Kompatscher vertritt nach seiner Niederlage im Parteiausschuss nun offensiv die mögliche Koalition mit der italienischen Rechten aus Lega und Fratelli. Sie stellen drei der insgesamt fünf italienischen Landtagsabgeordneten. Mit ihrem Einzug in die Landesregierung werde das Wahlergebnis der italienischen Wählenden ernst genommen, wirbt Kompatscher um Verständnis und Zustimmung. Ein begründetes demokratisches Argument.
Südtiroler:innen für Meloni
Kompatscher könnte auch auf eine Umfrage der Südtiroler Wirtschaftszeitung hinweisen, laut der 57 Prozent der Bürger:innen mit der Arbeit von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zufrieden sind. Werte, die höher sind als in den übrigen Regionen. Das Überraschende dabei: Die Zustimmung für Meloni ist unter der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung deutlich höher als unter der italienischen Bevölkerung. Überdurchschnittlich hoch sind die Werte auch bei den Wählern von SVP (64 Prozent) und Team K (59 Prozent). Selbst die Grünen-Wähler:innen äußern sich mehrheitlich positiv über Meloni.
Also betreibt die SVP Realpolitik, akzeptiert die italienische Rechtswahl und nimmt die Stimmung unter der Bevölkerung zugunsten von Meloni nicht nur zur Kenntnis, sondern ausgesprochen ernst.
Trotzdem, nicht von ungefähr spricht Zeller vom Pakt mit dem Teufel. Die beiden Parteien stehen sehr weit rechts. Die einstige föderalistische Lega des Umberto Bossi, separatistisch konservativ norditalienisch, entwickelte sich unter dem Polit-Hooligan Matteo Salvini nach rechts außen. Am vergangenen Wochenende versammelte Salvini in Florenz die europäischen Rechtsradikalen um sich, das französische RN von Marine Le Pen, die AfD, die österreichischen Freiheitlichen, als Pate stand der illiberale ungarische Ministerpräsident Viktor Orban zur Verfügung. Eine Allianz, die die EU ablehnt, die dem russischen Kriegspräsidenten nahesteht. Dieser Allianz gehören auch die Südtiroler Freiheitlichen an.
Seit ihrem Amtsantritt versucht Giorgia Meloni ihre Fratelli aus dem radikalen rechten Spektrum herauszuloten, bejaht die EU, die NATO, unterstützt die sich verteidigende Ukraine gegen das kriegführende Russland. Ihre Fratelli sind aber die politischen Enkel des Diktators Benito Mussolini, der sich vor 101 Jahren an die Macht geputscht hatte. Parteigänger Mussolinis gründeten nach 1945 den neofaschistischen Movimento Sociale MSI, daraus entstand die Alleanza Nazionale von Gianfranco Fini, die von Forza Italia aufgesaugt wurde. AN-Dissidenten wie Ignazio La Russa, ein öffentlich bekennender Bewunderer von Mussolini, formierten die Fratelli d´Italia. Sie haben sich nie eindeutig von ihren faschistischen Wurzeln entfernt, stellt Politikwissenschaftler Pallaver den Fratelli ein deutliches negatives Zeugnis aus.
„Die“ haben sich verändert
SVP-Obmann Philipp Achammer redet sich die Lage schön, wenn er sagt, „die“ haben sich verändert. „Die“ steht für Fratelli d´Italia. Möglicherweise außenpolitisch, innenpolitisch rückt Meloni die kulturelle Achse aber immer weiter nach rechts. Die Rai wird von unbequemen Journalist:innen befreit, die Meloni-Regierung wendet sich gegen kollektiv gegen Flüchtlinge und illegale Migrant:innen, gegen Schwule und Lesben, gegen gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, kurzum gegen die liberale Gesellschaft.
In Südtirol stehen die Fratelli dort, wo der MSI immer stand. Gegen die Autonomie, gegen Minderheitenschutz. In Sonntagsreden schwafeln FdI-Exponenten von den Vorteilen der Autonomie und der Mehrsprachigkeit. Reines Lippenbekenntnis. Bei der Abstimmung im Juni 2022 im Landtag zur Wiederherstellung der abgeräumten Autonomie votierte Alessandro Urzi, damals noch Landtagsabgeordneter von „Alto Adige nel Cuore“, gegen den entsprechenden Beschlussantrag.
Er und sein Nachfolger im Landtag, Marco Galateo, kritisierten immer wieder die Autonomiepolitik der Landesregierung, beispielsweise im Bereich Bildung und Schule. Sie gefährdeten die „nationale Einheit“.
Galateo paktierte ungeniert mit den Neofaschist:innen von Casa Pound, seine Fraktionskollegin Anna Scarafoni ist bekennende Klimaleugnerin, der auch homophobe Aussagen vorgeworfen wurden und Christian Bianchi von der Lega ist praktizierender Nationalist.
Warum also eine grauselige Koalition mit diesen Rechten? Auf Rai-Südtirol verwies Galateo darauf, dass er über die Handy-Nummer seiner Partei-Vorsitzenden Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verfüge. Wenn das kein Argument ist?
Wie auch immer, die SVP ist davon überzeugt, dass Regierungschefin Meloni – wie versprochen – die Autonomie stärken wird. Ein getätigtes Versprechen bei ihrem Amtsantritt vor einem Jahr. Immerhin, verteidigt Kompatscher Meloni, wurde ein finanzieller Sicherheitspakt konkordiert. Laut diesem kann der Staat nicht mehr einseitig in das autonome Finanzgebahren eingreifen. Sicher keine Kleinigkeit.
Aber, Regionenminister Roberto Calderoli von der Lega, versucht seit einem Jahr sein Gesetz zur „autonomia differenziata“ auf dem Weg zu bringen. Mehr Selbstverwaltung für Regionen wie beispielsweise das Veneto und die Lombardei, wie auch von den Bevölkerungen per Referendum gefordert. Calderoli verhedderte sich im Gestrüpp der rechten Allianz, die gar keine Eile zeigt, kein Interesse. Warum sollte diese Allianz bei den autonomen Regionen und Provinzen engagierter sein, besonders für die lästigen, angeblich überprivilegierten und staatlich alimentierten Südtiroler?
Den Kompatscher-Gegnern ist es einmal mehr gelungen, den Landeshauptmann vor sich herzutreiben. Sie trieben ihn in die rechtsradikale Sackgasse.
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