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Im Hintergrund ein idyllisches Windrad, davor Aneka, der Hund Patrasch und Niklaas, die gemeinsam auf der Blumenwiese unter dem großen Baum sitzen. So erinnere ich mich gerne an die Zeichentrickserie „Niklaas, ein Junge aus Flandern“. Der arme Waisenjunge Niklaas lebt mit seinem Großvater Jehan in einem kleinen Dorf neben Antwerpen. Mit einem Holzkarren bringen sie jeden Tag die Milch der Bauern in die Stadt. Sein bester Freund ist Patrasch, den er vor dem bösen Eisenhändler gerettet hat. Und sein allergrößter Traum ist es, ein berühmter Maler zu werden, so wie Rubens oder Rembrandt.
Das war der schöne Teil der Geschichte. Niklaas gehört nämlich zu einer der traurigsten Trickfilmserien aller Zeiten. Erst stirbt sein Großvater, dann wird er beschuldigt die Mühle in Brand gesteckt zu haben, darf seine beste Freundin Aneka nicht mehr sehen, hat den Zeichenwettbewerb und somit die Hoffnung auf ein Stipendium verloren und kann die Miete für sein Haus nicht mehr bezahlen. Aber warum hat man unseren sanften Kinderherzen diese tieftraurige Serie angetan? Weil Niklaas immer wieder, trotz allen schrecklichen Schicksalsschlägen, glückliche Momente erlebte? Oder weil man uns Nachkriegskindern zu ewiger Dankbarkeit verpflichten wollte, weil es uns so gut geht?
Die englische Schriftstellerin Marie Louise Ramée, besser bekannt als Ouida, wollte mit ihrem Buch von 1872 „A Dog of Flanderns“ auf Kinderarbeit und Tierquälerei aufmerksam machen. Fast 103 Jahre danach produzierte das japanische Zeichentrickfilmstudio Nippon Animation die darauf basierende 52-teilige Zeichentrickserie. In Deutschland und Österreich wurde die Serie in den 80er-Jahren unter dem Namen „Niklaas, ein Junge aus Flandern“ ausgestrahlt. Warum genau dieser traurige Roman ausgewählt wurde, bleibt wohl ein kleines Mysterium. Im japanischen Original stirbt der Junge mitsamt Hund am Ende sogar! So gemein wollte man mit den deutschen Kindern dann doch nicht sein, der Erzähler beruhigt, das alles nur ein Traum sei. Obwohl … so ganz hatte ich ihm das nicht abgekauft.
Die letzten Szenen der Serie sprechen eine klare Sprache. Nach allen bösen Schicksalsschlägen sucht der erschöpfte Niklaas am Weihnachtsabend Zuflucht in der Kathedrale von Antwerpen. Dort sieht er die sonst immer verhüllten Bilder der Kreuzabnahme von Peter Paul Rubens und ist überglücklich. Mit Patrasch im Arm, der ihm unerlaubt gefolgt ist, „schläft“ er schließlich auf dem kalten Kirchenboden ein. Engel schweben herab und Niklaas fliegt gemeinsam mit seinem Hund fröhlich durch die Luft. Was soll das sonst bitte bedeuten, als dass die beiden das Zeitliche segnen? Einfach unendlich herzzerreißend diese Serie. Und trotzdem sind wir vor dem Fernseher gesessen und haben uns Folge für Folge angesehen. Weil wir einfach wissen wollten, wie es mit dem armen Niklaas weitergeht. Immer mit dabei die Hoffnung, dass er bis zum Schluss trotzdem sein Glück findet …
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