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Im Nachgang der Pandemie, ungefähr zur Zeit des dritten Boosters und nachdem die Covid-19 Impfung schätzungsweise 1.9 Millionen Leben gerettet hat, musste ich über einen Tweet lachen. Der (anonyme-) Urheber verkündete stolz, er sei „mRNA free”. Dabei ist eine Welt ohne mRNA aus biologischer Sicht eigentlich gar nicht möglich. mRNA befindet sich in jeder lebenden Zelle, von einfachsten Bakterien bis zu komplexen Lebewesen wie uns Menschen. Einige Wissenschaftler:innen vermuten sogar, ohne mRNA wäre gar kein Leben entstanden. Bevor wir über die neue mögliche Wunderwaffe im Kampf gegen Krebs sprechen, müssen wir erstmal klären, was mRNA so besonders macht.
mRNA – eine molekulare E-Mail
Unser Erbgut ist in der DNA (Desoxyribonukleinsäure) gespeichert. Jede Körperzelle enthält eine exakte Kopie unserer gesamten DNA, also den ganzen Bauplan unseres Körpers. Das ergibt etwa zwei Meter DNA in jeder einzelnen Zelle. Damit die DNA gut geschützt ist, ist sie in höheren Lebewesen sehr kompakt verpackt und in einem separaten Bereich deponiert, den Zellkern. Man kann sich den Zellkern vorstellen wie einen Serverraum, in dem alle sensiblen Daten gespeichert sind. Alles, was hinein und hinaus geht, wird strengstens kontrolliert. Damit die Zelle aber funktionieren kann, müssen Informationen aus dem Serverraum nach draußen gelangen. Diese Aufgabe übernimmt die mRNA. Das kleine Molekül, mit vollem Namen Ribonukleinsäure, unterscheidet sich chemisch kaum von der DNA. Sie ist aber viel kürzer, einsträngig und hat eine sehr geringe Lebensdauer – eines der Hauptprobleme für mRNA-Impfungen, denn damit die Impfung effizient wirken kann, braucht es eine gewisse Zeit. Wenn ein DNA-Strang abgelesen wird, bildet sich ein mRNA-Strang, der das genaue Gegenstück der DNA ist. Dieser Strang wird aus dem Zellkern transportiert, dort wieder abgelesen und in ein Protein umgewandelt. Die mRNA ist also wie eine E-Mail, die Befehle aus dem Serverraum nach draußen trägt.
Injiziert wird (bei einer mRNA-Impfung) nicht der Erreger selbst, sondern die mRNA, die den Bauplan für Bestandteile des Erregers liefert.
Ein raffinierter Hack
Genau dieses System wird von den mRNA-Impfungen für einen guten Zweck „gehackt“. Der Schlüssel aller Impfungen ist unsere körpereigene Immunabwehr. Diese ist unheimlich komplex und beinhaltet dutzende Zelltypen, ich stelle sie hier nur vereinfacht dar: In unserem Immunsystem gibt es spezielle Zellen, die für die Erkennung von Krankheitserregern zuständig sind. Sie fressen alles Fremde, was ihnen in den Weg kommt und präsentieren es dann auf ihrer Oberfläche. Dort werden die fremden Strukturen von spezialisierten Zellen erkannt, die sich rasant teilen und gezielt alles, was diese spezielle Struktur hat, unschädlich machen. Diese Spezialeinheit besteht aus mehreren Zelltypen, aus Killerzellen, Antikörper produzierenden Zellen und aus Gedächtniszellen, die ein lebenslanges Immungedächtnis bilden. Deswegen erkrankt man etwa nur einmal an den Masern oder mit Impfung gar nicht. Impfungen täuschen dem Körper nämlich eine Infektion vor, die es gar nicht gibt. Klassische Impfungen, wie die Masern-Impfung, nutzen dieses System aus, indem sie dem Immunsystem vermehrungsfähige Krankheitserreger oder Teile davon präsentieren. Die Killerzellen sind alarmiert, ohne dass die Krankheit ausbrechen kann.
mRNA-Impfungen funktionieren nach dem gleichen Prinzip, aber die Präsentation ist viel raffinierter. Injiziert wird nämlich nicht der Erreger selbst, sondern die mRNA, die den Bauplan für Bestandteile des Erregers liefert. Die Zelle wird durch fremde mRNA angeleitet, sich ihren Impfstoff selbst zu bauen. Die Herausforderung bei der Entwicklung der mRNA-Impfung ist es erstens, die richtigen Strukturen zu finden, sodass das Immunsystem den echten Erreger erkennt und zweitens, die mRNA in die Zelle zu bringen. mRNA ist – im Gegensatz zur DNA – äußerst instabil und wird, wenn sie ohne Hilfsstrukturen in die Zelle kommt, sofort vernichtet. Die führenden Firmen, die die Technologie entwickeln, BioNTech, Moderna und Curevac, haben jeweils andere „Rezepte“, wie sie diese beiden Hürden meistern können.
Es gibt glücklicherweise einige Merkmale, die bei mehreren Krebsarten häufig auftreten. Diese Merkmale zu finden, ist äußerst wichtig für die moderne Krebsforschung.
Schweizer Taschenmesser
Die Do-it-yourself-Methode der mRNA-Impfung hat mehrere Vorteile, etwa, dass sie in großen Mengen schneller und billiger herzustellen ist als viele konventionelle Impfungen. Der bei weitem größte Vorteil ist aber ihre Vielseitigkeit. Theoretisch sind durch diese Technologie nicht nur Impfungen gegen fremde Erreger möglich, sondern auch gegen körpereigene Übeltäter wie Krebszellen, die von den Fresszellen nicht als fremd erkannt und übersehen werden. Im Prinzip ist es ganz einfach: Wir geben den Abwehrzellen eine mRNA, die den Bauplan für ein spezielles Merkmal beinhaltet, das nur in Krebszellen vorkommt und das Immunsystem killt den Krebs so wie es einen Schnupfenvirus killen würde. Klingt total easy eigentlich, ist es aber nicht.
Krebs ist Viele
Das liegt am Krebs selbst. Krebszellen sind körpereigene Zellen, die durch DNA-Mutationen die Kontrolle verloren haben. Ihr Hauptmerkmal ist, dass sie sich ungebremst teilen, immer weiter mutieren und dabei das Immunsystem umgehen. Der Server hat sich also ein Virus eingefangen und versendet haufenweise Spam-E-Mails. Jeder Krebs ist verschieden und sogar in einem einzigen Krebsgeschwür ähnelt keine Zelle der anderen. Es gibt aber glücklicherweise einige Merkmale, die bei mehreren Krebsarten häufig auftreten. Diese Merkmale zu finden, ist äußerst wichtig für die moderne Krebsforschung.
Die Spezialeinheit unserer Immunantwort ist normalerweise ziemlich gut darin, mutierte Vorläufer von Krebszellen zu erkennen und zu vernichten. Das geschieht in unserem Körper mehrmals am Tag, aber wenn es einmal eine Krebszelle schafft, den Killerzellen zu entwischen, kann sich diese schnell vermehren und weiter mutieren; es kommt zu einer Art Hyper-Evolution.
Für eine effektive Impfung gegen Krebs müssen also für jeden Krebs einzeln gezielt Merkmale gefunden werden, die ihn von einer normalen Zelle unterscheiden – diese Information kann dann in Form von mRNA an die Immunzellen weitergegeben werden. Dadurch, dass sich mRNA in jeder gewünschten Sequenz relativ einfach herstellen lässt, ist diese Methode auch potentiell günstiger und für die Patient:innen schonender als jahrelange Chemotherapie mit verschiedenen Medikamenten.
Die Technologie könnte theoretisch auch präventiv eingesetzt werden, etwa bei familiärer Häufung von bestimmten Krebsarten, ganz genau wie eine klassische Impfung.
Die Impfungen funktionieren somit nur in Kombination mit personalisierter Medizin und sie sind auch mit Sicherheit kein Allheilmittel. Oft gibt es kein passendes Merkmal, das man für die mRNA verwenden kann oder der Krebs ist schon so weit fortgeschritten, dass das Immunsystem nicht mehr alleine mit ihm fertig wird. Es wird also immer noch klassische Bestrahlung oder Chemotherapie eingesetzt werden, eben nur viel gezielter und damit schonender. Das bestätigt auch der Onkologe Niels Halama von deutschen Krebsforschungszentrum: „Ich möchte betonen, dass die Impfung sicher keine Wunderwaffe sein wird, mit der sich sofort alle Arten von Krebs bekämpfen lassen. Denn man muss bedenken, dass die Ausgangssituation sehr unterschiedlich sein kann.“ Die Technologie könnte theoretisch auch präventiv eingesetzt werden, etwa bei familiärer Häufung von bestimmten Krebsarten, ganz genau wie eine klassische Impfung.
Keine Wunderwaffe, aber ein Meilenstein
Die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen, aber durch die Covid-Impfung wurde ihr Potential deutlich und die Entwicklung wird dementsprechend auch finanziell unterstützt. Die Firma Biontech, bekannt durch die Covid-Impfung, konnte letztes Jahr erste Erfolge einer mRNA Impfung in Kombination mit CarT Zellen, einer anderen Methode der personalisierten Medizin, erste Erfolge in klinischen Studien beweisen. Das Bemerkenswerteste dabei war, dass sie nicht nur gegen eine, sondern gegen mehrere Krebsarten gleichzeitig mit derselben Herangehensweise erfolgreich waren, was das Potential der personalisierten Krebstherapie noch einmal verdeutlicht.
Werden wir in Zukunft also Krebs wegstecken wie eine Erkältung? Nicht ganz, aber durch die Kombination mit besserer Vorsorge, personalisierter Medizin und mit immer effizienten und schonenderen Medikamenten sind wir auf einem guten Weg, einem der häufigsten Leiden unserer Gesellschaft ihren Schrecken zu nehmen.
Deep Dive:
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