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Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 05.08.2024
MeinungKommentar

Das Gute wollen, das Böse schaffen

Veröffentlicht
am 05.08.2024
Spalten ist einfacher als Brücken zu bauen – auch für sogenannte Qualitätsmedien. Wie Journalist:innen mit besten Absichten die Gesellschaft polarisieren.
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Im November und Dezember 2016, kurz nachdem Donald Trump in den USA zum nächsten Präsidenten gewählt wurde, geschah in der US-amerikanischen Medienwelt etwas Seltsames. Die Umsätze großer Qualitätsmedien befanden sich seit Jahren im Sinkflug. Selbst Paywall und Abo-Modell schafften zunächst keine Abhilfe. Jetzt aber – kurz nach Trumps Wahlsieg – machten sie plötzlich einen gewaltigen Knick nach oben. 

Am beispielhaftesten zeigt sich das anhand der New York Times (NYT), der „grauen Lady“, wie die Zeitung wegen ihrer sachlichen und nüchternen Berichterstattung auch genannt wird. Allein im letzten Quartal 2016 hat die New York Times mehr als neue 250.000 Digital-Abos vergeben. Ihr Umsatz stieg im Folgejahr 2017 um acht Prozent und 2018 um weitere vier Prozent.

Was damals geschah, trägt heute einen einprägsamen Namen: „Trump Bump“, der „Trump-Schubser“. Von Trumps Popularität profitierten offenbar nicht nur seine Gefolgsleute, sondern auch seine größten Feinde: New York Times, Washington Post und Co. Durch ihre Anti-Trump-Position konnten die linksliberalen Blätter millionenfach Trump-Gegner, die um das Ende der amerikanischen Demokratie fürchteten, als neue Abonnenten mobilisieren. 

Ausgerechnet Donald Trump, der wegen seines kreativen Umgangs mit Fakten und seinen polternden Slogans in einen Dauer-Clinch mit der New York Times geriet, verschaffte ihr plötzliche Umsatzrekorde. Der Kolumnist Jim Rutenberg fasste es in einem NYT-Artikel so zusammen: „Jedes Mal, wenn er tobt, geht unsere Auflage hoch. Gut fürs Geschäft. Eigentlich hilft er uns unfreiwillig.“

Trump mag unfreiwillig den Qualitätsmedien geholfen haben – doch auch sie haben ihm geholfen.

Heute kann man sagen: Der amerikanischen Demokratie hat es nicht geholfen. Im Gegenteil. Die neuen Abonnentinnen und Abonnenten erwarteten von den Medien ihres Vertrauens einen noch aktivistischeren, kämpferischeren Kurs gegen Trump. Also verschärfte die New York Times ihren Ton. Die tausenden Leitartikel, Faktenchecks und wortgewaltigen Feldzüge haben die amerikanische Gesellschaft nur noch weiter auseinandergetrieben, wie mehrere Studien aus den letzten Jahren gezeigt haben. MSNBC, NYT, CNN auf der einen Seite. Fox News und Breitbart News auf der anderen.

Gut für Trump und seine populistischen Nachfolger: In einer polarisierten Gesellschaft sehnen sich Bürgerinnen und Bürger eher nach einer starken Führungspersönlichkeit, die das Land eint. Heute steht Amerika vor einer US-Wahl, in der Donald Trump wieder gute Chancen hat, sie zu gewinnen. Schlimmer als das: Der Trumpismus mit seiner Verachtung gegenüber Fakten, der Hetze gegen Minderheiten und einer selbstgerechten Anti-Elite-Pose bei gleichzeitigem Aushöhlen des Sozialstaats, scheint sich in der politischen Kultur der USA festgesetzt zu haben. Trump mag unfreiwillig den Qualitätsmedien geholfen haben – doch auch sie haben ihm geholfen.

Man würde den Journalistinnen und Journalisten unrecht tun, ihnen schlechte Absichten zu unterstellen. Allenfalls die obersten Etagen in den Redaktionen dürften die steigenden Umsätze im Blick gehabt haben. Viele haben wohl wirklich geglaubt, die Demokratie zu retten, indem sie Trump einen „Lügner“ und „Faschisten“, seine Anhänger „Rassisten“ und „Verblendete“ nennen. Wenn sich Mephistopheles in Goethes „Faust“ einen Teil jener Kraft nennt, die stets das Böse will, und stets das Gute schafft, trifft auf diese Journalisten genau das Gegenteil zu:

(Wir sind) Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft.

Der „Trump Bump“ zeigt eine unangenehme Wahrheit. Es sind nicht nur rücksichtslose Boulevard-Blätter, die von Negativität, Untergangsstimmung und Polarisierung profitieren. Auch seriöse Medien können in die Falle der Schwarz-Weiß-Muster und Feindbilder tappen. Auch linke oder liberale Medien, wie die New York Times, können eine der treibenden Kräfte der Spaltung der Gesellschaft sein. Und das passiert nicht nur in den USA.

Das, was Trump für die US-Medien ist, waren für deutschsprachige Medienhäuser in den letzten Jahren andere Themen: Corona und die Impfung, der Klimawandel, die Einwanderung, Integration, der Krieg in der Ukraine, der Nahostkonflikt. Die Steine des Anstoßes haben sich in den letzten Jahren wie Sand am Meer gehäuft. Und auch deutschsprachige Medien haben die Tatsachen dramatisiert, Positionen moralisiert und Menschen aufgrund ihrer Ansichten zu Feinden stilisiert: Wer Zweifel an den Lockdown-Maßnahmen äußerte, wurde zum Corona-Skeptiker, wer einen kompromisslosen Sieg der Ukraine für unrealistisch hält, zum Putin-Versteher, wer die Verunmöglichung menschlichen Lebens in Gaza kritisiert, zum Antisemit. 

Das Ergebnis: Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach haben 44 Prozent der Befragten in Deutschland das Gefühl, dass sie mit freien Meinungsäußerungen vorsichtig sein müssen. Nur 40 Prozent gaben an, dass sie ihre politische Meinung noch frei äußern können.

Kurzfristig mag sich die Spaltung der Gesellschaft für die Medienhäuser rentieren. Aber wenn diese Entwicklung langfristig zu Vertrauensverlust und illiberalen Regierungen führt, könnte dies auch das Ende einer freien Presse bedeuten. Auch da könnte Amerika bald ein warnendes Beispiel werden. So gesehen, liegt es im Interesse des Journalismus selbst, der Polarisierung etwas entgegenzusetzen, einzuordnen statt Sentenzen zu formulieren, verstehen statt zu urteilen. Auch wenn es erstmal keine neuen Abos bringt.

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