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Wie jeden Mittwoch treffen sich Herr Karl, ein Mitarbeiter im deutschsprachigen Schulamt der Provinz, und sein alter Freund, Herr Manfred, pensionierter Landschaftsgärtner und seit Kurzem verwitwet, auf einen Kaffee und einen Radler (viel Limo, wenig Bier) im Gasthaus Fink im Zentrum von Bozen. Herr Karl, ein grauhaariger Mittfünfziger mit Wohlstandsbäuchlein und stets tadellosen Bügelfalten in den Anzugshosen (das kann sie, die Mutti. Jemand muss ja schauen auf den „Bua“, der seine bessere Hälfte noch nicht gefunden – oder nie gesucht – hat), hat noch viel vor an diesem lauen Septemberabend.
Herr M: Jetzt sag schon, Karl, was hast du denn so Geheimnisvolles zu erledigen?
Herr K: Ich sags dir ja. Du musst aber versprechen, es niemandem zu erzählen. Du weißt, wie wichtig mir meine Privatsphäre ist.
Herr M (ungeduldig in seinem Caffè corretto Fernet rührend): Ja ja, schon klar. Erzähl. Das klingt ja ominös. Was Illegales? Hast du ein neues Hobby? Einen Nebenjob? Am Ende gar eine Frau? Du gehst doch nicht etwa wildern, du Schlawiner?
Herr K: Nein, nein, nichts von alledem. Also, genau genommen. Um eine Frau geht es nämlich schon. Beziehungsweise mehrere. Da gibt es nämlich dieses Etablissement in der Goethestraße …
Herr M: Etablisse – WAS? Ein Stripclub? (verschluckt sich fast an seinem Kaffee) Maria Tafele!
Herr K: Aber nicht doch. Das „Pink Flamingo“ ist ein Bordell, und zwar das erste seiner Art in Südtirol.
Herr M: Nein! Wirklich? Seit wann gibts das denn? Ist das überhaupt legal?
Herr K: Jetzt pass auf. Das Flamingo wurde vor Kurzem offiziell eingeweiht. Gehören tut es einem recht umtriebigen Tiroler Immobilien-Unternehmer, der war erst neulich in der Zeitung, René irgendwas. Naja, egal, jedenfalls hat der schlaue Fuchs eine Gesetzeslücke, nämlich einen vergessenen Akzent in einem schwammig formulierten italienischen Dekret, entdeckt. Und – zack! – einen Puff eröffnet!
Herr M: Pink Flamingo? Ist das nicht ein bisschen arg exotisch? Für Bozen?
Herr K: Erotisch solls sein, der Rest ist ja wurscht. Ist dir denn noch nie aufgefallen, dass diese Dorfbumsbuden immer Namen haben wie hawaiianische Hulatänzerinnen oder Yachten in der Karibik? Calypso, Marimba, Janeiro … Wie würdest du deinen Puff denn heißen? „Zum fixen Stich?“
Herr M: Auch wieder wahr. Also, und du kennst den Laden besser? Erzähl!
Natürlich kennt Herr K den Laden besser. Seit der Eröffnung verbringt er jeden Mittwoch dort bei seiner Melanie, die er vergöttert. Woher ich das weiß? Sie müssen wissen, ich bin sozusagen eine Insiderin. Gestatten, Charlotte mein Name. Ich arbeite im Pink Flamingo. Aber später mehr zu mir.
Herr K: Also, du musst dir das so vorstellen. Das Ganze ist ganz diskret hier mitten in der Altstadt untergebracht, nach Anruf oder elektronischer Anfrage –
Herr M: Wie, per E-Mail? Sag bloß, die haben eine Webseite?
Herr K: Natürlich, wo lebst du denn? Heutzutage geht ja nix mehr ohne Internet. Jedenfalls, hör zu. Auf diese Anfrage hin erhält man ein Passwort, mit dem klingelt man einfach zur vereinbarten Zeit an der Tür. Drinnen ist es richtig gemütlich, gar nicht so, wie man sich das vorstellt. Oder: wie ich mir das immer vorgestellt hatte. Polstersessel, ein Kamin, schwere Teppiche und himmelblaue Vorhänge, die vor neugierigen Blicken schützen. Eine Bar gibts auch. Da kann man es sich erst mal gemütlich machen. Zur Sache gehts dann in den einzelnen Kämmerchen, die etwas rudimentärer ausgestattet sind.
Herr M: Und die, äh, Damen?
Herr K: Die Mädels dort sind wirklich sehr nett.
Herr M (amüsiert):Wie jetzt? Du meinst sympathisch?
Herr K: Nein, nein, nein. Sympathisch heißt schiach. Nett. Also, man fühlt sich ganz locker und ungezwungen. Und die Melli… die ist ganz was Besonderes. Ich glaube, die steht ein bisschen auf mich. (errötet)
Herr M: Du alter Schwerenöter! Na, das muss ja eine besondere Frau sein.
Herr K: Ach ja, ein richtig nettes junges Ding. Und so gebildet, sag ich dir! Nur hat sie einfach das Richtige zur falschen Zeit studiert. Germanistik, aber eben nicht auf Lehramt, und dann den Masterstudientitel in Gender, Culture and Social Change an der Uni Innsbruck nachgeschoben. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen. In Südtirol! Heutzutage! Das sind ja gleich drei Schlagwörter, die wie gemacht sind fürs Arbeitslosenamt. Tja, und mit dem ganzen Casino um die Rangordnungen, Stammrollen und weiß der Kuckuck was blieb der Traum vom Lehrerinnendasein unerfüllt, und die Arme muss sich ihre Brötchen jetzt als Domina verdienen. Wenn du mich fragst, gibt es da ja einige Parallelen zum Unterrichten.
Herr M: Du musst es ja wissen.
Herr K (blickt sich argwöhnisch um): Also, wenn du mal mitkommst, darfst du der Melli auf keinen Fall von meinem Job erzählen, ja? Also nicht zuviel. Sie ahnt was, glaubt aber, ich sei pensionierter Lehrer und arbeite bei der Prüfungskommission im Amt für Zweisprachigkeit.
Herr M: Ich schweige wie ein Grab. Nun erzähl schon weiter, Karl!
Herr K: Na gut. Dann ist da noch die Maria, die wär was für dich. Eine rüstige, etwas rustikale Witwe. Kein Topmodel, aber mit dem Herz am rechten Fleck. Ungefähr in unserem Alter, aber mit bedeutend mehr Haaren auf der Oberlippe als du, mein Lieber.
Herr M: Ach… du, ich weiß nicht, ob die was für mich wäre.
Herr K: Ja eh, vielleicht doch nicht. Dann gibts da noch die Charlotte, die kenn ich nicht so gut, und eine Slowakin namens Ilona, blutjung und ausgesprochen hübsch. Die Elsa ist um die Vierzig, ein recht gepflegtes Weibsbild, allerdings, so ganz unter uns: Die hat einen leichten Huscher, wenn du mich fragst. A recht a bigottische, würd meine Frau Mama sagen.
Herr M (schüttelt traurig den Kopf): Sowas, und das in dem Gewerbe. Aber diese Ilona, auf die bin ich jetzt fast neugierig geworden.
Herr K (nach einem kurzen Blick auf seine Armbanduhr): Wenn du möchtest, kannst du ja ganz unverbindlich mitkommen. Aber nur, wenn du gerade nichts…
Herr M (plötzlich ganz aufgeregt): Sehe ich so aus? Du kennst mich doch, außer meinen Geranien wartet zu Hause niemand. Also komm, wo ist der Schuppen?
Herr K: Na, hier gleich um die Ecke, in der Goethestraße. Nummer, ähm, warte mal, achtunddreißig, glaube ich.
Herr M: Gut.
Vor dem Pink Flamingo angekommen, sind die beiden betagten Herren doch glatt etwas aus der Puste und brauchen einen Moment, um sich zu sammeln. Vielleicht sind sie auch ein klein wenig nervös, wer kann das schon sagen. Herr K drückt auf den Knopf neben dem unscheinbaren Klingelschild, auf dem lediglich „Maier“ und daneben ein roter Punkt steht.
Jorge (durch die Tür): Wer da?
Herr K (flüstert): Dornröschen.
Herr M (flüstert): Ernsthaft jetzt?
Knirschend geht die Tür auf, und Jorge, der brasilianische Türsteher, türmt sich vor den beiden auf.
Zur selben Zeit im Blauen Salon des „Pink Flamingo“. Die wahrscheinlich letzte Hitzewelle in diesem Jahr scheint die meisten Bozner aus der Stadt in die Berge und ans Meer gejagt zu haben, und die wenigen Dagebliebenen bleiben wohl lieber neben ihren kühlen Ehefrauen zu Hause auf der Couch liegen, als sich auch nur irgendwie körperlich zu betätigen. Unser CEO Maria nutzt die Flaute, um Geschäftliches zu besprechen.
Ilona: Ich bin dagegen.
Maria: Jetzt schließt es doch nicht gleich so kategorisch aus, Mädels. Wir müssen ein bisschen mit der Zeit gehen, und die Kunden finden es vielleicht ganz anregend, wenn wir so ein paar Sadomaso-Elemente in unser Konzept einbauen. Und dieser Grey ist ja gerade in aller, äh, Munde.
Melanie: Ich bin auch dagegen, aber ich werd ja nicht mehr gefragt, seit ich gesagt habe, dass das Buch zur Volksverblödung beiträgt.
Maria: Du bist voreingenommen, Kind. Kannst ja den „Faust“ lesen. Der ist übrigens auch softer als wie der Titel vermuten lässt. (kichert schweinisch)
Melanie: Softer als, nicht als wie. Und Goethes Meisterwerk war allemal erotischer als dieser, dieser… Hausfrauenporno. (schnaubt verächtlich)
Maria: Jetzt sei nicht so verbittert, Melli. Wir können auch nichts dafür, dass du in der Rangordnung so weit hinten bist und keine Stelle kriegst.
Ilona: Ich bin dagegen.
Maria: Okay, wir habens kapiert. Warum eigentlich?
Ilona: „Red room of pain“, und das mitten in der Provinz. Versteht ja kein Mensch.
Melanie: Sagt unsere Expertin aus dem Ostblock.
Ilona (wirft eine Kusshand in Richtung Melanie): Bei uns wurden einem wenigstens Manieren beigebracht, Fräulein Besserwisser! (zu Maria gewandt) Man tut sich einfach mit der Aussprache schwer. „Red room of pain“ – stell dir mal die Italiener vor, die verunstalten das ja bis zum Gehtnichtmehr. Oder die Villanderer Kunden. Und verstehen tuts keiner, da wett ich mit dir.
Melanie: Außerdem: die Kerle haben das Buch ja nicht gelesen, höchstens ihre Weiber. Die träumen von sowas. Softes Sadomaso, dass ich nicht lache! Die sollten mal vorbeikommen, hier. Denen würd ich glatt einen Spezialpreis machen. Und ihnen die Augen öffnen.
Elsa: Ich hab auch schon Wilderes gelesen als diese Frau James, muss ich sagen.
Alle: Erzähl!
Elsa: Na, ihr müsst doch zugeben, was Folter, Bestrafung, überhaupt das ganze Ausgepeitsche angeht, finden sich doch in der Bibel zahllose Passagen, bei denen euer Mister Grey erbleichen würde, und seine Masochistenmaus würde wahrscheinlich in Ohnmacht fallen.
Melanie: Du sagst also, Jesus sei viel härter drauf gewesen als Anastasia Steel?
Elsa (winkt ab): Viel härter! Denkt doch nur mal an Jesaja 50:6! „Meinen Rücken bot ich den Schlagenden!“ Oder dem Johannes sein Kapitel 19, da gehts ja zu wie im Wilden Westen! Das waren noch Auspeitschungen!
Maria: Und die Maria Magdalena! Die war ja auch ein Luder!
Elsa (kneift die Augen feindselig zusammen): Treib es nicht zu weit! Die arme Sünderin hat gebüßt und ihr wurde verziehen.
Elsa schnaubt verächtlich und schnappt sich wieder die Zeitung. Die Gute ist nämlich verdorben bis ins Mark, aber über ihren Glauben lässt sie nichts kommen. Das ist nur scheinbar ein Widerspruch, das können Sie mir glauben.
Ilona: Wie wärs mit was Biblischem für Melanies Folterkammer? (kichernd) Dem Beichtstuhl?
Elsa (mahnend): Na, na, na.
Maria: Elsa, jetzt sei doch nicht so empfindlich! Dein Papst sagt doch auch, an ein paar Klapsen ist nichts dabei!
Melanie: …wenns um Kindererziehung geht – oder wenn jemand seine Mama beleidigt. (kichert)
Elsa: Ich habs! Die Bußkammer, das wär doch was!
Melanie: Hmmm… düster-mittelalterlich, intim und doch bedrohlich. Könnte klappen.
Maria: Gut, dann hätten wir das. Kommen wir zum nächsten Punkt. Die Checkliste für unseren „Griechischen Abend“. Eingeteilt sind Charlotte, Melanie und Ilona. Ich springe ein, wenns Engpässe gibt. Elsa hat da frei, kümmert sich aber ums Buffet, nicht wahr, Elsilein?
Elsa: Die Einkaufsliste steht. Gyros, Moussaka und Dolmades. Zu trinken gibts Ouzo. Blauweiße Deko haben wir noch von der Oktoberfest-Mottoparty übrig.
Ilona: Wie siehts mit dem Unterhaltungsprogramm aus? Der Schwerpunkt ist ja so klar wie langweilig. (räuspert sich demonstrativ)
Maria: Ich dachte da an einen „Krisenrabatt“ als Gag. Oder Schuldenerlass für Kunden, die uns dafür Wertgegenstände günstig verkaufen – oder schenken.
Melanie: Für finanziell „griechisch“ angehauchte Kunden könnte man ja auch eine Flatrate anbieten. Hundert Euro kostet der Tagespass. In Deutschland ist das gang und gäbe, hab ich neulich gelesen. Das heißt dann, wie hieß das doch gleich? Ah ja. „All you can fuck“.
Maria (schüttelt den Kopf): Neumodisches Zeugs. Abgelehnt.
Elsa (flüsternd zu Melanie): Die Chefin hat nicht mal eine Flatrate für ihr Smartphone.
Melanie: Ich find ja toll, dass sie überhaupt ein Smartphone hat. (beide kichern)
Maria (echauffiert sich): Ruhe im Puff! – Kommen wir zur Kleiderordnung. Für die Inselversteigerung ist jede von euch passend kostümiert. Ilona, du bist Santorini, ganz in Weiß-Blau. Charlotte ist Lesbos im rosa Kostüm, Melanie Kreta und –
Melanie: Was? Soll das etwa heißen, ich bin fett?
Maria: Aber nein! Jetzt spinn nicht rum, Kreta ist nicht nur groß, sondern auch geschichtlich höchst interessant und –
Melanie: Ich will nicht die fetteste Insel sein! Das kann von mir aus Ilona sein…
Ilona: He!
Es klingelt.
Melanie: Oh, das ist mein Fünf-Uhr-Termin. (schreit nach unten) Schorsch? Schooooooo-orsch?!? Schick den Karl doch schon mal in die Bußkammer!
Jorge (schreit vom Treppenabsatz zurück): WOHIN???
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