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Rainer Feichter
Veröffentlicht
am 01.11.2013
Meinung

Big Brother im Selbstzweifel

Veröffentlicht
am 01.11.2013
Der NSA-Skandal hat für Empörung gesorgt. Auch bei den Schnüfflern selbst? Eine Kurzgeschichte über zwei Geheimdienstler, die sich in Bozen treffen.
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Bozen, Waltherplatz. Ein warmer Nachmittag Mitte Oktober. Zwei Nachrichtendienstler treffen sich spontan auf einen Kaffee in der Talferstadt. Golda, genannt „Golgoda“ vom israelischen Mossad wartet auf ihren Anschlusszug nach Rom. Der Amerikaner Ed war auf Kurzurlaub in Meran und muss nun wieder zurück nach Berlin, an die Arbeit. Ed ist ziemlich bekümmert, wie Golda schnell bemerkt, also schenkt sie ihrem alten Bekannten ein halboffenes Ohr.

„Ich habe endgültig die Nase voll. Der ganze Saftladen geht mir non stop auf die Eier. Golda, dir kann ich’ s ja sagen, aber ich habe im Urlaub beschlossen, der NSA ein für allemal den Rücken zu kehren.“

„Wurde aber auch Zeit, dass du endlich auf die richtige Seite wechselst“, erwidert die Mieze aus Haifa (Israel) mit einem Augenzwinkern. „Wann heuerst du bei uns an?“

„Komm, hör auf. Du weißt, wie sehr mich der Job belastet. Ich kann nicht mehr.“

Ed zündet sich eine Camel an. Einem tiefen Zug folgt eine gequälte Grimasse. „Mir ist da neulich was passiert“, fängt er an, von Qualm umgeben. „Ich war Kaffee trinken, in Berlin Mitte und weil mir langweilig war, hab ich die Unterhaltung am Nebentisch kurz abgehört. Du weißt schon, ein Anflug von Spontan-Spionage, die verdammte Macht der Gewohnheit eben.“

„OK. Und weiter?“

„Da saß ein Mann mit seiner Tochter. Das Mädchen war gerade dabei, seinen Papa in eine heikle Debatte zu verstricken. Zu Recht, denn der Playboy konnte es sich nicht verkneifen, die fesche Kellnerin anzumachen. Geschüttelt, nicht gerührt, trug er der Bedienung auf, solle sein Sodawasser serviert werden. Er hätte sich dabei fast die Wimpern versengt, so heiß war der Blick, den er ihr zuwarf. Was seiner Tochter natürlich nicht entging. Also verlangte sie Erklärungen zu Papas Sonderbestellung.“

„Eieiei.“

„Allerdings. Der arme Tropf sah sich schon zu Hause, voll Ärger über sein zu offensichtliches Kokettieren. Doch dann folgte sein genialer Befreiungsschlag. Golda, du hättest sehen sollen, wie er sich aus dieser Zwickmühle befreit hat!“

„Hat er ihr einen Eisbecher als Schweigegeld angeboten?“

„Sehr witzig, meine Liebe. Nein, er hat ihr erklärt, wer sein Getränk geschüttelt und nicht gerührt bevorzugt. Mit Händen und Füßen, Grimassen, Gesten und mitreißenden Worten entführte er seine Tochter in die Welt von James Bond. Er gab der Kleinen eine Einführung ins Universum legendärer Film-Agenten. Ich bin nicht leicht zu beeindrucken, Golda, du kennst mich, aber dieses Impulsreferat war gigantisch. Er schwärmte von Alec Leamas, huldigte Lawrence von Arabien und adelte Brad Pitt für seine Meisterleistung als Tom Bishop in Spy Game. Es war einfach spektakulär, verstehst du?“

„Schon klar. Ein unverbesserlicher Casanova versucht seine Tochter mit Spionage-Märchen abzulenken. Und du bist diesem Blender ebenso auf den Leim gegangen. Sag mal Ed, welche Drogen nimmst du eigentlich, dass du in deinem Alter noch einmal für James Bond und andere Steinzeit-Agenten schwärmst?“

„Ach was.“

„Na was dann?“

„Kannst du dir vage vorstellen, wie dieses Mädchen ihren Papa angehimmelt hat? Wie sie ihre Ohren gespitzt hat? Mit Haut und Haaren in seine Schilderungen eingetaucht ist?“

„Du möchtest noch mal Vater werden, Ed?“

„Golda, das Mädchen hat ihrem Vater wirklich zugehört. Zuhören, verstehst du? Nicht nur teilnahmslos abhören, so wie ich es seit einer Ewigkeit für diese elendigen Voyeure mache. ZU-HÖ-REN. Mitfühlen, nicht bloß registrieren. Ich habe das Zuhören komplett verlernt. So wie alle bei uns. Niemand bei der NSA hört wirklich zu. Stumpfes Datensammeln betreiben wir, nichts weiter.“

„Aha, verstehe.“

„Ich geb dir ein konkretes Beispiel: Vorletzte Woche, beim Jour fixe der Arbeitsgruppe „Kanzleramt“, hab ich meinen Vorgesetzten, Tanner, dabei ertappt wie er gedankenverloren an seinem Handy rumgefuchtelt hat, anstatt den Telefonmitschnitten unseres Zielobjektes zu folgen. Es war ihm egal. Egal, als SIE ihrem Gatten versprach, ich zitiere, das ‚Mark aus seinem Liebesknochen zu saugen’. Und es kümmerte Tanner ebenso wenig, als sich die beiden genüsslich über den ‚scheinheiligen Neger’ in Washington ausließen.“

Golda quittiert Eds Berichte mit einem Blick geheuchelter Empörung. Zufrieden macht er weiter.

„Tanner ist ein apathischer Eisbrocken. Null Regung, nicht mal als der Gatte durch's Telefon säuselte, sich mit seinem Liebesknochen in ihrer Handraute austoben zu wollen. Tanner hat von all dem nichts mitbekommen. Er hört mir nicht zu, er hört IHR nicht zu, er hört niemandem zu“, murmelt Ed zerknirscht.

Golda überlegt kurz. „Soso. Dein Boss ist also teilnahmslos. Das vermiest dir die Arbeit. Du willst damit Schluss machen. Aber andererseits, was willst du jetzt tun, Ed? In deinem Alter beruflich umsatteln gleicht einem Himmelfahrtskommando.“

„Ich werd’ s dir sagen, liebe Golda. Priester will ich werden! Und jeden Tag fleißig Beichtstunden abhalten. Einfach zuhören. Und nichts davon verraten. Schluss mit den verfluchten Indiskretionen. Ich werde ein Mann Gottes. Schweigegelübde statt Spionage, verstehst du?“

Just in dem Moment schlägt die Uhr des Bozner Doms zur vollen Stunde. Das ist Eds call of duty . „Ich muss los. Mein Zug geht in zehn Minuten. Die Arbeit ruft. Aber bald hör ich damit auf. Garantiert. Mach’s gut Golda, war schön dich zu treffen. Man sieht sich.“

„Ja, Ed, mach’s du auch gut und bloß nichts überstürzen. Denk an deine Genitalien, bevor du den Karrierebruch wagst“, ruft sie ihm nach, „als Pfaffe wirst du deinen NORD nie mehr los!“ Doch er ist schon zu weit weg, um ihren Ratschlag noch zu hören.

Die Herbstsonne wärmt Goldas Arme. „Bitte noch einen Kaffee“, deutet sie dem Kellner und schiebt ihren Stuhl sachte zur Seite, damit sie das Treiben in der Mustergasse besser beobachten kann. Sie liebt diese Stadt und ihr Flair. Als die zwei Männer am Nebentisch aufstehen und gehen, schnappt sich Golda schnell die Zeitschriften die dort liegen: der „Osservatore", die „Bild", die „Hörzu". Was tun?

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