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„Katolikk?“ fragt Mönch Andreas mit griechischem Akzent. Ja, katholisch, antworten wir. Mönch Andreas nickt. Er scheint uns wohlgesonnen zu sein. Das ist hier auf dem Berg Athos, unter den orthodoxen Mönchen und Besuchern, nicht selbstverständlich. Katholiken betrachtet man oft als Ungläubige, als verwöhnte Wohlfühl-Christen, denen dieser Ort genauso viel bedeutet wie Yoga oder Detox-Urlaub: eine kurzzeitige spirituelle Ausflucht aus der materialistischen Leistungsgesellschaft, bevor man sich mit erneuerten Kräften wieder voll und ganz hineinstürzt. Trotzdem erwecken wir Mönch Andreas‘ Sympathie, vielleicht auch, weil wir (mein Reise-Buddy Matthias und ich) in diesem Moment so gar nicht das übliche Katholiken-Klischee verkörpern. Völlig durchnässt von Regen und Schweiß, außerdem erschöpft von einem stundenlangen Fußmarsch, stehen wir vor dem Mönch, der väterlich lacht und uns bittet, ihm zu folgen.
Es ist unser zweites Kloster auf dem heiligen Berg, in dem wir übernachten werden. Genauso wie im ersten, sind die Gästezimmer spartanisch eingerichtet. In dem Zimmer, das Mönch Andreas uns zeigt, stehen mehrere Holzbetten, ein Gemeinschaftsbad ohne warmes Wasser und auf den Betten einige Decken, die schon lange keine Waschmaschine mehr gesehen haben. Und was in diesem Herbergen-Ambiente natürlich nicht fehlen darf: der fettleibige Typ, der auch am Nachmittag noch in seinem Bett liegt und lautstark schnarcht. Zustände, die man normalerweise nur in den zerlumptesten Hostels vorfindet. Hier übernachten aber nicht die üblichen Studenten und Backpacker, sondern eher Familienväter im mittleren Alter, russische Oligarchen und hochrangige Politiker. Einmal war sogar Putin in der Mönchsrepublik offiziell zu Gast. Inoffiziell und inkognito soll er aber fast jedes Jahr hierherkommen, lauten die Gerüchte.
Als Gast der Mönchsrepublik weiß man wenigstens: nur vier Tage lang ist das Visum für Athos gültig, danach ist es mit den kalten Duschen, den Gottesdiensten um 5 Uhr morgens und dem Verzicht auf jeglichen weiblichen Anblick wieder vorbei. Doch richtig hart ist es für die Mönche, die hier leben. Viele von ihnen – so auch unser Gastgeber Andreas – haben einen Schwur geleistet, die Republik nach dem Eintreten nie wieder zu verlassen. Ich überlege kurz und da wird mir klar: Der lach-freudige Andreas, heute 34 Jahre alt, hat seit seinem 18. Lebensjahr keine einzige Frau mehr gesehen. Damals begann er sein enthaltsames Leben auf dem Berg Athos. Enthaltsamkeit, das bedeutet hier auch: keine Mutter, keine Tanten, keine Schwestern und Großmütter…
Wie das Frauenverbot begründet wird? Der heilige Berg soll nur der Mutter Gottes gehören, sie soll die einzige Frau im Leben der Mönche sein.
Dieses Frauenverbot auf dem Berg Athos wurde in den letzten Jahrzehnten immer mehr zu einem internationalen Politikum, das zahlreichen Institutionen und Menschenrechtlern schwer zu schaffen macht. Schon 2003 beschloss das EU-Parlament die Abschaffung des Zutrittsverbots für Frauen. Doch so asketisch und bodenständig die Mönchsrepublik auch wirken mag; sie ist mächtig. Unter griechischer Souveränität genießt sie vollständige Autonomie (sogar steuerlich) und wird von einem Abt regiert. Es ist deswegen unrealistisch, dass sich an den eigentümlichen Bräuchen und Gesetzen auf dem Berg Athos bald etwas ändern wird. Wie das Frauenverbot begründet wird? Der heilige Berg soll nur der Mutter Gottes gehören, sie soll die einzige Frau im Leben der Mönche sein. Und wahrscheinlich geht auch die Gottesverehrung viel leichter vonstatten, wenn man von optischen sexuellen Reizen unbeeinflusst bleibt. Sogar unter den Tieren begegnen wir nur männlichen Exemplaren.
„If you have the strength, go. If you don‘t have the strength – don‘t go“.
Was ich den Mönchen natürlich nicht verraten durfte, war die Tatsache, dass ich nicht aus religiöser Hingabe, sondern primär aus Neugierde hier bin. Nun, am dritten Tag auf Athos, habe ich aber doch das Gefühl, diesen Mönchen etwas schuldig zu sein. Sie, die ihr Leben dem Glauben verpflichten und auf alles Weltliche verzichten, bewirten gerade uns Weltliche umsonst. Was ich ihnen schuldig bin, ist der Glaube. Da wir aber nicht von einem Tag zum anderen wieder fromme Christen werden können, beschließen Matthias und ich, wenigstens den Berg Athos zu besteigen. Über 2.000 Meter ragt der Berg aus dem Meer heraus, ein gewaltiges Massiv aus Felsen und unzugänglichem Gestrüpp. Weil es auch an diesem Tag wieder regnet, erkundigen wir uns zuerst bei unserem Patron, dem Mönch Andreas, ob unser alpinistisches Vorhaben überhaupt machbar sei. Die Antwort sehr lakonisch, aber weise: „If you have the strength, go. If you don‘t have the strength – don‘t go“.
Ob wir die nötige Kraft hatten, steht infrage. Jedenfalls brachen wir auf und nach vielen Stunden erklommen wir schweiß-überströmt schließlich den Gipfel, den heiligen Berg, der den Mönchen als der Garten der Mutter Gottes gilt. Besonders einladend war dieser Garten nicht, das musste man sagen. Kaum war der Gipfel erreicht, brauten sich die Wolken zu einem neuen Sturm zusammen. Auch war es schon ziemlich spät und der Anbruch der Dunkelheit nahte. In anderen Worten, 2.000 Höhenmeter mussten so schnell wie möglich wieder nach unten gelaufen werden. Zum Glück hat man auf Athos für solchen Fälle eine gute Geisteshaltung: „Die Seele eines Menschen reinigt sich durch Anstrengung“, sagen die Mönche. Und somit hatten wir unseren Tribut gezollt.
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