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Verena Kofler ist mitten in den Vorbereitungen. Ich treffe die junge Südtirolerin, die vor sieben Jahren vom Schnalstal nach Wien gezogen ist, an ihrem Arbeitsplatz in der Donaustadt, dem Büro einer gemeinnützigen Einrichtung für Assistenzdienstleistungen. Hier soll am nächsten Tag die Ausstellung mit dem treffenden Titel „Schönlinge“ eröffnet werden. Sie beschäftigt sich mit jungen Frauen aus ganz Europa, die wie Verena an der seltenen Autoimmunerkrankung Alopecia Areata leiden und von kreisrundem Haarausfall betroffen sind. Das Projekt wurde 2015 von Lisa Haalck und der Fotografin Ingrid Hagenhenrich ins Leben gerufen und macht in jeder Stadt halt, in der sich eine dieser „Schönlinge“ befindet. Es war ein Herzenswunsch von Verena, die Ausstellung auch nach Wien zu holen.
„Natürlich ist Haarverlust auch für Männer schwierig, gesellschaftlich ist ein Mann mit Glatze aber breiter akzeptiert, als eine Frau ohne Kopfbehaarung“, bringt es Verena auf den Punkt. Sie geht heute sehr offen mit ihrer Krankheit um. Das war nicht immer so. Schon als Kind traten an ihrem Hinterkopf teils kahle Stellen auf. Da nicht zuletzt die Ärzte meinten, dass alles auswachsen würde, machten sich Verena und ihre Mutter keine großen Sorgen. Zu einem wirklichen Problem wurde der Haarausfall aber in der Pubertät, erinnert sich Verena.
In dieser Zeit, in der das Aussehen immer wichtiger wird, verschlimmerte sich die Krankheit, wodurch vermehrt kahle Stellen am Kopf entstanden: „Es war einfach so unfair, warum gerade ich? Ich wollte es nicht akzeptieren.“ Verena versuchte alles, um die Entwicklung zu stoppen oder wenigstens zu verlangsamen. Die Situation war für die junge Frau schwer zu ertragen. „Es war definitiv eine der schwierigeren Zeiten meines Lebens“, sagt Verena. An vieles, das damals passiert ist, denkt sie nicht gerne zurück.
Auf eine Diagnose wartete Verena lange. Sie wurde von einem Doktor zum nächsten geschickt und suchte einen Heilpraktiker auf. Helfen konnte ihr lange niemand. „Man kann es sich vielleicht nicht vorstellen, aber als ich dann die Diagnose Alopecia Areata bekam, war das eine wirkliche Erleichterung“, beschreibt Verena das Gefühl, endlich Klarheit zu haben.
Verena trägt seit zehn Jahren ein Kopftuch. Das ist, wie sie selbst sagt, die akzeptabelste Lösung für sie. Sie hat seit ihrer Jugend vieles ausprobiert, aber nur selten mit Erfolg. Perücken seien natürlich ein naheliegender Lösungsansatz, jedoch kämen sie nie ans Original ran. Auch eine Glattrasur komme für sie nicht infrage. Alopecia Areata sorgt für kreisrunden Haarwurzelausfall, dementsprechend wären die Flecken auf der Kopfhaut trotzdem sichtbar.
Es gab mehrere Perioden in Verenas Leben, in der die Krankheit plötzlich verschwand und die junge Frau zumindest für ein paar Monate vollen Haarwuchs bekam. Doch die Krankheit kam immer wieder zurück. „Irgendwann versucht man einfach, die Situation so zu akzeptieren, wie sie ist. Das war es auch, was mir am meisten geholfen hat. Und es tut gut zu wissen, dass man nicht alleine ist.“
Tatsächlich leiden rund 2 Prozent der Bevölkerung Italiens im Laufe ihres Lebens an Symptomen dieser Krankheit. Sie trifft nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Die Symptome reichen von partiellem Haarausfall (Alopecia Areata) bis hin zu komplettem Haarverlust am ganzen Körper (Alopecia Universalis).
Verena ist es wichtig, ein breites Bewusstsein für die Krankheit zu schaffen, die besonders für Frauen so schwierig zu akzeptieren ist. Deshalb freut sie sich umso mehr, dass es geklappt hat, die Ausstellung von Haarlck und Hagenhenrich nach Wien zu bringen. Dass sie in den Büroräumen von Assistenz24 stattfindet, also an Verenas Arbeitsplatz, war eine naheliegende Lösung. Die finanziellen Mittel des Projektes sind knapp bemessen. Die letzten Tage der Vorbereitung waren für Verena stressiger als gedacht, aber jetzt, einen Tag vor der Vernissage, läuft alles glatt.
Im Nebenzimmer hängt Fotografin Ingrid mit einem der Schönlinge gerade die letzten Ausdrucke an die Wände. Die Fotos sind in schwarz-weiß. Ingrid erklärt: „Farbe erzählt mir zu viel. Sie ist beizeiten geschwätzig und verwischt den Blick auf das Wesentliche. Ich wollte nicht von den Dingen ablenken, deshalb habe ich mich für Schwarz-Weiß-Fotos entschieden.“
Während der Arbeit am Projekt habe die Fotografin die gesamte Palette der menschlichen Emotionen kennenlernen dürfen. Ihre größte Erfahrung war, dass Schönheit überall zu finden sei, sobald sich der Mensch angenommen und geliebt fühle: „Dann kann er authentisch sein und authentisch kann nicht unschön sein.“
Die Ausstellung „Schönlinge” ist noch bis zum 1. März, von 14:30 bis 18 Uhr, in der Boltzmanngasse 24–26 in Wien zu sehen. Der Eintritt ist kostenlos und eine Voranmeldung nicht notwendig.
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