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Lucia Baumgartner
Veröffentlicht
am 19.11.2024
LeuteInterview mit Petra Reski

„Wir lassen uns nicht vertreiben“ 

Veröffentlicht
am 19.11.2024
Schriftstellerin und Journalistin Petra Reski hat sich mit ihrem Kampf gegen die Mafia keine Freunde gemacht. In ihrem neuen Buch „All’ italiana – Wie ich versuchte Italienerin zu werden“ schreibt sie über ihre große Italienliebe, Klischees und den Tourismus – und warum das Leben in Venedig ein Akt des Widerstandes ist. 
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Petra Reski

Als Petra Reski in den 1990er Jahren als Journalistin für das Auslandsressort des Stern nach Italien geschickt wird und auf dem Rückweg die Liebe ihres Lebens trifft, ist ihr Schicksal besiegelt: Fortan soll sie in Venedig bleiben und über Italien schreiben, den Vesuv, das Leben in Venedig und über die Mafia. Besondere mediale Aufmerksamkeit erhält Reski im Jahre 2008 für ihr Sachbuch „Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“, in dem sie über die Mafia in Deutschland und deren Verbrechen schreibt: Geldwäsche, Korruption, Bestechungen. Durch ihre Recherchen konnte Reski so viel Material sammeln, dass daraus bereits fünf Sachbücher und drei Romane hervorgegangen sind. Für ihre Berichte und Bücher wird die Journalistin mehrmals angeklagt und öffentlich bedroht.
Ihr neuestes Buch lässt die Mafia dieses Mal außen vor – Italien und seine Eigenheiten stehen im Fokus, der Titel: „All’ italiana. Wie ich versuchte Italienerin zu werden“. Ob ihr dies gelungen ist, erzählt sie uns im Interview.  

BARFUSS: Wann haben Sie für sich entschieden, endgültig nach Italien zu ziehen? Was war der Grund dafür? War es wirklich „nur“ die Liebe?  
Petra Reski: Die Liebe war der Hauptgrund, ja. Mein Plan A war eigentlich, nach Paris zu ziehen. Aber dann machte ich einen Sprachkurs in der Toskana und wurde als Journalistin erst nach Palermo und dann nach Venedig geschickt. Wo mir der Venezianer meines Lebens zugelaufen ist. Schicksal eben.

Sie haben sich ja die Hochburg des Tourismus ausgesucht. Will man da nicht weg, wenn man weiß, wie’s wirklich läuft? Was hält Sie nach über 30 Jahren noch dort?  
Ich habe mir nicht Venedig ausgesucht, sondern einen Venezianer, der krank wird, wenn er aus dem Fenster blickt und kein Wasser sieht, das sechs Stunden in die eine und sechs Stunden in die andere Richtung fließt. Er ist mit dieser unentrinnbaren Liebe zu seiner Stadt geschlagen, die typisch ist für echte Venezianer:innen. Von denen es bekanntlich immer weniger gibt. Bei mir war es so, dass Venedig mein Gerechtigkeitsgefühl angesprochen hat, als ich verstanden habe, wie verletzlich die Stadt ist. Wie sie in kleinen Stücken verkauft und niedergetrampelt wird. Und wie groß die Gier ist, mit der man sich an Venedig krallt, um die Stadt auszuschlachten für eigene, profitorientierte Interessen. In Venedig zu leben, ist bereits ein Akt des Widerstands. Wir lassen uns nicht vertreiben. 

Italien wird mit dem Tourismus gemästet wie eine Gans für die Stopfleber.

Wenn man an den Gardasee fährt und ein Restaurant betritt, wird man häufig mit „Hallo“ und nicht mehr mit „Buonasera“ begrüßt. Geht mit dem Tourismus das italienische Flair verloren? Verkauft sich Italien zu viel an den Tourismus? 
Italien wird mit dem Tourismus gemästet wie eine Gans für die Stopfleber. Der touristische Ausverkauf ist viel schlimmer als er gemeinhin dargestellt wird. In Venedig werde ich in den Geschäften mit „Hello“ angesprochen, in den Gassen hört man nicht mal mehr Italienisch, geschweige denn Venezianisch. Die Gerichte in den Restaurants wurden dem Touristengeschmack angepasst, was kein Wunder ist, weil die Betreiber:innen weder Venezianer:innen noch Italiener:innen, sondern Albaner:innen oder Chines:innen sind. Es wird nur noch ein Fake-Italien verkauft – nicht nur in Venedig, sondern selbst in Städten wie Palermo, wo sich die Innenstadt in eine gigantische Fress- und Feiermeile für Touristen verwandelt hat, mit Take-aways und Airbnbs, mit Pizza zum Mitnehmen und Aperol Spritz – wie in Venedig, Rom oder Florenz auch. 

In einem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk machen Sie sich über die italienische Bürokratie lustig, in Deutschland würde man über bestimmte bürokratische Vorgehensweisen lachen. Nach sechs Jahren haben Sie nun aber die italienische Staatsbürgerschaft erhalten: Ist Ihnen der Versuch, Italienerin zu werden, gelungen? Reicht die Staatsbürgerschaft, um als Italienerin durchzugehen?
Die deutsche Bürokratie kann es mit der italienischen durchaus aufnehmen, aber mein Ziel war keineswegs, als „Italienerin durchzugehen“, sondern in Italien wählen zu dürfen. Ein Wunsch, den ich erst verspürt habe, nachdem die Fünfsterne entstanden sind, und ich zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass sich in der versteinerten italienischen Politik etwas bewegt. Ansonsten gefällt es mir sehr gut, eine deutsche Italienerin oder eine italienische Deutsche zu sein. Ich entstamme einer Flüchtlingsfamilie aus Ostpreußen und Schlesien, charakterisiert durch Lebenslust, Melancholie und einem extremen Familiensinn – und damit war ich auf das Leben in Italien bestens vorbereitet. Es wäre mir viel schwerer gefallen, in einem protestantischen Teil Deutschlands zu leben. 

Die neoliberale Politik hat die Italiener:innen in die Arme des Neofaschismus getrieben.

Wie hat sich Italien in den Jahren seit Ihrer Ankunft dort verändert? Welche Entwicklungen bereiten Ihnen Sorgen, welche würden Sie als positiv bewerten? 
Ich habe praktisch alle politischen Entwicklungen von 1989 bis heute mitgemacht, einige davon stimmten mich hoffnungsvoll: zuallererst Falcone und Berlusconis Antimafia-Gesetze und Tangentopoli – was mit den Attentaten von 1992/1993 und dem Aufstieg von Berlusconi sein Ende fand. Danach beherrschte Berlusconi fast 30 Jahre lang die politische Bühne, und das hatte für Italien einen kulturellen Niedergang ohnegleichen zur Folge. Die neoliberale Politik hat die Italiener:innen in die Arme des Neofaschismus getrieben. Daran konnte auch die kurze Regierungsperiode der Fünfsterne nichts ändern. Die im Übrigen gute Reformen hervorgebracht hat. Etwa die Justizreform von Bonafede, die von Draghi durch eine ersetzt wurde, die so schamlos ist, dass sie selbst Berlusconi niemals gewagt hätte. Hoffnung hat mir auch der Prozess „Stato-Mafia“ gemacht, besorgt hat mich, dass das Urteil in den folgenden Instanzen praktisch neutralisiert wurde und die Medien über den Prozess entweder falsch oder gar nicht berichtet haben. 

„All’ italiana“: Welche italienischen Klischees haben sich erfüllt? Welche mögen Sie? Und was vermissen Sie von der deutschen Kultur?
Das Essen, das ständige Reden über das Essen, das ist eins der Klischees, das sich für mich erfüllt hat – und ich liebe es! Natürlich liebe ich auch das italienische Essen, aber wer tut dies nicht? Vor allem mag ich Spaghetti pomodoro basilico, das ist mein Lieblingsgericht, aber nur ohne Zwiebeln und Knoblauch. Von Deutschland vermisse ich wenig – vielleicht den deutschen Bürgersinn. Allerdings: Wenn Italiener:innen den legendären deutschen Bürgersinn rühmen, fühle ich mich immer sofort zu der Feststellung gedrängt, dass dieser Bürgersinn schlagartig in Blockwart-Mentalität umschlägt, wenn jemand wagt, unerlaubt im Parkraumlizenzgebiet Schwabing-Nord zu parken.

Ist es anders eine Frau in Italien, als eine Frau in Deutschland zu sein? Warum?
Wir leben hier in einem Land der Marienverehrung – wie übrigens auch die Polen, dem Land, in dem meine Familie jahrhundertelang verwurzelt war. Anders ist das in Deutschland, da wird das Frausein allein nicht als Wert betrachtet. Und, ja, ich mag es, als Frau wahrgenommen zu werden. Es ist eines der größten Rätsel der Menschheit, wie es die Frauen über Jahrhunderte hingekriegt haben, als schwaches Geschlecht zu gelten. Italiener kennen den Trick. Und fürchten ihn. Wer sich nicht vor seiner Frau fürchtet, der ist kein Mann. Sagt man in Kurdistan. Und in Italien vielleicht auch.

Für wen ist das Buch bestimmt? Deutsche, die eine Sehnsucht nach Italien verspüren? Was würden Italiener:innen zu Ihrem Buch sagen?  
Mein Buch für alle bestimmt, die sich für Italien interessieren, egal ob sie Deutsche oder Italiener:innen oder was auch immer sind. Die Reaktionen, die ich von Italiener:innen auf mein Buch hatte, waren durchaus positiv, wir arbeiten gerade an einer Übersetzung. 

Würden Sie in einem zweiten Leben noch einmal nach Venedig ziehen? 
Ich würde in meinem zweiten Leben überall dorthin ziehen, wohin der Venezianer meines Lebens zieht. 

Am Mittwoch, den 20. November 2024 um 20 Uhr wird Petra Reski ihr neues Buch „All‘ italiana. Wie ich versuchte Italienerin zu werden“ in Brixen im Kulturkeller Dekadenz vorstellen.Hier gibt es alle Infos: https://www.dekadenz.it/de/aktuelle-spielzeit.html

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