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Vor fast 20 Jahren hat das Web 2.0 eine neue Ära losgetreten. Das Internet wurde interaktiver und kollaborativer, die Nutzerschaft konnte nun selbst Content in Blogs oder anderen Plattformen erzeugen. Der Austausch und die Kommunikation mit Anderen gewannen dadurch an Bedeutung. Die damals neuen sozialen Plattformen wie Myspace (2003), Facebook (2004) und StudiVZ (2005) zeigten wo die Reise hingehen wird: Das Internet sollte ein Treffpunkt mit Freunden und Gleichgesinnten werden, wo der zwischenmenschliche Austausch ein zentrales Merkmal ist. Das Internet sollte die digitale Kühle abstreifen und ein Wohlfühlort erzeugen, an dem man sich immer wieder und immer gerne mit Freunden trifft.
Durch den Boom von Facebook, WhatsApp und Twitter haben sich Kommentarspalten, Feedbackmöglichkeiten und Gefühlsreaktionen auf zahlreichen anderen Webseiten ausgedehnt. Die digitalen Player, haben schnell erkannt, dass zwischenmenschliche Interaktionen die Nutzungsdauer und die Nutzungsfrequenz ihrer Plattformen deutlich erhöhen, wenn man psychologische Mechanismen und Designs einbaut, die an ganz menschliche Bedürfnisse wie Gemeinschaft, Zugehörigkeit und Nähe andocken.
Soziale Belohnungen sind wie Bonbons die uns ein bisschen süchtig machen
In dem Buch „Hooked – Wie Sie Produkte erschaffen, die süchtig machen“ beschreibt der Autor Nir Eyal, wie Facebook, Twitter und zahlreiche andere Webseiten, soziale Belohnungen in ihren Produkten einsetzen, um die Nutzerschaft zu motivieren, immer wieder zurückzukehren. Als soziale Belohnungen im digitalen Raum versteht man Kommentare, das Teilen von Inhalten, die fortlaufende Zählung wie vielen Menschen etwas „gefällt“, Fotos, auf denen wir markiert wurden oder auch freundliche Emojis in Messengernachrichten. Diese sozialen Belohnungen sind urmenschlich, weil sie uns das Gefühl geben akzeptiert zu werden, attraktiv und bedeutsam zu sein und sich als Teil einer Gruppe zu erleben.
In sozialen Netzwerken verstärken Algorithmen diese Gefühle. „Gefällt mir“ ein Posting von einer Freundin, so werden mehr Inhalte dieser Person angezeigt aber auch Inhalte, die meine Freundin geliked hat. Dies steigert das zwischenmenschliche Wohlbefinden, letztlich sollen wir aber durch möglichst relevante Inhalte, länger dranbleiben und nicht abspringen.
Das Scrollen durch den eigenen Feed aktiviert ständig unser Belohnungssystem im Hirn.
Aus der Glückspielforschung weiß man, dass die Erwartung auf ein Ereignis, also reizvolle Inhalte oder soziale Feedbacks, die Freisetzung von Dopamin, ein Botenstoff im Gehirn, auslösen. Das Scrollen durch den eigenen Feed aktiviert somit ständig unser Belohnungssystem im Hirn. Wir werden dadurch ermutigt, dieses gute Gefühl immer wieder aufzusuchen, um Entspannung und Anregung zu erfahren und dadurch die Nutzungsgfrequenz zu steigern.
Die kostenlosen sozialen Plattformen nutzen zwischenmenschliche Bedürfnisse geschickt aus, für wirtschaftliche Interessen!
Das eigentliche Ziel digitaler Plattformen ist es, die Verweildauer zu erhöhen. Dadurch werden Präferenzen und Interessen der Nutzerschaft gesammelt, diese Informationen verkauft oder selbst genutzt, um personalisierte Werbung und Inhalte zu zeigen. Das ist das Geschäftsmodell aller aktuellen, kostenlosen sozialen Plattformen. Snapchat bindet die Nutzerschaft besonders geschickt. Es geht hier um das Sammeln von virtuellen Flammen. Diese Flammen erhält man, wenn man mindestens einmal täglich mit einem Kontakt schreibt oder ein Foto verschickt. Hat man 320 Flammen, so bedeutet dies, dass man seit 320 Tagen in Kontakt steht; ein digitaler Freundschaftsbeweis sozusagen. Wird ein Tag ausgelassen, werden alle Flammen komplett gelöscht. Die jungen Nutzer*innen werden durch diese digitale Belohnung und Bestrafung anderseits, motiviert, mindestens einmal täglich die App zu nutzen.
Je bereitwilliger und enthusiastischer die Nutzer*innen interagieren, umso besser können Internetkonzerne wie Meta[1] Datenmengen verknüpfen, um daraus Personenprofile zu erstellen. WhatsApp kramt in unseren Adressbüchern, es weiß wem ich wann schreibe, wer meine engsten Kontakte sind, wer meine Familie ist, und verknüpft diese Daten mit meinem Facebook- und Instagramprofil und schafft dadurch ein detailliertes Bild über jede und jeden Einzelne*n.
Soziale Bedürfnisse sind nur eine von vielen Motivatoren
Fast jedes menschliche Verhalten wird durch irgendwelche Motive gesteuert. Das Bedürfnis nach sozialem Kontakt ist laut dem amerikanischen Psychologen Steven Reiss nur eines davon. Menschen handeln, weil sie nach Macht streben, das Bedürfnis nach Wissen haben aber auch aus idealistischen Motiven. Des Weiteren nennt er das Streben nach Anerkennung, Status und Ehre als Gründe für das eigene Handeln. All diese Faktoren motivieren uns auch im digitalen Raum Dinge zu tun.
Es sieht so aus, als wären Facebook und Instagram Auslaufmodelle.
TikTok macht es anders – Soziale Interaktion ade
Die besonders bei jungen Menschen beliebte Plattform TikTok bezeichnet sich selbst nicht als soziales Netzwerk, sondern als Contentplattform, denn sie ist inhaltsgetrieben. Man muss niemanden folgen, man muss kein festes Netzwerk an Follower aufzubauen, man kann sich aber trotzdem einbringen und vernetzen. Der Algorithmus richtet sich nicht an Freund*innen und Bekannten, sondern an den Inhalten die die einzelnen Nutzer*innen konsumieren. Am Beispiel von TikTok sieht man wie die Zukunft aussehen könnte, denn die Plattform macht es anders und dockt nicht an die gewohnten zwischenmenschlichen Bedürfnisse an. Es sieht so aus, als wären Facebook und Instagram Auslaufmodelle. Denn nach Jahren des Hypes ist das Gefühl entstanden, diese Plattformen fördern statt sozialen Kontakten den Wettbewerb, bei dem man sich mit Likes und Followers messen muss und mit anderen im Grunde in Konkurrenz steht.
Es bleibt spannend, wie sich die Zukunft digitale Plattformen entwickeln werden. Fakt ist, solange wir nicht bereit sind Geld für Applikationen zu zahlen, solange bleibt das Geschäftsmodell des Datensammelns und Anzeigen von Werbung bestehen. Das bedeutet auch, dass es immer darum gehen wird, uns mit allmöglichen Tricks und psychologischen Mechanismen an die Apps zu binden. Die digitalen Plattformen machen es wie Tabakkonzerne: Sie wissen zwar, dass es abhängig macht, tun aber nichts dagegen.[2] Es ist ihr Geschäftsmodell.
Wir können uns diesen Mechanismen aussetzen oder unseren Medienkonsum bewusster und achtsamer gestalten, indem wir unsere Nutzungsmotive immer wieder hinterfragen, uns digitale Auszeiten gönnen und unsere Freunde, anstatt ein Video zu teilen, doch lieber zum analogen Essen einladen.
Manuel Oberkalmsteiner, Sozialpädagoge und Mitarbeiter im Forum Prävention
[1] Der Konzern der Facebook, Instagram und Whatsapp umfasst
[2] [2] TikTok und seine Tricks: Die AbhängigkeitsMaschine. Spiegel+ 06.12.21, https://www.spiegel.de/netzwelt/apps/tiktok-und-sein-algorithmus-die-abhaengigkeits-maschine-a-7715f9c7-0aa9-4a3d-8c42-1eeed93d6f51
Der Text ist erstmals im Fachmagazin “zB “, Beiträge zur Jugendarbeit in Südtirol und Tirol, Nr. 1/2022, erschienen. Die Zeitschrift wird vom Land Tirol in Zusammenareit mit dem Amt für Jugendarbeit in Südtirol herausgegeben.
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