Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Es ist zwei Uhr nachmittags und obwohl die Sonne scheint, klopfen minus zehn Grad erbarmungslos an die vereisten Fenster. Nicht so bei Christine Losso. Bei ihr ist es acht Uhr abends und noch immer zeigt das Thermometer über 20 Grad. „Am Tag ist es bis zu 36 Grad heiß“, sagt Christine in die Webcam. Sie sitzt auf der Terrasse des Boonya Resorts, der Bungalowanlage, die sie zusammen mit ihrem Mann Roland in Thailand gepachtet hat. Die Anlage liegt umgeben von Palmen auf der Insel Koh Chang, 90 Prozent der Insel gehören zu seinem Nationalpark. Nur 20 Meter hinter dem Haus beginnt der Dschungel.
Vor einem Jahr startete ein weiterer abenteuerlicher Abschnitt im Leben der Familie Losso, denn Thailand ist nur einer von vielen Orten, wo sie in den vergangenen 35 Jahren gestrandet sind. Unzählige Länder auf allen Kontinenten hat Christine zusammen mit Roland, Tochter Denise und Sohn Manuel bereist. Ihre Eindrücke teilt die Familie auf ihrem Blog „Into the world”.
In Südtirol sei es ihnen zu eng, sagt die freie Journalistin. Sie wollten immer schon weg, neue Leute und Mentalitäten kennenlernen. Und obwohl Christine Familie, Freunde und manchmal auch die Südtiroler Berge vermisst, sagt sie: „Heimweh hatte ich nie. Immer nur Fernweh“. Dann lacht die 56-Jährige.
Wie jeden Tag ist Christine auch heute wieder um sechs Uhr früh aufgestanden. Ausschlafen geht nicht, denn sie ist die Managerin der Ferienanlage. Zuerst geht es eine Runde mit den drei Hunden raus, dann bereitet sie das Frühstück für die internationalen Gäste zu, bucht Aktivitäten wie Bootstouren, Fischen, Trekking und betreut die Buchungen. Bei 20 Bungalows und mit bis zu 70 Gästen in der Hochsaison gibt es einiges zu tun.
Jeder würde hier nach Feierabend den Strand, das Meer und die paradiesische Kulisse genießen. Auch Christine. Aber nicht nur. Sie ist eine Macherin, braucht immer wieder neue Herausforderungen und Aufgaben und will vor allem eines: helfen. Durch ihre vielen Reisen hat die Meranerin viel Leid erlebt. „Man kann dann nicht nach Hause fahren und sein normales Leben gleichgültig fortsetzen.“ Deswegen gründete sie 1994 die Organisation „Hope for a better world“, mit der sie rund 50 Hilfsprojekte ankurbelte und durchführte.
„In vielen Hinterhöfen spielen sich die reinsten Tragödien ab.”
Aktuell arbeitet Christine an einem Hilfsprojekt in Äthiopien, das sich vorwiegend um die direkte Unterstützung der Frauen und Kinder kümmert. Und nebenbei hält sie zwei Hilfsprojekte in Thailand am Laufen: das „Cambodian Kids Care Center“ und das „Happy Dog“ Koh Chang. Für kambodschanische Einwanderer und deren Kinder organisiert Christine im Boonya Resort gemeinsames Schwimmen und Kochen. Und sie päppelt Straßenhunde auf. Insgesamt acht im vergangenen Jahr. „Es ist ganz schlimm hier“, sagt sie. „So nett das Leben in Thailand in Katalogen auch aussieht, hier herrscht ein raues Leben. In vielen Hinterhöfen spielen sich die reinsten Tragödien ab. Nicht nur mit Tieren, auch mit Kindern“, so Christine. Zudem ist auch Prostitution ein großes Thema im Land.
Schon als die Kinder noch klein waren, planten Roland und Christine neben den alljährlichen Reisen für einige Jahre ins Ausland zu gehen. Nun setzten sie dieses Vorhaben in die Tat um. Nachdem sie die vergangenen vier Jahre eine Skihütte geführt hatten, wollte Christine endlich ans Meer. „Ich war einfach stuff vom Schnee“, sagt sie. Dass es Thailand wurde, sei reiner Zufall gewesen. Insgesamt fünf Monate wartete die Weltenbummlerin hier auf Arbeitsgenehmigung und Visum, bis sie endlich in der Ferienanlage arbeiten konnte.
„Das schwierigste sind die Sprache, die Mentalität und die Bürokratie“, sagt sie. Thai hat fünf Tonlagen, gewisse Wörter haben verschiedene Bedeutungen, wenn man sie falsch ausspricht. Deshalb gebe es nahezu jeden Tag unzählige Missverständnisse. Dazu kommen noch die großen kulturellen Unterschiede und der Fakt, dass Christine die meiste Zeit ohne Familie hier lebt. Denn Roland arbeitet im Sommer auf der Alp Soliva bei Disentis im Kanton Graubünden in der Schweiz. Einige Monate im Jahr fährt er LKW und arbeitet als Kletterlehrer. Manuel studiert Raumplanung in Wien und Tochter Denise arbeitet als Laborantin in einem internationalen Konzern in Südtirol.
Dennoch bereut Christine nichts: „Ich rate jedem zu reisen. Natürlich braucht man auch Mut. Aber ohne Mut keine Freiheit.“ Die Strahlefrau zwinkert. Die ganzen lustigen Erlebnisse und auch Missverständnisse in Thailand hat sie in ihrem neuen Buch verewigt: „Thailand – Mai Pen Rai, macht fast gar nichts.”„Der Titel sagt alles über die Mentalität der Thai aus“, erklärt Christine. Denn hier lebt man in den Tag hinein. Was gestern war oder morgen sein wird, interessiert hier niemanden. Ein bisschen hat auch Christine diese Mentalität angenommen. Sie plant nicht viel voraus. Der Pachtvertrag für das Resort läuft noch für zwei Jahre mit der Aussicht auf Verlängerung. Was dann kommt, weiß Christine nicht. „Ich sage nur: cha cha cha – immer langsam. Heute geht es uns gut und was morgen ist … schauen wir mal“, sagt sie und lacht.
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support