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Veröffentlicht
am 19.10.2013
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Warum mein Opa?

Veröffentlicht
am 19.10.2013
Die Autorin entdeckt auf dem Dachboden die Optionsurkunde ihres Großvaters, der ins Deutsche Reich auswandern wollte.
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Ich war in etwa zehn Jahre alt, als ich an einem regnerischen Nachmittag aus purer Langeweile den Dachboden meiner Eltern durchwühlte. Alte Kleider aus den 70er-Jahren (diese Hosen sind sooo komisch), Babysachen (oh mein Gott ich war wirklich mal so klein) und dann entdeckte ich den alten Schrank meines vor einigen Jahren verstorbenen Großvaters. Was ein alter Mann alles so aufhebt: Sterbebildchen, Fotos von der Familie und von Leuten die ich nicht kenne, Postkarten, Briefe, Zeitungsausschnitte, ein Zettel mit dem Hitlerzeichen drauf, eine leere Flasche, in der mal Wasser aus Lourdes war. Und einen Zettel mit was bitte?
Mit etwas Anlaufschwierigkeiten schaffte ich es, die altdeutschen Schriftzeichen zu entschlüsseln und war entsetzt. Mein Opa wollte auswandern. Ins Deutsche Reich. Mit Sack und Pack, Uroma, Uropa und allen Kindern. Er wollte seine Heimat, seinen Hof, der schon über 150 Jahre in Familienbesitz war, einfach so hinter sich lassen? Und vor allem, was hatte Hitler damit zu tun? Und wieso hatte mir nie jemand davon erzählt? Dass mein Opa in Sigmundskron war, als Magnago irgendeine Rede schwang, das hatte man mir des Öfteren erzählt. Aber das mit dem Auswandern war mir neu.

Aufgeregt lief ich mit dem Zettel, auf dem das Hitlerkreuz abgebildet war, zu meinen Eltern. Ach, die Option, meinte mein Vater. Damals mussten alle Südtiroler entscheiden, ob sie in Italien bleiben wollten, oder auswandern, in den Osten, in Gebiete die Hitler noch erobern sollte. In meinem Kopf ratterte es wie wild. Aber wieso wollte er nicht hierbleiben? Und wieso ist er nicht gegangen? Der Krieg war schon aus, bevor man auswandern konnte, erklärte mein Vater. Große, schöne und ebene Höfe und ein geschlossenes Siedlungsgebiet hatte man versprochen. Allen die hierblieben, drohte man in den Süden zu verfrachten. So recht zufrieden war ich mit seinen Antworten nicht, ich konnte es einfach nicht verstehen, warum Opa sich nicht gewehrt hat. Und mit meiner kindlichen Naivität war ich glücklich. Wenn mein Opa ausgewandert wäre, hätte mein Vater nie meine Mutter kennengelernt und mich würde es nicht geben.
Jetzt, fast 20 Jahre danach, weiß ich natürlich mehr darüber. Nicht nur mein Opa, sondern über 80 Prozent der Südtiroler hatten sich dafür entschieden, die Heimat zu verlassen. Das mit dem Süden war eine inszenierte Hetzkampagne, um möglichst viele zum Auswandern zu bewegen. Wenige junge deutschsprachige Südtiroler wissen heute, ob sich ihre Vorfahren für das Dableiben oder fürs Auswandern entschieden hatten. Man ist über diesen Abschnitt der Geschichte nicht besonders stolz. Übrigens wollte auch der Vater meiner Mutter auswandern. Ich möchte nicht darüber urteilen, was damals passiert ist, aber sicher erforderten beide Entscheidungen viel Mut.

Vor einigen Tagen hat es wieder geregnet. Mir war langweilig. Ich bin auf den Dachboden gestiegen. Um einiges voller ist er geworden. Die Babysachen trägt inzwischen meine Nichte, die Kleider aus den 70-Jahren fand ich nicht mehr so komisch, da die Zampahosen vor einigen Jahren auch wieder in Mode waren. Und da war er wieder. Der Schrank meines Großvaters. Das Gefühl, den Auswanderungsschein in den Händen zu halten war genauso komisch wie damals. Ich kramte weiter. Unter den Zeitungsauschnitten fand ich einen Artikel aus dem August 1950. „Der bisher größte Rücktransport. Über 300 Landsleute aus Deutschland und Oberösterreich in Südtirol eingetroffen.“ Warum mein Großvater den wohl aufgehoben hat? Vielleicht war er froh, dass er nicht darunter war.

Autorin: Julia Lanthaler

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