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Sarah Meraner
Veröffentlicht
am 07.10.2024
LeutePoetry Slam Finale 2024

„Von der Kunstfreiheit gedeckt“

Veröffentlicht
am 07.10.2024
Worüber schreiben Slam-Poet:innen eigentlich? Und was bringen sie auf die Bühne, um den Titel „Landesmeister:in 2024“ zu ergattern? BARFUSS war beim großen Finale am Samstag im Stadttheater Bozen mit dabei – und hat genau hingehört.
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„Tutto inizia con il palco vuoto“, sagte Special Guest Filippo Capobianco in einem seiner insgesamt drei Performances am Samstagabend im Stadttheater Bozen. Der italienische Poetry-Slam-Weltmeister 2023 schwärmte von den Brettern, die die Welt bedeuten. Zumindest taten sie das an diesem Abend (Samstag, 5. Oktober) für die insgesamt zehn Slampoet:innen der Landesmeister:innenschaft 2024, die sich im Stadttheater Bozen gegeneinander antraten. Der Saal war fast komplett ausverkauft, das Publikum ein aufmerksames, die Regeln waren wie immer klar. Und hinter dem schwarzen Vorhang warteten die Teilnehmer:innen auf ihre fünf Minuten und 15 Sekunden Bühnenzeit.

Die Rede ist von Ania Viero, Lena Simonetti, Annalena Kluge, Olivia Kaufmann, Seamus Wimhurst, Filomena Hunglinger, Silva Manzardo, Nathan der Nice, Michaela Grüner und Titelverteidigerin Hannah Tonner. Leer war die Bühne an diesem Abend also eigentlich nie – und wenn nicht die Poet:innen auf der Bühne standen, so begleiteten Roberto Tubaro am Klavier und Helga Plankensteiner am Saxophon die souveräne MC Lene Morgenstern ebenso souverän durch den Abend.

Noch mehr als das Reglement und die Bewertungen interessiert sich BARFUSS für das, was die Teilnehmer:innen bewegt. Was beschäftigt die Poet:innen? Zehn unterschiedliche Menschen und jede:r brachte – neben seiner eigenen Texte natürlich – auch seine ganz eigene Geschichte und Persönlichkeit mit. Sie taten das auf nachdenkliche, verspielte, wütende, zynische, emotionale, trockene oder lustige Art und Weise.

Rückblickend lassen sich die Themen am Finalabend in drei Kategorien einteilen. 

Nummer 1: die Gefühlsgänger:innen
Da wären zum einen jene Teilnehmer:innen, die in ihren Texten das thematisieren, was sie emotional gerade besonders beschäftigt: Titelverteidigerin Hannah Tonner und Nathan der Nice eröffneten die Show mit dem Rechtsruck innerhalb der Politik. Obwohl für Kandidat:innen das gleiche Thema wohl immer einer kleinen Katastrophe gleicht, schien das fürs Publikum so gar kein Problem zu sein – zumal der Zugang zu diesem prekären Thema ein völlig anderer war: Hannah fragte sich, was Sophie Scholl und Anne Frank wohl sagen würden, wenn sie mitbekämen, was hier gerade passiert und vermittelte durch fehlende Antworten ihre Traurigkeit und Enttäuschung.

Vielleicht rettet mich die Kunstfreiheit, wenn es die Demokratie nicht tut.

Hannah Tonner

Nathan ließ hingegen seiner Wut freien Lauf und zeigte neben „blauen Flecken, die sich überall ausbreiten“ und einem lautstarken „Ihr W****“-Ausrufen auch seinen Mittelfinger – alle Aussagen und Gesten waren übrigens auch bei ihm „von der Kunstfreiheit gedeckt“. 
Und apropos Mittelfinger: Einen solchen sahen die Zuschauer:innen an diesem Abend gleich noch Mal und zwar bei Filomena Hunglinger, die eine persönliche Abrechnung an ihren Ex auf die Bühne brachte und ihn in schonungsloser Klarheit bat, er möge sie und ihre Kunst gehen lassen. 
Olivia Kaufmann hingegen fragte sich, wann sie ihre erste Liebe wohl wiedersehen würde, denn „man sieht sich immer zwei Mal im Leben“ und dieses zweite Mal könnte sehr schön werden.
Auch Annalena Kluge schlug sanfte Töne an, als sie über ihr Zuhause sprach und über das Fortgehen und die Erinnerung, die wohl „das einzige Zuhause ist, das wir haben“.

Auffallend bei den Gefühlsgänger:innen: Sie sind allesamt sehr jung – mutig eigentlich, wie sie persönliche Emotionen und Gedankengänge derart offen vor einem so großen Publikum darlegen. Eine große Stärke der jungen Slammer:innen an diesem Abend.

Nummer 2: die Kunstfreaks
In diese Kategorie fielen an diesem Abend zwei Kandidatinnen. Zum einen Ania Viero, die nach zwei Jahren Pause mit dem uncharmanten Satz „Siete tutti stronzi“ und einem „Curriculum mortis“ ihr Slam-Comeback feierte. Die italienischsprachige Kunst-Performance war so übermächtig, dass Lene Morgenstern anschließend einige Minuten brauchte, um den demolierten Mikrofonständer wieder zusammenzubasteln.
Etwas dezenter setzte Lena Simonetti ihren Körper ein, die dafür aber einen sehr künstlerischen und sprachgewandten (und zweisprachigen!) Text über diesen performte – über seine Fluidität, über Deformation und Zerstückelung.

Wie es bei etwas andersartiger Kunst so ist, würden auch diese beiden Texte eigentlich etwas mehr Zeit und Ruhe benötigen, um sie inhaltlich noch mehr erfassen zu können – was bei der Slamzeit von fünf Minuten leider nicht drin ist. Mutig sind daher auch die Kunstfreaks, weil sie mit ihren Texten immer das Risiko eingehen, vom Publikum womöglich nicht unmittelbar verstanden zu werden.

Nummer 3: die Geschichtenerzähler:innen
Last but not least gab es noch jene Poet:innen, die mit Geschichten aus dem (fiktiven?) Alltag plaudern oder den Alltag fiktiv werden lassen – so genau weiß man das am Ende nie genau, aber eins hatten die drei Geschichtenerzähler:innen des Abends – nämlich Silva Manzardo, Michaela Grüner und Seamus Wimhurst – gemeinsam: eine Portion Humor und Zynismus nämlich.
In italienischer Sprache und im Dialekt teilte Silva ihre Gedanken zu Todesanzeigen und wie ungerecht diese doch seien, könnten jene, über die geschrieben wird, sich ja nicht mehr wehren könnten. 
Michaela erzählte im gewollt emotionslosen und trockenen Professorinnenton von ihrem anhaltenden Kaffeedate Georg, der sich ständig rausredet und sich über Spargel und andere Aphrodisiaka unterhält.
Und Seamus berichtete als Halbengländer-Halbsüdtiroler über sein Dasein als Multikultureller, der zwischen Brot mit Kaminwurz und English Tee aufgrund doofer Identitätsfragen am liebsten zu Jack the Ripper werden würde – und balancierte dabei auf der Grenze von Humor und einem „Darf man das sagen?“

Die Geschichtenerzähler:innen sorgten an diesem Abend für Auflockerung und einige Lacher und Schmunzler, was sehr sympathisch und ungezwungen wirkte oder eben sehr aneckend und aus der Reserve lockend, wie bei Seamus.

Die Vielfalt des Poetry Slam
Dieser Balanceakt dürfte Seamus Wimhurst jedenfalls in die zweite Runde gebracht haben, genauso wie Nathan den Nicen seine Wutrede auf die Politik und Olivia Kaufmann ihre romantische Ode an das Vielleicht und die Möglichkeiten des Lebens.

Am Ende standen sich drei völlig unterschiedliche Texte gegenüber: von Olivia, die in einer wieder sehr zarten Performance auf die vergangene Liebe und das Vermissen setzte. Von Nathan, der einen inneren Kampf mit seinem Kopf führte und versuchte, sich von der Autorität seines Verstandes zu befreien, um mehr auf sein Herz hören zu können. Und von Seamus, der von seinem Sommerjob im Lebensmittelladen erzählte, in dem man „wie in der Hölle nie alleine ist“ und er sich allerhand ausländerfeindliche Aussagen anhören muss. Am Ende siegte Nathan der Nice mit seinem sympathischen und verrückten Kopf-Dialog und darf sich „Poetry Slam Landesmeister 2024“ nennen.

Was bleibt nach diesem Finale zu sagen? Vor allem die jungen Poet:innen zeigten ganz klar, was sie emotional bewegt – sei es die Engstirnigkeit der Südtiroler:innen, Liebeskummer, die Suche nach dem eigenen Ich oder aber die Sorge darüber, was mit unserer Welt geschieht. Mit all diesen Themen treffen sie den Nerv des Publikums – ganz klar also, dass das Finale auch in diesem Jahr wieder ein Slamkopf-an-Slamkopf-Rennen war. 

Mal sind es die großen Themen wie Liebe und Heimatgefühl, mal ungewöhnliche Betrachtungsweisen von kleinen und großen Dingen des Alltags. Mal ist es innerer Ausdruck, mal die Verarbeitung der äußeren Eindrücke. Und genau das ist doch das Schöne am Poetry Slam: dass das Publikum eigentlich nie so recht weiß, was es erwartet und es am Ende eine riesige thematische und emotionale Vielfalt geboten bekommt. So geht man als Zuschauer:in wohl immer, ja wirklich immer, mit einem ganz persönlichen Highlight aus der Show hinaus. That’s the magic of poetry.

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