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Veröffentlicht
am 10.12.2024
LeuteWas junge Menschen in Südtirol über die Welt im Jahr 2050 denken

Von der Klima-Dystopie zur Klima-Utopie

Veröffentlicht
am 10.12.2024
Wie könnte die Welt im Jahr 2050 aussehen? Michaela Bachmann aus Innichen nutzt ein positives Narrativ, denn sie ist der Meinung: Die Gesellschaft soll wissen, was überhaupt möglich sein kann.
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Als ich mir Gedanken über diesen Text gemacht habe, wurde mir erst (wieder) bewusst, wie nahe das Jahr 2050 liegt, aber wie fern es doch erscheint. Wir befinden uns heute beinahe gleich weit vom Beginn dieses Jahrhunderts entfernt, wie von der Mitte desselben. Was hat sich in den letzten 25 Jahren verändert? Viel und doch wenig zugleich. Oder? Eine Einschätzung der Vergangenheit fällt meist sehr leicht; uns die Zukunft vorzustellen ist jedoch durch viele Unsicherheitsfaktoren etwas komplexer. Den wohl größten dieser Faktoren stellt in unserer modernen Gesellschaft die Klimakrise dar, da dieser auf alle relevanten Einflusssphären und Gefüge wirkt und sie gravierend prägt. Dazu gehören unter anderem die politische und wirtschaftliche Stabilität, der Naturraum und seine Ökosystemleistungen, das individuelle und gesellschaftliche Wohlbefinden sowie kultureller und wissenschaftlicher Fortschritt. Das Jahr 2050 markiert somit einen symbolischen aber auch zeitlich treffenden Wendepunkt zwischen potenzieller Klima-Dystopie und Klima-Utopie.

Die Entwicklung hin zu einer Klima-Dystopie
Im Jahr 2050 sind Wetterextreme bereits zur neuen Normalität geworden: Die angestrebte globale Dekarbonisierung ist nahezu vollständig und kollektiv gescheitert, was bereits zu einer durchschnittlichen Erwärmung von 2°C geführt hat. Damit wurden auch globale Klima-Kipppunkte (wie beispielsweise das Abschmelzen der polaren Eiskappen, das Auftauen des Permafrosts oder der Stillstand des Golfstroms) überschritten, welche die Klimakrise weiter befeuern. Das veränderte Klimasystem hat ein deutliches Ausscheren der historisch stabilen Wetterverhältnisse verursacht, wodurch häufigere und intensivere Hitze- und Dürreperioden, Brände, Überflutungen, Extremregen, Stürme, aber auch Kälteperioden auf dem gesamten Globus zu beobachten sind. Dies bedeutet jährlich Millionen Erkrankte oder Tote durch Hitze, den Verlust von Hab und Gut durch Feuer und Fluten bei gleichzeitig versiegenden Flüssen oder neue Orte der Unbewohnbarkeit.

Neben direkten Auswirkungen auf Mensch, Tier und Vermögenswerte ist der Klimawandel auch auf die gesamten Ebenen der menschlichen Zivilisation vorgedrungen – teilweise mit bereits schwerwiegenden Folgen für die Gesellschaft. So haben Extremwetterereignisse 2050 zur Destabilisierung von globalen Lieferketten, dem Anstieg von Migrationsströmen oder Ressourcenkonflikten geführt. Menschen suchen auch innerhalb Europas neue Heimatorte, Urlaube verlieren ihre Sorglosigkeit und Lebensmittel erreichen neue Spitzenpreise. Neue Extremsituationen wirken neben der physischen Ebene auch auf die psychische Resilienz der Bürger.innen. Ein zeitgenössisches Gefühl der Anspannung und Unsicherheit durchdringt die Gesellschaft.

Häufigere und intensivere Extremwetterereignisse erschüttern auch nationale sowie internationale Sicherheitsgefüge. Die Verschärfung bestehender Probleme durch den Klimawandel – darunter Gesundheitskrisen, Inflation sowie Krisen auf Kapital- und Finanzmärkten – in Kombination mit modernen Phänomenen wie Fake News in der Ära der sozialen Medien hat letztlich den Beginn demokratischer Erosion und hegemonialer Machtverschiebung eingeleitet.

Der Beginn einer Klima-Utopie
Diese dystopischen Entwicklungen haben mit Erreichen der Mitte des 21. Jahrhunderts auch dazu geführt, die Klimakatastrophe nicht nur als gesellschaftliche Chance zu begreifen, sondern sie durch Neuorientierung und radikale Lösungsansätze zu bekämpfen. Das Kollektiv gewinnt dadurch ein vergessenes Gefühl der Gestaltungsmacht – weg von Ohnmacht und hin zu einer neuen Aufbruchstimmung. Ein solches Potenzial zur Klima-Utopie ist jedoch nicht global homogen verteilt, sondern eng an finanzielles Kapital und wissenschaftliches Monopol gekoppelt. Dies beschränkt die Umsetzung zunächst auf wenige Industriestaaten, wobei aufstrebende Volkswirtschaften (beispielsweise BRICS-Staaten) und schließlich der Globale Süden folgen.

Obwohl in der Klima-Utopie auch die Reduktion bzw. die Umkehr der Treibhausgasemissionen (zum Beispiel Carbon Capture) eine wichtige Rolle einnimmt, so erfordern doch die sozialen, wirtschaftlichen sowie politischen Aspekte besonderes Augenmerk. Hier manifestiert sich die Klima-Utopie auf unterschiedlichen Ebenen: Durch die Etablierung einer supranationalen Entität, welche u.a. legislative Entscheidungsmacht über Klimafragen besitzt, wird die Rechenschaftspflicht nationaler Regierungen gegenüber ihren Bürger*innen gestärkt, was der Klima-Lethargie entgegen wirkt. Hier spielt auch die nationale, regionale und lokale Transformation der Gesellschaft und ihrer Prozesse eine entscheidende Rolle, da die Qualität und Geschwindigkeit dieser in ihrer Gesamtheit richtungsweisend ist. Ein globales, insbesondere aber regionales und lokales Bewusstsein systemischer Zusammenhänge und Auswirkungen der durch den Klimawandel ausgelösten Multi-Krise ermöglicht bereits dadurch, wichtigen Handlungsspielraum zu schaffen .

Vor allem auf die Anwendung von innovativen, integrativen und transformierenden Anpassungsstrategien an den Klimawandel kann im Globalen Norden als normative Lösungsansätze zurückgegriffen werden. Beispiele dafür sind etwa grüne Fassaden und Parks in Stadt- und Wohnraum, Gemeinschaftsgärten, in welchen Bürger:innen gerne ihre Freizeit verbringen,  eine klimaresiliente und pflanzenbasierte Landwirtschaft, welche Wissenschaft und Bäuer:innen verbindet, leuchtende Solarpaneele an Plus-Energiehäusern oder Smart und Sponge Cities. Durch die Festigung internationaler Zusammenarbeit, finanzielle Unterstützung und wissenschaftlichen Austausch werden diese Ansätze auch in aufstrebenden Volkswirtschaften, besonders aber im Globalen Süden zusehends praktikabel.

Die Stärkung regionaler und nationaler Ressourcenunabhängigkeit weltweit leistet einen wichtigen Beitrag zur Autarkie und trägt damit zur regionalen Entkoppelung von globalen Krisensituationen bei. Die Eigenproduktion von lebensnotwendigen Gütern wie Lebensmitteln, medizinischen Produkten, Elektronik oder Textilien stärkt nicht nur nationale und regionale Märkte, sondern fördert zudem kleinräumige Wissensproduktion. Dadurch entstehen vielfältige und konkurrenzfähige Regionen, was Zusammenhalt, Zugehörigkeit und Identität stärkt. Die regionale und nationale Produktion ermöglicht zudem eine bessere Kontrolle von Umwelt- und Klimastandards sowie die Einhaltung von Menschenrechten. Engmaschige und diversifizierte Produktions- und Lieferketten erleichtern zudem die Aufrechterhaltung des Angebots sowie die Unterstützung von Regionen bei Ausfällen durch Extremwetterereignisse.

Der wohl zentralste Teil der Klima-Utopie entfällt jedoch auf die aktive Rolle der Gesellschaft. Durch Klimabildung sowie der Formierung von neuen, gemeinschaftsbasierten (bottom-up) Strukturen kann sich breite, gesellschaftliche Resilienz gegen die Herausforderungen des Klimawandels bilden. Engagement und ein gestärktes Miteinander in Vereinen, Gemeinschaften und Partnerschaften fördern Austausch sowie das Gefühl, am selben Strang zu ziehen – sowohl während kurzfristigen Extremereignissen als auch im langfristigen Wandel des Klimasystems. Ein verändertes Arbeitszeitmodell, das solche gemeinschaftsorientierte Tätigkeiten unterstützt, schafft zudem Raum für die Einbindung von weniger sichtbaren Teilen der Gesellschaft wie beispielsweise älterer Menschen, Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderung oder Migrant:innen. Beispiele wie Energiegemeinschaften, welche die nationale Versorgung mit grünem Strom unterstützen oder die aktive Partizipation von Bürger:innen in klimarelevanter Vereins- und Freiwilligenarbeit zeigen, wie gemeinschaftliches Handeln zur gesamtgesellschaftlichen Klima-Anpassung beiträgt. Durch die Kombination von diesen Faktoren entstehen lebendige und sinnstiftende Gemeinschaften mit zuversichtlichen, glücklichen Menschen.

Informierte und engagierte Bürger:innen bilden zudem eine zentrale Stütze der Demokratie. Klimatische Veränderungen begünstigen Krisen und Konflikte, wodurch antidemokratische oder autokratische Prozesse schnell an Einfluss gewinnen. Aktive Partizipation fördert politische Bildung in der Gesellschaft, was dazu beiträgt, solchen Tendenzen vorzubeugen oder sie zurückzudrängen. Individuen sind damit weiters in ihrer Selbstwirksamkeit gestärkt und vertrauen in den Erfolg des gemeinsamen Prozesses. Einer Gesellschaft mit breit gefächerter Resilienz gelingt es dadurch auch besser, die weitreichenden Auswirkungen des Klimawandels auf Wirtschaft, Gesellschaft und Politik abzufedern und zu bewältigen.

Während meines Brainstormings über die doch nicht mehr so weit entfernte Zukunft überwogen in mir ganz klar die dystopischen Gedanken. Dabei beeinflusst mich meine Arbeit im Bereich Klimarisiko und die tägliche Auseinandersetzung mit bereits stattfindenden und erwarteten Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesellschaft. Ich habe mich jedoch bewusst für ein positives Narrativ entschieden. Denn damit sich diese Utopie auch in tatsächlichen Optimismus verwandeln kann, benötigt die Gesellschaft zunächst einen Diskurs darüber, was überhaupt möglich sein kann. Auch wenn der beschriebene Wendepunkt der Klimakrise durch eine völlige Kursänderung von unterschiedlichsten Systemen aus heutiger Sicht noch nicht vollständig realistisch erscheinen mag, so verdeutlichen doch die dystopischen Aussichten die Dringlichkeit, gegenwärtige Handlungen bereits strategischer auszurichten. Dies betrifft sowohl innovative Anpassungsstrategien gegen die Auswirkungen des Klimawandels, als auch damit verbundene Investitionen in die globale Zusammenarbeit, Klimagerechtigkeit, gesellschaftliche Resilienz und besonders die Stärkung der Demokratie.

Michaela Bachmann, geboren 1996, aus Innichen


Weitere Beiträge aus dieser Reihe: 

https://www.barfuss.it/meinung/in-eine-globalistische-richtung-entwickeln/ (Folge 1)
https://www.barfuss.it/meinung/eine-umorientierung-wird-schmerzhaft/ (Folge 2)
https://www.barfuss.it/meinung/vielleicht-kann-pessimismus-die-welt-veraendern/ (Folge 3)
https://www.barfuss.it/leben/der-ueberlebensinstinkt-des-menschen-wird-uns-antreiben/ (Folge 4)

Dieser Beitrag stammt aus der Serie „Was junge Menschen in Südtirol über die Welt im Jahr 2050 denken“, herausgegeben von Roland Benedikter (Eurac Research)

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