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Leon Pergjoka ist zwischen vielen Kulturen aufgewachsen, was ihm stets gut gefallen hat, erzählt er. Seine Familie floh aus dem Kosovo, als er zehn Jahre alt war. So lebte er für einige Jahre in der Nähe von Luttach im Ahrntal. Es folgte ein Soziologiestudium in Trient und Bologna und die Arbeit als Entwicklungshelfer in Peru. Heute ist er unter anderem Präsident des Brunecker Gemeindebeirats für Integration und Migration, kurz BIM, und aktives Mitglied des Kulturvereins Diverkstatt. Gut möglich, dass ihn all diese Erfahrungen seine typische Gelassenheit gelehrt haben.
Den überparteilichen Brunecker Beirat für Integration und Migration gibt es seit einem Jahr. Das beratende Gremium ist zugleich ein Verein, der Gemeinde und Politik bei Fragen zur Integration und Migration unterstützt und sich mit weiteren Institutionen vernetzten will. Dafür sind elf Personen aus verschiedenen Tätigkeitsbereichen wie Arbeit, Jugend, Wirtschaft, Soziales, Kultur und Schule tätig. Diese wählten den 29-jährigen Brunecker Leon Pergjoka zum Präsidenten. Pergjoka arbeitet als Lehrer und bringt als interkultureller Mediator an Schulen wertvolle Integrationskompetenzen im Jugendbereich mit.
Was hat dich zur Mitarbeit im Brunecker Beirat für Integration und Migration (BIM) bewogen?
Ich wurde am Anfang mehr oder weniger zufällig zum Beirat eingeladen und wollte dabei sein, weil ich mich schon seit langer Zeit für Integration in Bruneck einsetze. Ich sehe die Tätigkeit als gute Chance, um etwas mitzugestalten. Auch meine Eltern haben sich früher in diesem Bereich engagiert. Ich finde es besser mitzuwirken, statt sich nur zu beklagen (grinst).
Was ist im BIM seit seiner Gründung geschehen?
Der Beirat ist noch relativ neu, aber wir bauen gerade die Gruppe auf, unterstützen Projekte an Schulen und vernetzen uns mit anderen Vereinen. Es wäre sehr interessant, sich mit weiteren Beiräten auszutauschen, die kürzlich in anderen Gemeinden gegründet worden sind.
Was bedeutet für dich Integration?
Integration ist ein ständiger Prozess zwischenmenschlicher Beziehungen, der alle Menschen betrifft, unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, Lebenssituation oder sexuellen Orientierung. Damit sich jedes Individuum integriert fühlt, muss es sich beispielsweise wohlfühlen können, Freunde haben, mit denen Erlebnisse geteilt werden, und sich auf funktionierende Institutionen verlassen können. Übrigens kann sich jede und jeder Einzelne mal fragen, ob sie oder er sich integriert fühlt. Eine allgemeine Definition gibt es allerdings nicht, eher Anhaltspunkte, die je nach Gegebenheiten und Orten sehr unterschiedlich ausfallen.
„Als Minderheit sind wir vorsichtiger im Umgang mit äußeren Einflüssen, weil wir die eigene Kultur schützen wollen. So schotten wir uns manchmal ab, aus Angst sie zu verlieren.”
Wie geht Südtirol mit Integration um?
Ich denke, Südtirol tut sich in Sachen Integration nicht so leicht, wie es eigentlich könnte: Als Minderheit sind wir vorsichtiger im Umgang mit äußeren Einflüssen, weil wir die eigene Kultur schützen wollen. So schotten wir uns manchmal ab, aus Angst sie zu verlieren. Dabei kommen Menschen zu uns, die sich ein neues Leben aufbauen wollen, normalerweise mit guten Vorsätzen und damit sie es einmal besser haben. Sie wissen, dass hierzulande die Menschenrechte eigentlich einen hohen Stellenwert haben. Wenn ihnen aber vermittelt wird, dass ihre Rechte totzdem an letzter Stelle kommen, folgt die Enttäuschung und damit die negativen Folgen einer misslungenen Integration. Andererseits denke ich, dass gerade Südtirol große Chancen und Möglichkeiten hat, ein Beispiel für andere Länder in diesem Bereich zu sein, wie es z. B. mit der Autonomie schon der Fall ist. Dies vor allem dank seiner eigenen geschichtlichen Erfahrungen, der demographischen und geographischen Situation und nicht zuletzt der wirtschaftlichen Stärke, die es hat.
Sind unsere Verlustängste eigentlich unbegründet?
Ja, denn Vielfalt bedeutet Stärke. Vielfalt hat die Menschheit doch so weit gebracht, man denke etwa an die Wissenschaft. Wo wären wir dort ohne Vielfalt und Austausch? Grundsätzlich finde ich, dass kulturelle Verlustängste irrational sind. Eine Kultur verändert und entwickelt sich ständig, alleine schon durch den technologischen Einfluss, den Tourismus, und so weiter. Entwicklung und Veränderung zu stoppen, würde uns doch nirgendwohin führen! Und um nochmal aufs Thema Vielfalt zu kommen: Uns wird doch ständig gesagt, wir sollen flexibel, vielseitig oder vielfältig sein, möglichst viele Sprachen und Kulturen kennen usw. Das ist in der Arbeit so, in den Beziehungen, die wir führen, und in vielen anderen Bereichen auch.
„Viele Diskussionsrunden werden von Interessierten besucht, die bereits mit dem Thema vertraut sind. Wir möchten aber auch die anderen erreichen.”
Wie können diese Ängste, die eigene Kultur zu verlieren, abgebaut werden?
Durch genügend Raum für den richtigen Austausch. Viele Diskussionsrunden werden von Interessierten besucht, die bereits mit dem Thema vertraut sind. Wir möchten aber auch die anderen erreichen. Deshalb haben wir uns beispielsweise am Brunecker Altstadtfest beteiligt. Es gab eine Kinderbastelecke, Hennamalerei, Musik, Feuerspiele und wirklich wunderbares Essen aus verschiedenen Kulturen: Kosovarisches Byrek mit Spinat und Lauch, Linsen- und Süßkartoffelsalat auf Bangladeschi Art oder marokkanische Quiche – also exotische Rezepte, aber so weit wie möglich mit heimischen Produkten zubereitet, direkt vom Bauernhof. So konnten wir durch das Essen das Zusammenleben symbolisch darstellen.
Ich bin immer noch vom Erfolg unsere Standls überwältigt, es war wirklich schön. Alt und Jung sind neugierig auf uns zugekommen, haben das Essen genossen und mitgetanzt, manche auch in Tracht. Ein schönes Fest erfreut uns alle, da sind alle Menschen gleich. Durch den persönlichen Austausch entsteht Nähe, die dann Ängste und Vorurteile abbaut.
Hat deine persönliche Lebensgeschichte dich in deinem Tun bekräftigt?
Auf jeden Fall. Ich hatte einen guten Erstkontakt. Ich war das einzige Einwandererkind in der Klasse, aber immer mit anderen Kindern aus dem Dorf unterwegs, die alle sehr nett waren. Es gab weniger Vorurteile. Die anderen Dorfbewohner haben uns anfänglich noch beobachtet, aber als wir Jahre später nach Sand in Taufers umzogen, haben sie uns alle traurig verabschiedet. Ich hatte also großes Glück. Es ist wichtig, nicht zu verallgemeinern und stattdessen kritisch zu differenzieren, denn es gibt auf beiden Seiten nicht nur Opfer und Täter. Integration ist wie gesagt ein Prozess, wofür viel Ruhe, Zeit und Geduld nötig sind. Wer aber in endlos scheinenden Warteschleifen und ständiger Unsicherheit verharren muss, fühlt sich bald wie ein Mensch zweiter Klasse. Und wer das Gefühl hat, allen egal zu sein, wird mit dementsprechender Antihaltung und kultureller Isolation reagieren. Fast nach dem Prinzip „Wie du mir, so ich dir“.
Vielen Dank für das Gespräch!
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