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12 Zentimeter High Heels in hellgrauem Wildleder, dunkelblaue Culottes, eine weiße Bluse und ein dunkelblauer Blazer, der locker auf ihren Schultern liegt. So stackelt Nadia Tschenett Nösslinger ins Café Exil auf dem Bozner Kornplatz, wo sie sich einen frischgepressten Fruchtsaft bestellt. Knallroter Lippenstift unterstreicht ihren Schmollmund, in der linken Hand hält sie ihr Smartphone. Genau so stellt man sich eine Frau aus der Modewelt vor. Ihr halbes Leben hat die 40-jährige Lananerin dort auch verbracht. Von der Modeassistentin bei der deutschen ELLE bis hin zur PR-Beraterin bei der bekanntesten Fashion-PR-Agentur Deutschlands hat sie eine Bilderbuchkarriere hingelegt. Marken wie Burberry oder Jil Sander haben ihr ihr Vertrauen geschenkt. Heute ist sie Mama eines zwei Jahre alten Sohns. Ihre Modeleidenschaft lässt sie sich deshalb aber nicht nehmen.
Das Fashionportal Modepilot bezeichnet dich als Super-Frau. Was steckt hinter deiner Karriere in der Modewelt?
Oh je, Super-Frau – die waren viel zu nett mit mir. Ich war schon immer eine Mode-Maus und hatte großes Interesse für Mode. Aufgewachsen bin ich in Dorf Tirol in einem Hotel, neben dem ein kleiner Zeitungskiosk stand. Während die anderen sich dort die Micky Mouse und die Bravo gekauft haben, habe ich immer schon nach der ELLE und der Vogue gegriffen. Heute habe ich eine ganze Sammlung davon. Die schönen Frauen und die schönen Kleider haben mich fasziniert. Meine Eltern wollten aber, dass ich etwas „Ordentliches“ studiere und so habe ich mich für ein Wirtschaftsstudium in Wien entschieden. Im Nachhinein finde ich meinen Weg aber sehr gut, weil man als Quereinsteiger ein ganz anderes Verständnis für die Mode hat.
Wie hast du dann trotzdem den Weg in die Modewelt gefunden?
Bereits während des Studiums habe ich mich bei der ELLE beworben. Damals hat es noch nicht geklappt, aber ich habe nicht aufgegeben und bin schließlich als Praktikantin drei Monate in der „Beauty“ gelandet. Ein Traum: Ich war Hüterin über einen ganzen Raum, voll mit den neuesten Produkten. Daraufhin folgte ein Praktikum beim „Lifestyle“, wo ich meine ersten Interviews geführt und Artikel geschrieben habe. Und schließlich bin ich ins Moderessort gewechselt. Aus dem Praktikum wurde so ein Volontariat, aus dem Volontariat eine Assistentenstelle und am Ende war ich sechs Jahre lang die rechte Hand der Modechefin bei der deutschen ELLE.
Wie kann man sich den Job dort vorstellen?
Wir sind viel gereist, haben uns Modeschauen angesehen und Fotoshootings realisiert.
Später hast du dann in den PR Bereich gewechselt …
Nach acht Jahren hatte ich genug und habe bei Haeberlein & Mauerer angefangen, wo ich Hugo Boss, North Sails und andere große Marken betreut habe. Dabei war ich Dreh- und Angelpunkt zwischen der Marke und der Presse und habe versucht, die Marken auch ohne Werbeschaltungen in den Medien zu platzieren. Irgendwann hat sich dann LOEWS, die bekannteste Fashion-PR-Agentur Deutschlands, bei mir gemeldet und ich habe natürlich zugesagt. Dort war ich als Unit Director für die Marken Jil Sander und Burberry verantwortlich.
Trotzdem hast du vor zwei Jahren deine Zelte in München endgültig abgebrochen. Warum?
Weil ich Mama geworden bin. Jetzt bin ich deshalb gerade in Elternzeit und arbeite hier in Südtirol als Freiberuflerin. Doch bald schon möchte ich junge Südtiroler Marken etwas mehr pushen – vielleicht sogar in Zusammenarbeit mit München.
Wie hält man sich hier, auf dem Land, in Sachen Mode auf dem Laufenden?
Über Instagram! Ich gebe zu, dass ich ein echter Junkie bin. Ich finde das alles wahnsinnig spannend, weil diese Plattform und unsere Zeit vor allem jungen Talenten die Chance gibt, aufzusteigen.
Kannst du dich noch an die Zeiten in der Mode erinnern, in denen es kein Internet gab?
Hör auf! Ich erinnere mich, dass ich in der Oberschule auf dem Tageslichtprojektor einen Vortrag gehalten habe, um zu erklären, wie das Internet funktioniert. Das kann man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen. Auch bei der ELLE haben wir noch Fotos ausgedruckt und meine Chefin hat von Zeiten erzählt, zu denen man mit Dias gearbeitet hat. Mittlerweile kann man seine Mode überall kaufen. Es gibt heute bereits Stores, in denen man ein Produkt anprobiert und der Spiegel erkennt, was man gerade trägt. Passend dazu projiziert er auf einen Monitor die Herstellungsgeschichte des Kleidungsstücks und kurze Image-Filme.
Macht man sich in der Modewelt, vor allem bei großen Marken, denn wirklich Gedanken darüber, wie das Kleidungsstück produziert wurde?
Ja. Heutzutage sind die Marken alle extrem vorsichtig geworden. Wenn eine Firma sagt, etwas sei nachhaltig produziert, dann ist das so. Zu lügen könnten die sich nicht mehr leisten. Der Trend in Richtung Gesundheit reicht vom Essen übers Wohnen bis zur Mode. Es ist alles Yoga, Ayurveda und Avocado-Toast. (lacht)
Aber Mode ist auch Konsumgut. Kann man da noch von Nachhaltigkeit sprechen?
Der Trend geht im Großen und Ganzen immer mehr in Richtung sammeln. „Collezione“ wie man so schön sagt. Man merkt auch bei jüngeren Leuten, dass man lieber auf ein teureres Teil spart, als schnell Billigware zu konsumieren. Das Bewusstsein für Mode hat sich geändert und ändert sich weiter.
„Der Trend geht hin zum Individuellen.“
Und wohin geht der Trend?
Immer mehr zum Individuellen. Auch wenn es die großen Marken immer geben wird, wollen die Leute nicht von oben bis unten in Zara oder Gucci gekleidet sein. Sie wollen etwas, womit sie herausstechen. Deshalb positionieren sich zur Zeit die jungen Marken so gut auf dem Markt.
Und was ist gerade für dich persönlich Trend?
Im Moment folge ich einer Marke aus Deutschland, die ich besonders spannend finde. Mutter und Tochter, die „goldstück.germany“ heißen und Sommer-Bastkörbe verkaufen, die sie selbst bemalen und individualisieren. Sie arbeiten nur mit Instagram. Man schreibt ihnen eine Mail, sie machen den Korb, posten ihn und schicken ihn dir zu.
Kommt Südtirol solchen Trends überhaupt noch hinterher?
Ja, absolut. Ich war bei meiner Heimkehr sehr überrascht von Marken und Mode hier. Es sind auch sehr viele ganz junge Leute unterwegs, die alle extrem toll gekleidet sind. Es gibt keinen einheitlichen Stil wie zu meiner Zeit. Außerdem ist der Modezirkus, im Sinn von neuen Talenten, gewachsen. Viele der Designer bleiben mittlerweile hier und bieten dadurch unterschiedliche Facetten an Mode. Südtirol ist so nicht mehr „nur“ das traditionelle Trachtenland.
Und wie würdest du deinen eigenen Stil beschreiben?
Klassisch, modisch. Mir gefällt das Ausgefallene gut bei anderen, aber für mich bevorzuge ich das Klassische. Auch wenn ich ab und an auch Jeans trage.
„Ich habe immer probiert, ein bisschen im Rahmen zu bleiben.“
Also sieht man dich nie im heruntergekommenen Mami-Look?
Natürlich. Jogginghose und Bloggerbun gibt’s bei mir auch. Und zwei, drei Mal habe ich auch schon meinen Mann angerufen und heulend gesagt: „Jetzt ist es soweit, sie haben mich!“ Mit Joghurt über der Hose, Gemüsebrei auf dem Shirt und fettigen Haaren hat es mich in diesen Momenten auch gegeben. Aber ich habe immer probiert, ein bisschen im Rahmen zu bleiben.
Warum hast du denn am Höhepunkt deiner Karriere doch entschieden, Mama zu werden?
Ich habe zwei Schwestern, mein Mann hat auch zwei Geschwister. Für uns stand immer schon fest, dass wir Kinder haben wollen. Außerdem habe ich in München viele Frauen getroffen,die primär auf ihre Karriere konzentriert waren und unbewusst die Wichtigkeit der Familie zu gering eingeschätzt haben. Als Frau, die Kinder haben möchte, muss man eben irgendwann mutig genug sein, sich am Höhepunkt der Karriere doch für ein Kind zu entscheiden.
Wie hast du den Wechsel von München nach Lana empfunden?
Ich habe es mir schlimmer vorgestellt, als es war und war am Ende positiv überrascht. Mit 18 Jahren bin ich weggezogen und bin von da an nur noch für Besuche im Hotel Mama zurück gekommen. Lange Zeit konnte ich es mir nicht vorstellen, aber mit Familie ist die Lebensqualität hier sehr viel höher. Trotzdem mache ich mir manchmal Gedanken über meine berufliche Zukunft.
Und was planst du?
Visual merchandising, neue Marken entdecken und beraten. Und das alles vielleicht noch in Zusammenarbeit mit München. Es gibt viele Jungdesigner, die man hier unterstützen kann. Das Wichtigste ist immer, dass es Spaß macht und ich die Facetten, die ich in den letzten Jahren gelernt habe, nutzen kann.
Was sind die Must-haves für den kommenden Sommer?
Lange Sommerkleider im Hippie-Style, flache Slippers und einen Bastkorb natürlich. Ich hab meinen auch schon bestellt.
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