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Veröffentlicht
am 19.10.2013
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Venedig geht unter

Veröffentlicht
am 19.10.2013
Ein Tag in der Lagunenstadt: Vom Massentourismus und dem einen oder anderen schönen Moment.
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Ich bin gerade von einem spannenden Tagesausflug nach Venedig zurück und musste mich hinsetzen, um meine Gedanken zum heutigen Tage zu sammeln. Nun kann ich nicht anders als dieses Wirrwarr an Emotionen niederzuschreiben.
Um 6.30 Uhr Früh, pünktlich wie eh und je, holt mich der Bus des Reiseunternehmens ab. Mit mir warten noch drei weitere Grüppchen: Einem Grüppchen lächle ich zu, alle scheinen wohl zu denken: „Nach Venedig, oder?“. Ich nähere mich dem Bus, betrete ihn und bezahle. Ich sehe mich um und glaube in einer Senioren-Reisegruppe zurück nach Deutschland gelandet zu sein. Mein Fahrschein bestätigt mir jedoch auf dem Weg nach Venedig zu sein. In Gargazon steigt meine Kollegin ein und wir starten dann nach zwei weiteren Stopps endlich Richtung Süden. Im Bus erzählt uns der Busfahrer dieses und jenes von Venedig: von Restaurants, von den Toiletten, vom stinkenden Venedig, das in Wirklichkeit gar nicht so stinkt, von Zigeunern, die auch gern mal eine Handtasche entwenden, vom Tourismus, den Einwohnern und vom Zerfall der Stadt, der nicht aufzuhalten ist. Ich habe nun hohe Erwartungen.

Menschenmassen wohin das Auge reicht

Im Hafen von Mestre angekommen, holt uns die Fähre ab und bringt uns durch den Canal Grande bis in die Stadt. 20 Minuten dauert die Fahrt übers Wasser, dabei werden uns in Deutsch und Englisch, „für unsere Touristengruppe aus Deutschland“, die Sehenswürdigkeiten von Venedig kurz erklärt. Ich schaue dafür von links nach rechts und wieder von rechts nach links und wäre dabei lieber eine Eule, die ihren Kopf um 270 Grad drehen kann. Als große Attraktion wird uns ein Kreuzfahrtschiff nach Griechenland angepriesen, das da am Hafen steht. Wird wohl zu den Sehenswürdigkeiten von Venedig gehören, denke ich mir. Ich sehe zu meiner Linken die Promenade mit den vielen Brücken, wo man dann durch Zwischensträßchen zum Markusplatz gelangt. Doch, denke ich mir, gibt’s da heute Pizza und Eis umsonst? Hat Angelina Jolie einen Zwischenstopp in Venedig eingelegt? Das Boot erreicht nun den Anlegeplatz und ich erkenne jetzt, was sich hier abspielt: Es sind Tausende und Abertausende von Menschen: Deutsche, Holländer, Franzosen, Italiener, Spanier, Chinesen mit Kameras, Hüten und Regenschirmen (es scheint ja auch die Sonne). Wir steigen vom Boot aus, ich muss mich erst einmal orientieren, um mich herum sind ja nur Menschenmassen. Ich bin zwar groß, fühl mich aber trotzdem verloren.

Wir begeben uns nun zum Markusplatz und werden prompt von einem Schwarm Tauben attackiert, der im Sturzflug über unsere Köpfe segelt. Davon erholt, würden wir uns gerne den Markusdom ansehen. Die Menschenschlange reicht geschätzte fünf Kilometer über den Canal Grande hinaus bis zum anderen Ufer und da noch einige Meter weiter. Wir überlegen es uns anders und durchdringen die Schlange. Ich bin erstaunt, dass es heutzutage noch so viele Architektur- und Kunstinteressierte gibt, die dann noch auf ihre Ersparnisse achten (der Eintritt ist ja frei).
Wir folgen den Menschenmassen Richtung Innenstadt und mein einziger Gedanke ist, dass ich flüchten will. Am liebsten würde ich in die nächstbeste Gondel springen und zu Wasser weiterfahren, denke dann aber an die lieben Worte unseres Busfahrers, der beteuerte, eine Gondelfahrt würde zwischen 80 und 100 Euro kosten. Wir gehen also zu Fuß weiter. Auf unserem Weg werden wir von allen Seiten in die allerbesten Restaurants gezogen. Pizza, Nudel, Steak oder doch frisch gefischter Fisch? Wir entscheiden uns für eine Pizzeria, die sich dann aber trotzdem als Touristentreff herausstellt, und nicht als Platz, wo sich die Einheimischen treffen und gemütlich Pizza essen und danach einen Espresso schlürfen, wie wir uns das vielleicht erhofft hatten. Nun ja, sie war nicht schlecht, die Pizza.

Im wahren Venedig

Wir schlendern weiter und ich werde erdrückt, verfolgt und eingeengt von Souvenirs. Kitsch soweit das Auge reicht – venezianische Masken, Figürchen, Leibchen, vermeintliches mundgeblasenes Glas aus Murano, der Inselgruppe auf Venedig mit der weltweit schönsten und besten Glaskunst. Dabei wird vor allem die Ware aus dem Osten eingeschifft und billig verkauft: Man glaubt eine günstige Figur aus Murano zu ergattern, hat aber trotzdem ein Souvenir aus China in der Vitrine Zuhause stehen. Verwunderlich ist es ja nicht, wie sollten denn sonst die Gierigen befriedigt werden, die den Liebsten etwas mitbringen möchten und dabei am liebsten nicht viel mehr als einen Euro dafür ausgeben.
Nun ja, schlussendlich gelingt es uns dann trotzdem dem Strom zu entreißen und endlich landen wir im Venedig wie ich es mir eigentlich vorgestellt habe. Wir spazieren durch die verlassenen Gassen, die teilweise gerade mal so breit sind, dass man links und rechts die Wände streift. Ich kann wieder durchatmen und fühle mich wieder etwas freier. In einem Durchgang rieche ich den Duft von frischer Wäsche auf einer Leine, die oberhalb meines Kopf hängt, in einem anderen erfasse ich die Peperonata, die eine Nonna für das Mittagessen kocht. Ich höre, wie sich die Nachbarinnen ober mir angeregt von Fenster zu Fenster unterhalten. Wie schön könnte es doch sein, denke ich mir.

Ich schaue auf die Uhr, es wird wieder Zeit zum Treffpunkt zurückzukehren. Ich halte die Luft an und durchstreife erneut den verstopften Strom der Massen, überquere den Markusplatz (die Schlange vor dem Markusdom wurde mittlerweile nicht kürzer) und pünktlich um fünf vor vier sind wir wieder bei der Fähre.
Bei der Heimfahrt mache ich mir einige resümierende Gedanken und besinne mich dabei an die Worte unseres Busfahrers, der vom Zerfall Venedigs erzählte. Der Verfall findet hier auf eine ganz andere Weise statt. Venedig sollte eigentlich die Stadt der Liebenden, die Stadt der Künste, der Kunstgeschichte sein. Sie sollte mitreißen und begeistern. Stattdessen wird der Flair der Stadt, der ja eigentlich vorhanden ist, durch die Millionen Besucher jährlich zunichte gemacht. Venedig wird dem Tourismus angepasst, die Menge wird angesprochen, billiger Schnickschnack hier und da, dass ja immer mehr Leute angepilgert kommen. Dabei sollte der Tourist das Gegebene der Stadt schätzen und genau deshalb ein neues Mal zurückkehren wollen.
Es läuft aber schlussendlich darauf aus, dass man einen weiteren Ort abgehakt hat, auf der Liste der Orte, die man gesehen haben muss. Ich werde Venedig von meiner Liste löschen.

Autorin: Martina Tammerle

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