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„Ich pack dich mit deinen Emotionen am Genick! Und schleuder dich aus der Scheiße in die Luft! ICH BIN DEINE AMYGDALA!“ Amygda… was? Amygdala. Um das neue Theaterstück der Vereinigten Bühnen Bozen, das aus der Feder von Anna Gschnitzer stammt, zu verstehen, ist ein kurzer Exkurs in die Neurobiologie notwendig. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – ist der älteste Teil unseres Gehirns. Sie ist wesentlich an emotionalen Reaktionen beteiligt sowie an der Speicherung von Gedächtnisinhalten. Und: Sie sendet Signale, die zur Ausschüttung von Stresshormonen führen, um den Menschen auf Flucht oder Kampf vorzubereiten. So. Und nun stell dir vor: Du bist Mutter, hast einen Fahrradunfall und deine Amygdala macht sich mit deiner Erinnerung an Mann, Kindern und Kredit aus dem Staub. Auch Schauspielerin Barbara Romaner stellt sich das vor – und führt ab dem 14. März insgesamt zehn Mal einen 50-Minuten-Monolog im Stadttheater Bozen. Und weiß dabei nicht mal genau, wer sie da auf der Bühne genau ist. Oder was sie fühlt. Oder doch? Auf jeden Fall lässt sie sich von ihrer radikalen Amygdala wild durcheinanderwirbeln. Wir haben Barbara Romaner vorab zum Interview getroffen.
BARFUSS:Frau Romaner, wie ist das denn, so völlig alleine auf der Bühne?
Barbara Romaner: Schon sehr besonders. Ich kann es genießen, so viel Text zu bewegen, viele Gedanken zu verfolgen und viel gedanklichen und räumlichen Space zu haben.
Aber es ist natürlich auch einsam, es fehlen einem die Kolleg:innen. Es ist ein Fluch und Segen, würde ich sagen (lacht). Es ist mein erstes Mal so ganz alleine, darum ist es auf jeden Fall ein Abenteuer.
Und dann auch noch ohne jegliche Erinnerung …
Wir haben lange rumgesucht, wie wir sie darstellen: die Protagonistin, die ihre Erinnerung verliert … Was bleibt noch, welche Figur kommt dabei raus? Es braucht eine gute Regie – und wir haben eine sehr starke Regisseurin. Nele Lindemann hat einen guten Riecher und weiß, was sie will. Ich kann ihr vertrauen und kann mit ihr gemeinsam suchen.
Was ich auch total toll finde, ist, dass die Autorin Anna Gschnitzer bei den Proben vorbeigeschaut hat und uns ihr ehrliches Feedback gegeben hat. Sie hat beschrieben, was sie gut und was sie weniger gut findet und ist mit uns in den Dialog getreten. Es wurde ein Kompromiss gefunden, zwischen dem, was sie möchte und dem, was die Regisseurin möchte. Dieser Austausch ist ein totaler Luxus.
Macht es überhaupt Spaß, ein Stück komplett alleine zu spielen?
Es macht schon Spaß, ja. Im Stück gibt es drei Figuren, die ich spiele. Und eine davon, die Amygdala, ist ein Feuerwerk an verschiedensten Haltungen und Wutausbrüchen. Sie ist eine Leuchtrakete – und was aus ihr so hinausschießt, macht auf jeden Fall große Freude.
Wann und wie sind Sie zur Schauspielerei gekommen? War das bei Ihnen dieser klassische Kindheitstraum?
Das ist bei mir sehr spät gekommen. Ich wollte als Mädchen tanzen und bin zum Ballett. Ich habe den Bühnenauftritt schon geliebt und hatte auch eine tolle Ballettlehrerin. Am Ende des Jahres gab es im Grieser Theater oder im Waltherhaus immer eine Aufführung, das hat mir gefallen. Im Schultheater, im Musical „Scrooge“ und in der Musical School habe ich erste Erfahrungen und kleine Erfolge gesammelt. Ich habe also schon hineingeschnuppert, aber so richtig davon geträumt, Schauspielerin zu werden, habe ich nicht – erst im Maturajahr. Meine zwei Jahre ältere Freundin Beatrix Reiterer besuchte in Hamburg die Stage School, wo ich dann auch hin bin. Weil ich aber gemerkt habe, dass es mich eher zur Schauspielerei als zum Musical hinzieht, habe ich auf eine Theaterschule gewechselt.
Nach ihrem Studium an der Bayerischen Theaterakademie hatte Barbara Romaner verschiedene Auftritte in Deutschland, von 2007 bis 2015 war sie Ensemblemitglied am Münchner Volkstheater. Anschließend spielte sie als Gast am Residenztheater München und bei den Vereinigten Bühnen Bozen, wo sie zuletzt für „Anthropos, Tyrann (Ödipus)“ sowie „Monte Rosa“ auf der Bühne stand. Seit 2009 ist Romaner auch in Film und Fernsehen zu sehen – für den Film „Mahler auf der Couch“ bekam sie 2011 den Österreichischen Filmpreis als beste weibliche Darstellerin.
Was haben Sie zuletzt auf der Theaterbühne gespielt?
Tatsächlich war das Monte Rosa bei den Vereinigten Bühnen Bozen. Mit meinem dritten Kind bin ich aus dem Münchner Volkstheater ausgetreten und deshalb ist das Theaterspielen in München ein bisschen eingeschlafen. Für mich ist es ein Fest, hier spielen zu dürfen. Parallel zu meinen ersten beiden Kindern habe ich aber sehr intensiv Theater gespielt.
Sie spielen nicht nur Theater, sondern drehen auch Filme. Was können Sie vom einen in das andere mitbringen?
Ich habe spät angefangen mit dem Drehen. Wenn ich auf die Bühne rausgehe, scanne ich erstmal ab, wo alle sitzen und sende dann. Dieses Bewusstsein muss ich beim Drehen hingegen in die Kamera reinlegen – das zu lernen war spannend, weil mir dadurch auch bewusst wurde, was ich am Theater eigentlich mache.
Manche Regisseur:innen wollen, dass du die Kamera vergisst. Aber es gibt Formate, bei denen du sehr wohl an die Kamera denken musst. Ein Bewusstsein dafür zu kriegen, ist schon ein großer Unterschied zum Theater. Aber dass man in dieses Senden geht, ist doch wieder ähnlich.
Für diese Produktion ist eine Videokünstlerin mit dabei …
Ja, wir haben sehr Rock-’n‘-Roll-mäßig gedreht. Die Videokünstlerin ist sehr frei und frech und sie wollte verschiedenste Bilder kreieren. In dieser Produktion verschmilzt beides, Film und Theater, ein bisschen – das hatte ich so in dieser Form auch noch nie, dass beides so unkompliziert miteinander agiert. Es gibt also sehr viele Videoprojektionen in dem Stück – poetische, kreativ-künstlerische, aber auch realistische.
Wie haben Sie sich auf „Die Entführung der Amygdala“ vorbereitet?
Ich habe für meine Verhältnisse eine Masse an Text zu bewältigen. Das heißt: 50 Minuten durchreden. Das sind sehr viele Worte … Also habe ich in erster Linie Text gelernt, ganz brav und stur. Es gibt ja eigentlich sehr viele Methoden, um sich vorzubereiten, sich Rollenbiografien ausdenken etwa. Das war hier gar nicht notwendig, weil im Text schon alles enthalten ist. Ich musste einfach nur schauen, die vielen Worte in meinen Kopf reinzukriegen.
Gibt es bestimmte Themen oder Rollen, die Sie in Ihrer Arbeit als Schauspielerin besonders anziehen?
Ich glaube, das sind Liebe und Sehnsucht. Die Sehnsucht nach Liebe vielleicht noch ein bisschen mehr, bei der ich mehr in Schwingung gehe.
Woran liegt das?
An meiner eigenen Sehnsucht.
Sie sind selbst Mutter dreier Kinder. Hand aufs Herz: Hätten Sie sich nicht manchmal etwas gewünscht, das Ihnen jegliche familiäre Verantwortung und jeglichen gesellschaftlichen Druck abnimmt?
So wie die Amygdala, die sagt: Ich lösche das jetzt alles für dich?
Das ist jetzt natürlich eine extreme Methode, aber ja …
Jetzt ist das bei mir ja besser geworden, weil meine Kinder älter geworden sind und sich wieder etwas verändert hat. Aber dieser totale Stress, die Überforderung, dieses Überrolltsein kenne ich aus den früheren Jahren, als die Kinder noch kleiner waren und ich gearbeitet habe und ich das Gefühl hatte, ich muss bei diesem Game mitmachen. Wenn mich damals etwas wütend gemacht hat, habe ich mir eine Klappe vorgestellt, in die ich alles reinfallen lasse und die ich wieder zu mache, sodass ich weiterhin funktioniere. Das war ja auch ein Zeichen, dass es zu viel war, was ich da zu leisten hatte. Daher finde ich das Stück für mich auch heilsam.
Die Autorin Anna Gschnitzer hat einen wütenden Ton in ihrem Stück gefunden. Wie wütend sind Sie im realen Leben?
Ich bin überhaupt nicht wütend, deswegen ist die Produktion eine Herausforderung. Ich kenne diese Wut und verstehe sie, aber ich bin ein ruhiger Mensch, implodiere eher, bevor ich explodiere (lacht). Die Wut ist in dem Stück wunderbar beschrieben, und ich habe mich sehr darin wiedergefunden, vor allem, wenn ich auf meine jüngeren Jahre zurückdenke. Früher war ich öfter wütend und habe dieses Gefühl eben in meine Klappe weggepackt. In dem Stück heißt es: „Du machst das, was du immer machst. Du schluckst sie runter, die Wut.“ Du kannst es dir gar nicht leisten, wütend zu sein. Wenn sie notwendig ist, muss die Wut trotzdem raus – das ist heilsam. Aber sie kann auch Dinge kaputt machen, wenn sie zu maßlos eingesetzt wird.
„Die Entführung der Amygdala“ feiert am 14. März 2025 im Stadttheater Bozen Premiere. Weitere Infos und alle Termine zum Stück: https://www.theater-bozen.it/production/die-entfuehrung-der-amygdala/
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