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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 09.06.2016
LeuteInterview über das bedingungslose Grundeinkommen

Traum von Utopia

Veröffentlicht
am 09.06.2016
Die Schweiz lehnte das bedingungslose Grundeinkommen ab. Sepp Kusstatscher glaubt trotzdem, dass es der richtige Weg für ein freies und faires Europa ist.
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Sepp Kusstatscher

Von Killerphrasen wie „Das ist nicht finanzierbar“ oder „Die Leute werden faul“ hält Sepp Kusstatscher wenig. Der ehemalige EU-Parlamentarier der Grünen ist Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens, kennt die Vor- und Nachteile dieses Systems und glaubt an eine Realisierung. Keine vierzig Jahre wird es seiner Meinung nach dauern, bis man in einem Referendum über das bedingungslose Grundeinkommen die Mehrheit erreicht. „Dann können sich Freiheit und Gleichheit endlich verbrüdern“, meint er. Mittlerweile ist Sepp Kusstatscher glücklicher Pensionist. Entschädigungen und Spesenvergütungen nimmt er schon lange keine mehr an. „Weil ich eben ein Grundeinkommen habe“, sagt er und lacht.

Herr Kusstatscher, am vergangenen Wochenende haben 80 Prozent der Schweizer, die an der Volksabstimmung teilgenommen haben, gegen das bedingungslose Grundeinkommen gestimmt. Warum?
Das liegt glaube ich daran, dass die Schweizer Medien und die Parteien massiv dagegen gearbeitet haben. Die Promotoren haben im besten Fall mit 27 Prozent gerechnet, aber auch mit 20 Prozent sind sie schon zufrieden. Sobald sie gemerkt haben, dass ihnen der öffentliche Wind entgegen bläst, haben sie das Referendum sowieso nur noch als Werbemaßnahme gesehen. Beim Frauenstimmrecht haben die Schweizer 42 Jahre gebraucht, um die Mehrheit zu erreichen. Deshalb wird man auch dieses Referendum so bald als möglich wiederholen und ich glaube es, wird sich schneller umsetzen lassen, als wir denken.

Woher kommt die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens?
Die Idee stammt aus dem Jahr 1516. Der englische Autor und Staatsmann Thomas Morus hat damals einen Roman mit dem Titel „Utopia“ veröffentlicht, in dem er von einem erfundenen Inselreich, Utopia, schreibt, das mit einer anderen Gesellschaftsstruktur und unter anderem mit dem Grundeinkommen funktioniert.

Gibt es heute konkrete Beispiele von Gesellschaften, in denen das Grundeinkommen eingeführt wurde?
Ja, mehrere. Ein Feldexperiment läuft zum Beispiel in Brasilien. In Persien ist es schon beinahe ganz umgesetzt oder auch in Alaska. Dort werden die hohen Einnahmen aus der Energie auf die Leute aufgeteilt. Das interessanteste Experiment gab es jedoch in Namibia. Dort haben es die Evangelischen Kirchen mit Unterstützung von Spendengeldern aus Deutschland geschafft , vier Jahre lang den Bewohnern eines kleines Dorfes ein Grundeinkommen zu geben. Die Erfolge waren weitaus positiver, als sich die Promotoren jemals erwartet hätten. Die Leute sind keineswegs faul, sondern selbstständig initiativ geworden und haben unternehmerische Tätigkeiten begonnen.

Wie wirkt sich das konkret auf den Alltag aus?
Ich habe mir das Projekt in Otjivero, so heißt das namibische Dorf, selbst angeschaut. Da gab es zum Beispiel eine Frau, die einen kleinen Backwarenladen betrieben hat. Vorher hätte sie diesen nie eröffnen können, da ihr das Startkapital dazu fehlte. Außerdem können jetzt alle Kinder in die Schule gehen, weil sich jeder das Schulgeld leisten kann. Außerdem ist die Kleinkriminalität um 50 Prozent zurückgegangen.

Nach welchen Kriterien würde ein solches Grundeinkommen bei uns denn eingeführt werden?
Es sollte bedingungslos sein, also nicht abhängig von Einkommen oder Arbeitswilligkeit der Menschen. Die Höhe sollte so festgesetzt sein, dass die Leute in Würde leben können und auch Partizipation an der Gesellschaft ermöglicht wird. Sozialtransfers wie Wohnungszuschüsse, Kindergeld oder Pensionen sollten abgeschafft werden, jedoch nicht der ganze Sozialstaat, damit sich ärmere Leute eben auch weiterhin noch Dinge wie Bildung oder Gesundheit leisten können.

Ist ein solches System dann überhaupt finanzierbar?
Würde man den Sozialstaat abschaffen, die Sozialtransfers für Dinge wie Bildung, Verkehr usw. auf einen Haufen werfen und dieses Geld auf alle aufteilen, dann wäre das Grundeinkommen schon da. Doch es ist etwas komplizierter, weil man den Sozialstaat eben auch braucht. Um das Grundeinkommen also einzuführen, ist es auch nötig, andere Maßnahmen zu setzen, sonst ist es nicht finanzierbar. Das gebe ich schon zu.

„Funktionieren würde es also nur mit einer radikalen Steuerreform.”

Und wie würde eine Finanzierungs-Lösung dann konkret aussehen?
Zur Zeit haben wir mit der neoliberalen Politik, wo wenige Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden, ein Problem: Die Oberspekulanten zahlen keine Steuern und die Kleinen müssen dafür zahlen. Funktionieren würde es also nur mit einer radikalen Steuerreform. Derzeit wird die Arbeit besteuert. Doch es sollte niemand besteuert werden, der arbeitet und fleißig ist, sondern viel eher derjenige, der durch andere Geschäfte reich wird. Die Hauptsteuer sollte demnach die Mehrwertsteuer werden. Lebensnotwendige Grundmittel bleiben günstig und Luxusgüter wie Kunst oder Gold werden hoch besteuert. Wenn Bürger nicht ökologisch leben, soll das auch besteuert werden, damit man endlich anfängt, mit Ressourcen zu sparen. Damit würde es wieder billiger sein, eine kaputte Waschmaschine zu reparieren als sich eine neue zu kaufen.
Außerdem sollten die Steuern auf Reichtum, Wertzuwachs und Spekulation berechnet werden. In erster Linie müssten dann die besteuert werden, die plötzlich reich werden, ohne Steuern zu zahlen. Zum Beispiel durch Geldtransfers, auf die die Transaktionssteuer momentan nur mit einem halben Promille berechnet wird. In der EU hätte das zum Beispiel bereits 330 Milliarden ausgemacht. Geld wäre also für alle genug da. Nur für die Habgier der Wenigen ist zu wenig da.

„Wir müssen den Leuten ein Einkommen geben, damit sie arbeiten können, und sie nicht zwingen zu arbeiten, damit sie leben können. “

Das klingt nach ganz schön vielen Reformen. Ist es nicht utopisch von der Einführung des Grundeinkommens zu sprechen?
Der deutsche Unternehmer Götz Werner sagt: „Das Grundeinkommen ist eine realistische Utopie, während Vollbeschäftigung für alle eine irreale Utopie ist.“ Zuerst müssen wir eine kritische Masse schaffen. Und das macht man mit solchen Beispielen wie der Schweiz. Wir müssen Leute informieren, darüber sprechen, diskutieren und wir müssen die Gedanken umdrehen. Dann müssen wir den Leuten ein Einkommen geben, damit sie arbeiten können, und sie nicht zwingen zu arbeiten, damit sie leben können.

Sie denken also nicht auch, dass die Leute bei einem solchen System faul werden würden?
Da kann ich nur eine Schweizer Umfrage zitieren, bei der man gefragt hat, was die Leute machen würden, wenn sie 1.500 Schweizer Franken monatlich vom Staat kriegen würden. Das Ergebnis spricht für sich: 60 Prozent würden die gleiche Arbeit machen, 30 Prozent würden eine andere Arbeit machen und 10 Prozent würden nicht mehr arbeiten, sondern bei den Kindern bleiben, künstlerisch tätig werden, auf die kranke Mama schauen oder eben faulenzen. Letztere zur Arbeit zu zwingen, ist aber ohnehin problematisch. (lacht)

Glauben Sie, ein Mensch mit neoliberaler Einstellung sieht das so wie Sie?
Die Neoliberalen sehen einige Dinge im Bezug aufs Grundeinkommen anders. Sie sind beispielsweise nicht für ökologische Nebenwirkungen wie das Ressourcen-Sparen oder für die Besteuerung der Ober-Reichen. Doch die sollen endlich auch einmal den Artikel 20 der Grundrechtecharta der Vereinten Nationen respektieren. Darin heißt es seit 1948: Jeder Mensch auf dieser Welt hat ein Recht darauf, in Würde zu leben. Ein Recht auf Wohnung, Nahrung, Gesundheitsbetreuung und Bildung.

Gibt es noch andere Ansätze bei der Betrachtung des bedingungslosen Grundeinkommens?
Ganz grob könnte man sagen, es gibt einen liberalen Ansatz und einen sozialen. Da muss ich an ein Plakat denken, das ich bei einem Protestumzug in Berlin gesehen habe. Auf dem haben sich die Justitia, die Gerechtigkeit oder Gleichheit, und die Libertas, die Freiheit, geküsst. Durch die Vereinigung der beiden kommt es schließlich zur Brüderlichkeit. Sieht man nur die Freiheit, dann werden einige immer reicher und die anderen kommen unter. Sieht man nur die Gleichheit, besteht die Gefahr eines Staatsapparates oder einer Staatsdiktatur. In Russland oder China deshalb von Freiheit oder Gleichheit zu sprechen, ist einfach falsch.

Also kann man beim bedingungslosen Grundeinkommen auch nicht von Kommunismus sprechen?
Es ist insofern kein Kommunismus, weil niemand dazu gezwungen wird und weil es auch nicht den Staatsapparat stärkt. Der Staat regelt Steuer und Gemeinwesen, aber kontrolliert den einzelnen Bürger nicht. Kommunismus hatte immer die Nebenwirkung, dass der Bürger von einem mächtigen Staatsapparat seiner Freiheit beraubt wurde.

„Dieses Europa hat einen freien, aber keinen fairen Markt.“

Würde es Italien mit dem bedingungslosen Grundeinkommen besser gehen?
Ich habe eher ein Problem damit, wenn sich das bedingungslose Grundeinkommen nur auf einen Staat bezieht. Experimente kann man in einer Region machen, aber die wirkliche Umsetzung müsste dann großflächig passieren. Europaweit müssten die Steuergrundsätze und die Sozialstandards in ihren Grundsätzen harmonisiert werden. Natürlich wäre so ein Grundeinkommen in Bulgarien anfangs niedriger als in Schweden, doch mit der Zeit sollte sich das dann eben einpendeln.

Und wie würde es in Südtirol aussehen?
14 Prozent der Bevölkerung leben in Südtirol unter dem Lebensminimum. Diese müssten nicht mehr betteln gehen, würden durch ihren sozialen Status nicht mehr stigmatisiert sein und müssten sich nicht mehr schämen. Doch mit dem derzeitigen Steuersystem hier ist eine Umsetzung sicher unmöglich.

Es ist schwer zu glauben, dass die EU in dieser Hinsicht an einem gemeinsamen Strang ziehen und passende Regelungen zur Realisierung schaffen wird. Sie waren selbst im EU-Parlament. Wie sehen Sie das?
Das Sagen in Europa hat der Europäische Rat, der bei wichtigen Entscheidungen aus den Ministerpräsidenten und bei Sachfragen aus den jeweils zuständigen Ministern besteht. Keine Richtlinie oder Maßnahme geht durch, wenn hier nicht einstimmig dafür gestimmt wird. So eine Evolution kann natürlich nur von unten wachsen und dazu braucht es Geduld. Ich habe den Vorschlag ja auch schon oft gebracht. Die schnelle Antwort war dann immer: „Das Steuerrecht und die Sozialpolitik ist kein Europäisches Recht, sondern Kompetenz der Mitgliedsstaaten.“ Und diese geben es nicht ab, weil sie damit ja weiterhin ihre Spielchen treiben wollen. Ich habe dann immer geantwortet: „Dieses Europa hat einen freien, aber keinen fairen Markt.“ Eine Harmonisierung hier wäre also dringend notwendig.

Bedeutet bedingungsloses Grundeinkommen am Ende Freiheit für die Menschen?
Es würde den Leuten bestimmt Gelassenheit, Freiheit und Mitmenschlichkeit wiederbringen. Wir produzieren mehr als wir brauchen, konsumieren mehr als uns gut tut und werfen mehr weg als verantwortbar ist. Nun wird es Zeit, dass wir einen Ausweg suchen.

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