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Andreas Pfeifer leitet seit 1. November das ORF-Studio in Berlin. Der gebürtige Südtiroler hat nach Aufenthalten als ORF-Korrespondent in Washington und Rom, dann als Chef der ORF-Auslandsredaktion in Wien nur mehr wenig mit seinem Heimatland zu tun. Trotzdem will er kein anderes Land außer Südtirol seine „Heimat“ nennen und steigt im Südtiroler Dialekt ins Gespräch ein. Die österreichische Spracheinfärbung verliert er dabei zunehmend. Wir sprechen über Einschüchterungsversuche großer Medienanstalten, seinen krassesten Moment als Auslandsreporter bei der Papstwahl und wie er als ehemaliger Student der Musikwissenschaften zum Eurovision Song Contest steht. Doch die erste Frage – kann es anders sein? – gilt dem, was Pfeifer mit Südtirol verbindet.
Andreas Pfeifer: “Ich besuche in Südtirol meine Mutter und meine Freunde. Mit 20 war mir allerdings klar, dass ich mein Leben nicht in der Heimat verbringen will. Ich hatte das Gefühl, man wird in Südtirol geboren und die Biografie ist schon vordefiniert: Man bekommt einen Job, eine Wohnung, man lebt halbwegs angenehm. Das war mir damals zu eng.”
Und doch hast du jetzt auch eine Wohnung, einen Job und lebst halbwegs angenehm.
Aber trotzdem ist mir mein Vorsatz gelungen. Ich habe in Innsbruck studiert, habe zwei Jahre in Washington gelebt und gearbeitet, dann war ich Korrespondent in Rom, dann in Wien und jetzt bin ich in Berlin. Aber ich muss sagen: Wenn ich jetzt ab und zu nach Südtirol komme, holt mich eine Teilverwurzelung trotzdem ein. Ein Fluchtreflex hält nicht ein ganzes Leben.
Aber das Gefühl der Enge bleibt?
Ich weiß nicht genau, wie es heute in Südtirol ist. Aber damals war man ja sogar politisch vordefiniert. Ich kann mich erinnern, als ich beim ORF Tirol begonnen habe zu arbeiten, fragte mich der ehemalige SVP-Generalsekretär erstaunt: Jo wia, bisch du ned bei dor SVP? Ich habe geantwortet: Nein, ich bin Journalist (lacht). Auch vor solchen Umständen bin ich geflüchtet. Und auch ein bisschen vor der Athesia-Dominanz in diesem Land. Gesellschaftspolitisch ist Südtirol sicher moderner und europäischer geworden.
Die Athesia erwartet sich eine gewisse Art der freundlichen Kooperation. Das habe ich nicht gemacht, und es dann auch zu spüren bekommen.
Fehlender Medienpluralismus ist noch immer ein Thema in Südtirol.
Zu meiner Zeit war es so, dass jeder Journalist mit der Athesia schon mal was zu tun gehabt hat. Ich war damals gelegentlich als Musikkritiker bei der Dolomiten tätig. Später dann, zu meiner Zeit im ORF, habe ich gemerkt: Die Athesia erwartet sich eine gewisse Art der… wie soll ich das ausdrücken…der grundsätzlich freundlichen Kooperation. Das habe ich nicht so gemacht, und es dann auch ein bisschen zu spüren bekommen.
Wie hast du das zu spüren bekommen?
Naja, das ist jetzt schon lange her. Da habe ich noch in Bozen gearbeitet, und die Stelle des Landesdirektors des ORF in Innsbruck wurde frei. Als ich mich darauf beworben habe, habe ich erfahren, dass die Athesia im Hintergrund dem ORF und der ÖVP signalisiert hat, mich lieber nicht zu nehmen, weil ich ein “unsicherer Kantonist” sei. Was ein Kompliment für einen Journalisten ist, wie ich finde. Das hat mich damals aber ziemlich aufgeregt, dass die sich einmischen in meine berufliche Laufbahn. Da wollte ich einen Termin bei Michl Ebner. Den habe ich bis heute nicht bekommen.
Nun bist du nach Berlin gezogen, mitten in der Bundestagswahl. Ist Journalismus in Deutschland anders?
Das Diskursniveau zwischen Politik und Medien ist sicherlich höher als in Südtirol, aber auch höher als in Österreich. Ich muss mich noch ein bisschen an die bundesdeutsche Direktheit gewöhnen – gestern zum Beispiel war Olaf Scholz in den Tagesthemen und die Fragen der Journalistin waren schon ziemlich hart. Aber immer auf sachlicher Ebene! Es ist demokratiepolitisch sehr wichtig, dass man mächtige Menschen relativ direkt damit konfrontiert, was sie tun. Sie haben ja ohnehin viele Strategien, auf Fragen nicht zu antworten.
Eine kritische Haltung gegenüber Machthabern, das betonst du immer wieder in Interviews, ist dir besonders wichtig.
Früher oder später kommt jeder Journalist zu der Gewissensfrage: Schreibe ich das jetzt oder schreibe ich es nicht? Egal ob große Reportage, oder ein kleiner Radiobeitrag: darauf eine Antwort zu finden, ist ein sehr spannender Aspekt des Journalismus. Und diese Freiheit, zu sagen oder zu schreiben, was man will, ist ein großes Privileg. Auch wenn ich in dieser Hinsicht nicht besonders mutig bin.
Das ist jetzt aber falsche Bescheidenheit. Du hast immerhin 2005 den Robert-Hochner-Preis für herausragende journalistische Leistungen bekommen.
Ich muss dazu sagen: Ich beschäftige mich mit Außenpolitik. Die ist nicht so beinhart an der Front, wie innenpolitischer Journalismus. Die Kollegen dort befinden sich tagtäglich im Nahkampf mit dem politischen Establishment in Österreich. Und diese Härte, im Zweifelsfall zum fünften Mal zu sagen: “Herr Minister, Sie haben meine Frage nicht beantwortet, ich stelle Sie jetzt nochmal” – ich weiß nicht, ob ich diesen Nachdruck hätte.
Zu sagen oder zu schreiben, was man will, ist ein großes Privileg. Auch wenn ich in dieser Hinsicht nicht besonders mutig bin.
Gab es einen Moment, wo du etwas nicht geschrieben oder gesagt hast, und es jetzt bereust?
Da fällt mir grad nichts ein. Oder ich verdränge es aus Eitelkeit (lacht). Aber es gab so einen Punkt, als beim letzten Gazakonflikt Ex-Kanzler Kurz und Außenminister Schallenberg beschlossen haben, auf den Dächern des Bundeskanzleramtes und des Außenministeriums die israelische Fahne zu hissen, und ich das für eine einseitige Parteinahme hielt. Da habe ich mich gefragt: Sage ich das jetzt in meinem Kommentar oder sage ich es nicht?
Und, hast du es gesagt?
Ja, habe ich.
Du hast mal gesagt, Deutschland sei für dich eine Richtgröße für demokratiepolitische Berechenbarkeit und Transparenz. Das klingt aber nach langweiliger Berichterstattung.
Ich finde diese Langeweile konstitutiv für demokratiepolitische Qualität. Journalismus, der mit Sensationalismus verwechselt wird, der will natürlich ständig Sensation und sucht überall Konflikt, auch dort, wo es eigentlich keinen gibt, und langsamere Prozesse stattfinden.
Kannst du ein Beispiel nennen?
Das habe ich gerade gestern erlebt. Da kam die Meldung: Scholz ist für die allgemeine Impfpflicht. Ich kenne Deutschland noch nicht so gut, und für mich war das gleich: Breaking News! Aber meine Kollegen waren alle nicht so aufgeregt wie ich, und ich habe gefragt: was ist los? Ihre Reaktion: Das kommt aus politischen Kreisen, ist aber noch nicht offiziell bestätigt. Daher wollten alle noch ein bisschen abwarten. Dieses Verharren und Innehalten finde ich schon gut. Deutscher Journalismus ist sehr präzise und intellektuell redlich.
Was war dein krassester Moment als Reporter?
Ein persönlich krasser Moment war die Papstwahl, der Übergang von Johannes Paul dem Zweiten zu Josef Ratzinger. Nachdem der Vatikan eine Firma mit hohen Mauern ist, durch die schwer etwas durchsickert, und das Konklave, also der Prozess, bei dem der neue Papst gewählt wird, angeblich vom heiligen Geist entschieden wird, weißt du als Journalist vorher nicht: Wer wird Papst? Es kommt nur weißer Rauch aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle, 10 Minuten später wird der neue Papst verkündet und du musst dann was dazu im Fernsehen sagen. Ich befand mich zu der Zeit auf einem Dach unweit des Vatikans und habe gewartet. Es standen 115 Kardinäle zur Auswahl, von denen konnte ich natürlich nicht jede einzelne Biografie auswendig lernen. Ich bin nicht religiös, deswegen habe ich zwar nicht gebetet, aber ich habe gehofft, es möge ein Papst werden, den ich schon kannte. Dann wurde es Ratzinger, und den habe ich sogar persönlich vorher ein paar Mal getroffen. Ich konnte mich noch daran erinnern, dass er zu mir gesagt hat: Papst wolle er nie werden!
Für einen ehemaligen Studenten der Musikwissenschaft hätte ich eher gedacht, der Eurovision Song Contest sei ein erinnerungswürdiger Moment für dich gewesen.
(lacht) Tatsächlich bin ich nicht sehr kompetent in dieser Schlagerwelt. Ich habe Zither am Konservatorium studiert, und habe mich vor allem mit Renaissance, Barockmusik und zeitgenössischen Strömungen auseinandergesetzt.
Erlaube mir trotzdem die Frage: Hast du dich mehr über den Eurovision Song Contest-Sieg Italiens gefreut oder den österreichischen Sieg mit Conchita Wurst?
Den italienischen Gewinn habe ich nur am Rande mitbekommen. Über Conchita habe ich zwar nicht berichtet, aber mir hat sie nie so gefallen. Ich war der Überzeugung, dass der Beitrag zur Emanzipation der LGBT-Szene durch eine einzelne Glamour-Geschichte nicht so groß ist, wie alle dachten. Das habe ich auch in einer Talkshow gesagt – wieder so ein Moment, wo ich dachte: Sog i des oder sog i des ned? Ähnlich verhält es sich bei mir mit Fußball: Als Italienberichterstatter musste ich immer mal wieder darüber berichten, zum Beispiel als Italien 2006 Weltmeister wurde. Aber meine Fußballkompetenz ist eine endenwollende.
Das klingt nach lustigen Anekdoten. Bitte, tob dich aus.
Einmal musste ich ein Interview mit dem Torwart Gianluigi Buffon machen. Also fahre ich in das Trainingslager, gehe in diese Turnhalle und stehe vor 22 Männern in blauen Trainingsanzügen. Ich hatte keine Ahnung, wer Buffon ist. Da bin ich zum Erstbesten hin und habe gefragt, ob er mir sagen könne, wer Buffon sei. Da schaut er mich an und sagt: Prenda me! (lacht)
Ich habe am Fallbeispiel Italien gemerkt, wie stark demokratiepolitische Erschütterungen nachwirken.
Wenn du dir ein Land aussuchen könntest, aus dem du berichtest, welches wäre das?
Ich habe sehr lange nachdenken müssen, ob ich mich für Washington nochmal bewerbe oder für Berlin. Ich habe mich gegen Washington entschieden, weil ich schon einmal dort war, und weil ich die Verwerfungen der Trump-Ära nicht miterleben wollte.
Du glaubst also, die Trump-Ära wirkt heute noch sehr stark nach?
Ja, ich habe am Fallbeispiel Italien gemerkt, wie stark demokratiepolitische Erschütterungen nachwirken. Was Berlusconi in Italien angerichtet hat, so eine Diskurszerstörung, das spürt man heute noch.
Aus welchem anderen Land würdest du aber gerne mal berichten?
Würde das ORF ein neues Korrespondenten-Büro in Indien eröffnen, dann würde ich mich bewerben, weil ich glaube, dass Indien in der internationalen Berichterstattung unterrepräsentiert ist.
Wie so viele Länder, leider, denn Außenpolitik nimmt in der Berichterstattung immer weniger Raum ein.
Es ist eine Riesenparadoxie. Wir lernen jeden Tag, wie sehr die Pandemie, der Klimaschutz, so viele Entwicklungen, globale Probleme sind. Ich hätte daher gedacht, das sei eine Riesenzeit für den außenpolitischen Journalismus. Aber das Gegenteil ist der Fall: Lokaljournalismus blüht wieder auf, Medienanstalten bauen ihre Korrespondentenstellen ab. Es gibt diesen Reflex, aus Verunsicherung durch die Globalisierung, lieber nur vor die eigene Haustüre und auf den regionalen Kontext zu schauen.
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