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Mara Mantinger
Veröffentlicht
am 26.11.2018
LeuteFrauen im Islam

Selbstbestimmtes Kopftuch?

Veröffentlicht
am 26.11.2018
Kerstin Wonisch forscht zur Rolle der Frau im Islam – und widerspricht dem Bild der „unterdrückten Frau" im Islam.
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Die Jame Abbasi Moschee (auch Imam Moschee oder Freitagsmoschee genannt) in Isfahan.

Das Kopftuch von Muslima steht immer wieder im Mittelpunkt von Debatten, wenn es um die Akzeptanz des Islams geht. Es gilt als das Symbol der Unterdrückung der Frau. Kerstin Wonisch hat dieser Blick auf den Islam begonnen zu faszinieren, als sie selbst mit diesem Vorurteil als Reiseleiterin einer Touristengruppe nach Libyen reiste – und ihr bisheriges Bild des Islams auf den Kopf gestellt wurde. Der Nebenjob als Reiseleiterin, der ihr Studium der Rechtswissenschaft in Graz finanzierte, führte sie in den darauffolgenden Jahren immer wieder in arabische Länder. Und weil sie diesen Widerspruch zwischen den Stereotypen des Westens und ihren Erlebnissen besser verstehen wollte, besuchte sie erst einen Arabisch-Kurs und studierte nach ihrem Jura-Studium Religionswissenschaften. Heute arbeitet Wonisch am Institut für Minderheitenrechte der EURAC in Bozen und forscht zur Rolle des Islams in Österreich und Südtirol und dabei insbesondere zum islamischen Feminismus.

Islam und Feminismus passen für viele Südtiroler und Europäer nicht unter einen Hut. Was versteht man denn überhaupt unter dem islamischen Feminismus?
Frauen in der islamischen Feminismusbewegung grenzen sich vom westlichen Feminismus ab, da für sie Religion ein elementarer Teil von Gleichberechtigung darstellt. Muslimischen Feministinnen ist es wichtig, aus der Religion und Tradition heraus zu argumentieren, d.h. sie versuchen mit Rückgriff auf Religion ihre Welt gerechter zu gestalten und mit den alten Narrativen der Oberhoheit des Mannes und der Unterdrückung der Frau aufzuräumen. Sie wollen mithilfe einer historisch-kritischen Interpretation des Korans und der mündlichen Überlieferungen zeigen, dass sich diese Verhaltensweisen eingespielt haben, die Nicht-Gleichstellung aber etwas Menschengemachtes und nichts Göttliches ist.

Kerstin Wonisch

Wo findet sich dieser islamische Feminismus und welche Frauen engagieren sich?
Die Frauen sind weltweit vernetzt und haben die unterschiedlichsten Bildungshintergründe und Berufe. Es eint sie ihre Idee, Religion und Tradition neu zu interpretieren. In Ägypten, Marokko und Tunesien ist der islamische Feminismus tendenziell stärker, es passiert auch viel in Saudi-Arabien, sonst hätte es die Fahrerlaubnis für Frauen nicht gegeben. Was oft übersehen wird, ist, dass auch in Asien und Afrika viel passiert. In Malaysia beispielweise gibt es die erste Frau als Richterin in einem Scharia-Höchstgericht. Sie legt den Koran gleichberechtigt aus. In Afrika, beispielsweise in Ländern wie Gambia, Ghana und dem Senegal, kämpfen Frauen gezielt gegen Genitalverstümmelung und haben die Imame, die ja die Deutungshoheit haben, davon überzeugen können, dass die Genitalverstümmelung nirgends im Koran steht und dass das eine nicht-religiöse Tradition ist, die einfach aus dem Volksglauben kommt. Die Imame gehen jetzt auch gezielt gegen Genitalverstümmelung vor (siehe Kurzfilm Making Waves).

Würdest du sagen, dass der Hauptunterschied zwischen dem islamischen und westlichen Feminismus also der Rückgriff auf die Religion ist?
Genau. Außerdem verbindet der westliche Feminismus die Gleichberechtigung mit der Kampf für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Eigentlich möchte der Feminismus, dass Frauen ermächtigt werden, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Muslima haben aber oft den Eindruck, dass der westliche Feminismus auch das Deutungsmonopol über die richtige Gleichberechtigung haben möchte. Und dabei wird vergessen, dass Frauen in Afrika, Asien oder im Nahen Osten einen anderen kulturellen Kontext haben, ohne den man Gleichheit nicht erreichen kann. Ohne Religion kann in diesen Ländern Kultur nicht gedacht und gelebt werden, und ohne Kultur Ungleichheitsstrukturen nicht verändert werden.

Inwiefern wird der Westen dabei als problematisch wahrgenommen?
Der Westen wird als etwas wahrgenommen, das schon wieder von oben auf sie herab gestülpt wird. Deshalb sehen sie es als ihre Stärke, dass sie aus ihrer Religion und Tradition herauskommen. Das Spannende dabei ist ja, dass die Frauenbewegungen im Islam nicht etwa erst kürzlich entstanden sind, sondern ihre Wurzeln in den 1920er Jahren haben. Sie waren eine Antwort auf den Kolonialismus und die Moderne, und somit auch eine Antwort auf den Westen und dessen Einmischungen. Der politische Islam der 70er Jahre, die Revolution im Iran 1978 und die Stärkung der Muslimbrüderschaft in Ägypten waren anschließend ein Boost für die Frauenbewegung, da es Momente der Motivation waren, sich auch öffentlich für die Frauenbewegung einzusetzen.

Was sind aktuelle Ziele und Debatten im islamischen Feminismus?
Ich war gerade für meine Forschung einige Zeit im Iran; dort ist eines der Hauptziele eine lockere Kleidungspolitik zu erreichen. Was jedoch alle arabischen Länder, also beispielsweise den Iran, Indonesien, Malaysia, eint, ist die Forderung nach einer besseren Familiengesetzgebung.

„Sag deinen Gattinnen und Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen sich etwas von ihrem Gewand (ğilbāb) herunterziehen. So ist am ehesten gewährleistet, dass sie erkannt und daraufhin nicht belästigt werden.” (Sure 33, Vers 59)

Was kann man sich darunter vorstellen?
Bei einer faireren Familiengesetzgebung geht es vorrangig um gleichberechtigte Scheidungsmöglichkeiten, die Vormundschaft bei Kindern und Frauen – oft sind ja Männer der Vormund der Frauen – und gleichteiliges Erbrecht. Die Organisation Musawah aus Malaysia hat es beispielweise geschafft, eine weltweite Plattform für diese Forderungen mit dem Namen „Justice, Equality and Muslim Family Laws“ zu etablieren, welche bei der „Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Woman“ der UNO ein Mitspracherecht hat. Sie werden gehört und sprechen mit, wenn es um die Evaluierung von muslimischen Ländern geht. Ich finde es sehr großartig, dass sie das erreicht haben.

Du hast das Kopftuch angesprochen. Wie wird es von muslimischen Frauen gesehen und welche Unterschiede gibt zur westlichen Perspektive auf das Kopftuch als Symbol der Unterdrückung?
Gerade bei dieser Frage sieht man schön, dass der Islam nicht eins ist, sondern dass es unterschiedliche Strömungen gibt, auch innerhalb des islamischen Feminismus. Es gibt beispielsweise islamistische Feministinnen, welche für die generelle Islamisierung und ein Zurück-zu-den-Werten des Propheten sind, wobei die bessere Stellung der Frau darin eingebettet sein sollte. Sie greifen ganz gezielt zum Kopftuch und sehen es als Mittel, sich selbstbestimmt auszudrücken. Islamische Feministinnen stellen hingegen die Mehrheit und verknüpfen die Forderung nach Gleichberechtigung zwar mit dem Glauben, aber auch mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Für sie ist das Kopftuch etwas, das man tragen kann, aber nicht muss.

Gibt es also eine Stelle im Koran, welche das Kopftuch-Tragen vorsieht?
Ja, es gibt im Koran ein paar Stellen, aus denen man ableiten könnte, dass Frauen ein Kopftuch tragen sollen; aber für islamische Feministinnen steht vielmehr im Mittelpunkt, dass die Autonomie und die Entscheidungsfähigkeit der Frau erreicht wird. Es gibt natürlich auch jene Musliminnen, insbesondere die säkularen, welche das Kopftuch komplett ablehnen. Wichtig ist, dass es sich hier um keine festen Gruppen handelt, sondern dass die Grenzen fließend sind und es immer auf die Persönlichkeit der Frauen ankommt.

„Und sag den gläubigen Frauen, sie sollen die Augen niederschlagen, und sie sollen darauf achten, dass ihre Scham bedeckt ist, den Schmuck, den sie tragen, nicht offen zeigen, soweit er nicht sichtbar ist, ihren himār über den Schlitz (des Kleides) ziehen und den Schmuck, den sie tragen, niemandem offen zeigen, außer ihrem Mann, ihrem Vater, ihrem Schwiegervater, ihren Söhnen, ihren Stiefsöhnen, ihren Brüdern, den Söhnen ihrer Brüder und ihrer Schwestern, ihren Frauen, ihren Sklavinnen, den männlichen Bediensteten, die keinen Geschlechtstrieb haben, und den Kindern, die noch nichts von weiblichen Geschlechtsteilen wissen.” (Sure 24, Vers 31)

Könnte ein Kopftuchverbot, wie es momentan in Österreich diskutiert wird und auch in Südtirol von der Südtiroler Freiheit kürzlich gefordert wurde, eine geeignete Maßnahme zur Integration von Muslimen darstellen?
Nein, ein Kopftuchverbot bewirkt genau das Gegenteil. Wir sehen das im Iran, wo es ausdrücklich verboten ist, das Kopftuch abzulegen und wo es nicht nur sehr viel Widerstand dagegen gibt, sondern die Leute dadurch auch weniger religiös werden. Je mehr mit der Religion argumentiert wird, desto areligiöser werden die Menschen, desto mehr distanzieren sie sich und wollen nichts mehr damit zu tun haben. Man trifft im Iran so viele Leute, Frauen und Männer, die die Mullahs weghaben wollen, die säkular leben wollen. Mit einem Kopftuchverbot in Europa würde man das Gegenteil erreichen: Besonders Jugendliche würden sich wieder stärker auf diese Religion zurückbesinnen, weil sie fühlen, dass sie hier sowieso nicht willkommen sind. Religion ist ein identitätsstiftendes Merkmal – wird sie abgelehnt, beziehen Personen dies auf sich selbst. Besonders Jugendliche, welche in zweiter oder dritter Generation hier leben und in der Pubertät ihre Identität suchen, aber nur mit Abgrenzung konfrontiert sind, ziehen sich zurück und ein Teil lebt in Folge eine radikalere Version der Religion.

Was wäre dann eine sinnvollere Integrationsmaßnahme?
Dialog und Bildung. Bisher hat das gut funktioniert: Kommt eine Schülerin mit Kopftuch zur Schule, sprechen die Lehrer mit den Eltern und können dadurch im Idealfall eine Reflexion in der Familie erreichen. Besonders in Österreich gab es bisher eine sehr gut funktionierende Dialogkultur; und jetzt wird mit der Keule draufgeschlagen. Meiner Beobachtung nach nur aus politischem Kalkül um Wählerstimmen. Seit vergangener Woche wird in Österreich wieder diskutiert, ob man ein Kopftuchverbot für Kindergärten einführen sollte, Südtirol ist bereits nachgezogen. Aber wie viele Kinder betrifft das überhaupt? Oder ist das wieder eine Maßnahme, um Muslime ins bestimmte Eck zu stellen, Kopftuch rhetorisch mit Unterdrückung zu verknüpfen und damit zu vermitteln, wie rückständig Muslime sind? Und das alles kommt zeitgleich zur Streichung von Bildungs- und Frauenförderungen für Einwanderer. Aber dafür bekommen Burschenschaften jetzt ja mehr Förderungen.

„Und wenn ihr die Gattinnen des Propheten um etwas bittet, das ihr benötigt, dann tut das hinter einem hijāb hervor! Auf diese Weise bleibt ihr und euer Herz rein.” (Sure 33, Vers 53)

Gibt es Vorurteile oder Annahmen, die Leute zu deinem Forschungsthema mitbringen, die du aus der Welt haben möchtest?
Ja, da fallen mir sofort drei Dinge ein. Erstens: Den Islam gibt es nicht, genauso wenig wie das Christentum: Es gibt die katholische, die evangelische Kirche, Freikirchen. Diese Vielfalt kann man nicht über den Kamm scheren und politische Auslegungen als die eine islamische Tendenz sehen, über die eine ganze Religion definiert wird. Es gibt unendlich viele Ausprägungen im Islam, genauso wie in allen anderen Religionen. Zweitens: Die arme muslimische Frau als Bild. Ich kann es nicht mehr hören, ganz ehrlich nicht. Und das ist auch mein Problem mit dem Burka-Verbot: Wer sind wir denn, dass wir über andere Frauen bestimmen, was sie anziehen dürfen und was nicht? Viele tragen es freiwillig. Bei jenen, die es aus Unterdrückung oder Unwissenheit tragen, müsste man doch umso mehr mit Bildungsangeboten und Gesprächen darauf reagieren und Unterstützung anbieten, als es zu verbieten. Drittens: Dieses große Wir-gegen-die-Anderen, dieses Gegenüberstellung von Religionen ist nicht hilfreich und beginnt meist erst hier in Europa. Wenn man zum Beispiel im Libanon oder in afrikanischen Ländern beobachtet, wie die Religionen miteinander umgehen, dann viel gemeinschaftlicher: Wenn Weihnachten ist, feiern die Christen, wenn Ramadan ist, die Muslime. Die Muslima tragen eine Santa-Claus-Mütze und gehen zum Nachbarn und beglückwünschen ihn zu Weihnachten, und zum Ramadan umgekehrt. Die Grenzziehung zwischen den Religionen passiert oft erst in Europa. Wir bräuchten einen viel entspannteren Zugang zu Religion.

Jetzt würde so mancher darauf antworten: Aber die Religionen sind doch genau das, was diese Konflikte heraufbeschwört.
Sind das die Religionen oder entstehen die Konflikte, weil sich Religion mit Politik und mit Macht vermischen? Natürlich gibt es Religionskriege, aber auch immer dann, wenn sich Religion mit Herrschaft verbindet. Jede Religion hat Konfliktpotential, aber auch Friedenspotential. Die Frage ist immer, was man daraus macht.

Vielen Dank für das Gespräch.

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