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Thomas Tribus
Veröffentlicht
am 26.04.2024
LeuteAuf a Glasl mit Jaqueline Scheiber

Schöne Schicksalsschläge?

Veröffentlicht
am 26.04.2024
Jaqueline Scheiber avancierte durch einen persönlichen Schicksalsschlag zu einer der wichtigsten Fürsprecherinnen von Mental Health und Body Positivity in Österreich. Jetzt stellt sie ihr Buch in Südtirol vor. BARFUSS hat sie getroffen.
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Jaqueline Scheiber war bis vor kurzem unter ihrem Pseudonym minusgold bekannt, bis sie sich dazu entschied, ihre alte Identität abzulegen. Als minusgold veröffentlichte die Wienerin Lyrik und Prosa, nach dem Tod ihres Freundes verarbeitete sie dort dadurch auch ihre Trauer.
In einem Moment, in dem sich viele vielleicht zurückgezogen hätten, um in privater Trauer zu versinken, tat Scheiber das Gegenteil. Sie trat nach vorne, teilte ihren Schmerz und ihre Erfahrungen auf Instagram. Und baute eine Community auf. Dieser mutige Schritt half tausenden jungen Menschen, besser mit der eigenen Trauer umzugehen.

Jaqueline Scheiber hat seitdem nicht aufgehört zu sprechen. Vier Bücher, eine Kolumne und unzählige Videos folgten, in denen sie sich mit Verlusten, psychischer Gesundheit und den Herausforderungen rund um das Körperbild auseinandersetzt.
Mittlerweile will die Wienerin aber ihre Identität nicht mehr nur daran definieren, deswegen auch der Neuanfang unter ihrem Geburtsnamen. Aktuell befindet sich Scheiber in Algund, um in Ruhe an ihrem neuen Buch zu schreiben. Sie bevorzugt es immer auf Reisen zu schreiben, weil es ihr einen freien Kopf gebe. Mittlerweile schreibt Scheiber über Herkunft, Feminismus, Body Neutrality, Trauer, Freundschaft und Liebe – Dinge, die sich in unserer Realität ständig manifestieren, aber durch Leistungs- und Gesellschaftsdruck nur selten Gehör finden.

BARFUSS: Kannst du uns einen Einblick geben, worüber dein neues Projekt in Algund handelt?
Jaqueline Scheiber:
Was ich sagen kann, ist, dass mein neues Werk erneut die großen Lebensfragen erkunden wird. Es wird viel Pathos enthalten, ähnlich meinen bisherigen Arbeiten. Es handelt sich um eine fiktive Geschichte, die sich damit auseinandersetzt, was geschieht, wenn buchstäblich und metaphorisch die Erde unter uns zu wackeln beginnt.

Was inspirierte dich dazu, dieses Buch zu schreiben?
Die Inspiration für dieses Buch stammt aus den tiefgreifenden Erlebnissen, die unser Leben prägen — seien es Schicksalsschläge, entscheidende Herausforderungen oder glückliche Zufälle, die metaphorisch die Erde unter uns beben lassen. Diese Momente der Konfrontation, insbesondere an Wendepunkten, zwingen uns zur Weiterentwicklung. Diese Thematik fasziniert mich, und zwar nicht nur aus biografischer Sicht, sondern auch durch Beobachtungen in meinem privaten Umfeld. Mit zunehmendem Alter erlebe ich, wie die Menschen um mich herum schwerwiegende Rückschläge erfahren. Mich interessiert, wie solche Ereignisse Menschen verändern.


Ist es nicht paradox, dass Schicksalsschläge uns weiterentwickeln können? Könnte man dann nicht von einer positiven Sache sprechen?
Es ist kompliziert, solche tiefgreifenden Erlebnisse einfach als gut oder schlecht zu kategorisieren. Es fällt schwer, lebensverändernden Ereignissen eine klare Bedeutung oder einen direkten Nutzen zuzuschreiben, wie zum Beispiel, dass sie unserem Leben Sinn verleihen oder zu bestimmten Ergebnissen führen. Ich denke, dass sich darin eher das menschliche Bedürfnis widerspiegelt, Erlebnisse so zu deuten, dass sie einen verständlichen Sinn ergeben. Ich bin der Meinung, dass hinter diesen großen Einschnitten nicht unbedingt ein tieferer Sinn steckt, sondern dass sie uns die Gelegenheit bieten, uns selbst zu konfrontieren und intensiv darüber nachzudenken, was diese Erfahrungen mit uns gemacht haben.

Tatsächlich ist Aufgeben oft der mutigere und anstrengendere Weg, weil es bedeutet, sich selbst von allen Wünschen, Sehnsüchten und Hoffnungen zu lösen.


Inwiefern hat dich der Tod deines Freundes vor acht Jahren verändert?
Vor acht Jahren, als mein Freund starb, begann für mich ein neues Kapitel meines Lebens. Es war gleichzeitig ein Ende und ein Neuanfang — nicht nur ein Todestag, sondern auch ein Geburtstag.

Woher hast du die Kraft genommen, all diese Herausforderungen zu überstehen?
Ich sehe das nicht als eine Frage der Kraft. Viele Menschen haben mir ihre Bewunderung dafür ausgesprochen, wie ich verschiedene schwierige Situationen gemeistert habe. Aber für mich geht es nicht um Stärke. Tatsächlich ist Aufgeben oft der mutigere und anstrengendere Weg, weil es bedeutet, sich selbst von allen Wünschen, Sehnsüchten und Hoffnungen zu lösen. Hätte ich die Wahl gehabt, hätte ich mich vielleicht auch entschieden, für einige Jahre einfach „liegenzubleiben“, aber das war keine Option für mich. Man muss sein Leben leben, am Ende ist es ein Geschenk, dass wir hier sind.

Fühlst du dich durch die Erlebnisse, die du in deinem Leben hattest, gefestigter, um zukünftige Turbulenzen besser bewältigen zu können?
Sowohl meine persönlichen Erfahrungen als auch die Erfahrungen, die ich in meiner Arbeit im sozialen Bereich gesammelt habe, haben zu einer großen Gelassenheit geführt. Ich fühle mich entspannter und sicherer denn je, denn ich glaube, dass ich alles, was auf mich zukommt, in irgendeiner Form bewältigen kann. Das bedeutet nicht, dass ich keine Ängste, Sorgen oder Zweifel habe. Doch letztendlich ist es unausweichlich, mit solchen Situationen konfrontiert zu werden, und es macht keinen Sinn, sich darüber aufzuregen. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, dass ich einen Vorsprung habe, weil ich meine Jugend und meine Zwanziger damit verbracht habe, mich diesen Herausforderungen zu stellen. Daran ist aber nichts Edles.

Was meinst du damit?
Ein Mitglied des Young Widowers Club erzählte mir einmal, dass sie ihren Mann sechs Monate lang auf ihrem Sterbebett gepflegt hatte und sich dabei oft dabei ertappt hatte, wie sie sich gewünscht hatte, stattdessen auf eine sechsmonatige Backpacking-Reise durch Asien zu gehen, anstatt diese Scheiße alleine durchstehen zu müssen. Leiden und Mitleiden sind Dinge, die nicht edel sind. Sie formen uns aber und geben uns einen Blick auf die Realität zurück, die wir in unserem Komfort gerne mal verlieren.

Ich denke, dass es für unser Leben und unsere Gesellschaft wichtig ist, dass wir uns alle verwundbarer und authentischer zeigen. Es ist sehr wichtig, für unser gegenseitiges Miteinander.


Wo findest du die Inspiration für deine Geschichten?
Meine Inspiration schöpfe ich aus meinen eigenen Erlebnissen. Ich bemühe mich, offen zu sein und habe sieben Jahre im Sozialbereich gearbeitet, wo ich viele Menschen mit unterschiedlichen Lebensgeschichten kennengelernt habe. Diese Erfahrungen haben mir ein umfangreiches Repertoire an außergewöhnlichen Geschichten beschert, auf das ich zurückgreifen kann. Woher genau meine Fragen kommen, kann ich nicht immer sagen. Ich lese regelmäßig und spreche Texte oft laut aus, um den Fluss meiner Worte zu überprüfen und sicherzustellen, dass sie stimmig sind.

Inwiefern?
Ich denke, dass es für unser Leben und unsere Gesellschaft wichtig ist, dass wir uns alle verwundbarer und authentischer zeigen. Es ist sehr wichtig, für unser gegenseitiges Miteinander. So können wir verstehen, wie es uns geht und wie es unserem Gegenüber und dadurch können wir Rücksicht nehmen. Es schafft mehr Freiheit für unser Zusammenleben und sorgt dafür, dass Machtstrukturen unter denen wir alle Leiden, gar nicht erst etabliert werden. Ich glaube, es ist essenziell und mit eine der wirksamsten Möglichkeiten Ungerechtigkeiten aufzubrechen, weil ebendiese sofort erkannt werden können. Aufklärungsarbeit und Gespräche helfen uns dabei dieses Ziel zu erreichen. Sie sind der wichtigste Baustein in dieser Arbeit. Literatur hilft und Scham zu überwinden und das geht am besten, wenn wir schonungslos ehrlich miteinander sind.


Am Samstag, 27.04.2024, liest Jaqueline Scheiber aus ihrem Buch „ungeschönt“ in der Villa Verde in Algund vor. Anmeldungen vor Ort.

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