Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
„Mmmmh, mmmmh, mmmmh, mmmmh“. Es ist ein eintöniger, sich in regelmäßigen Abständen wiederholender Laut, den Herzmensch von sich gibt, wenn er müde ist, alle Spielsachen langweilig geworden sind und er keine Aufmerksamkeit von uns kriegt. Heute paart sich dieser mit der fertigen Waschmaschine im Bad, die mit schrillem Piepton nach sich ruft. Die laute Abzugshaube übertönt sie alle und führt fast dazu, dass Jakob den klingelnden Postboten überhört, während er kocht. Ein Konzert, auf dem ich in den vergangenen Monaten regelmäßig zu Gast war. Ich kenne die Einsätze der einzelnen Protagonisten und bleibe in dieser unstimmigen Komposition mittlerweile gelassen. Vor allem heute. Heute tanze ich nämlich nicht in der ersten Reihe mit, sondern habe die billigen Karten erwischt.
„Ja verdammt nochmal, ich muss hunderttausend Dinge gleichzeitig machen hier.“
Ich bin krank. Seit Tagen lungere ich im Bett herum und starre die weiße Decke an, die sich wie eine Kinowand vor mir auftut. Ein Film nach dem anderen entführt mich dort oben in vergangene Tage, in die Zukunft und in völlig vergessene Gefühlswelten. Wie lange hatte ich schon keine Zeit mehr, um, ohne tausend Dinge im Kopf und das Gefühl von ständiger Verantwortung, einfach so dazuliegen, nachzudenken, nichts zu tun.
Dann, inmitten der Geräuschkulisse aus der Küche ein dumpfer Aufprall, gefolgt von stotterndem Weinen. Herzmensch ist während einer seiner Töpfchen-Sitzungen durch neugieriges Nach-Vorne-Greifen kopfüber auf den Boden geplumpst. Mein Deckenkino wird nun doch schneller unterbrochen als mir lieb ist. Das laute Babyweinen scheucht mein Mama-Herz sogar im Zombie-Modus noch aus den Federn – und das nicht nur im Zwei-Stunden-Takt mitten in der Nacht. Herzmensch mit nacktem Popo vom Boden aufgesammelt und dann mein Blick zu Jakob: „Ja verdammt nochmal, ich muss hunderttausend Dinge gleichzeitig machen hier.“ „Welcome to my world!“, singt Elvis mit bluesiger Stimme in meinem Kopf, und ich kann mir ein leichtes Grinsen einfach nicht verkneifen.
„Erst jetzt merke ich wirklich, wie sehr man als Mama im Geben lebt.“
Umso mehr Tage in meinem Krankenbett vergehen, desto mehr kann ich Abstand nehmen vom Mama-Alltag und mich nach all den Monaten endlich auch mal wieder um mich selbst kümmern – auch wenn ich das bei Weitem viel lieber ohne schmerzenden Brustkorb, schleimigen Husten und Fieber gemacht hätte. Aber bekanntlich hat es ja immer einen Sinn, krank zu werden. Und obwohl ich es normalerweise hasse, im Bett herumzulungern und nichts zu tun, kann ich es dieses Mal fast ein wenig genießen.
Erst jetzt merke ich wirklich, wie sehr ich als Mama tagtäglich im Geben lebe. Wie viel Energie all die Nächte mit so wenig Schlaf und all die Tage mit so viel Aufmerksamkeit und Arbeit meinem Körper abverlangen, den ich auch ohne Kugelbauch immer noch durch zwei teile. Energie, die nun ganz einfach in meinem Haushalt gefehlt hat und die sich mein Körper jetzt zurückholt.
Mama für einen Tag
Und mit der Erkenntnis bin ich dieses Mal nicht alleine. Während ich mich – zumindest tagsüber – schlafend in meine Krankenhöhle einmummle, übernehmen nicht nur die fleißigen Omas meine Rolle. Auch Jakob muss nun für mich einspringen und den täglichen Seiltanzakt zwischen Haus, Hof und Baby mal ganz (oder fast) ohne den Mama-Joker schaukeln. Und was vorher vielleicht oft schwer zu verstehen war, wird glasklar, wenn man den Superheldinnen-Mantel plötzlich auf den eigenen Schultern trägt. Für ein paar Tage selbst einmal Mama zu sein, bedeutet, eine völlig andere Perspektive einzunehmen:
Es bedeutet, am eigenen Leibe zu fühlen, was diese tagtäglich leistet. Es bedeutet, auch ohne zu stillen, nachts fast stündlich aufzustehen, um klein Herzmensch wieder in den Schlaf zu wiegen und am nächsten Tag mit all den fehlenden Schlafstunden trotzdem zu funktionieren, um all die Dinge zu erledigen, die der Alltag von einem abverlangt und gleichzeitig verantwortungsbewusst auf den Nachwuchs aufzupassen. Es bedeutet, vor dem Spazierengehen selbst all den Kram einzupacken, den man im Laufe des Ausflugs eventuell irgendwann einmal brauchen könnte und beim Packen nicht die Ruhe zu verlieren, wenn Herzmensch nervös quängelt. Es bedeutet, selbst auch Mal am Limit zu sein und zu begreifen, warum man auch ohne danach zu fragen, immer um jede Hilfe dankbar ist. Es bedeutet ganz einfach ohne große Worte plötzlich so viel zu verstehen. Und dankbar zu sein. Für eine gesunde Partnerin an der eigenen Seite, die im selben Team mitspielt.
Krank sein ist also nicht immer so schlecht, wie es im ersten Moment vielleicht scheint. Auch als Mama nicht.
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support