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Als Magdalena Gschnitzer als Kind zum ersten Mal ans Meer kam, wollte sie nicht ins Wasser. Sie hatte die Folge aus der Zeichentrickserie „Pinocchio“ im Kopf, in der ein Wal Pinocchio verschluckt. Wenn ich ins Wasser gehe, holt mich der Wal, dachte die kleine Maggy. Aber Pinocchio konnte die Anziehungskraft des Meeres und seiner Bewohner nur kurz blockieren. Heute faszinieren sie diese großen Meeressäuger: „Mit Walen und Delfinen kann man schwimmen, sie sehen dir in die Augen, nehmen dich war, zeigen dir, was sie können.“
Schützenswerte Tiere, findet Gschnitzer. Geschützt sind sie auch fast überall auf der Welt. Außer auf den Färöern. Auf der Inselgruppe zwischen Schottland, Norwegen und Island gibt es den „Grindadráp“, die traditionelle und immer noch legale Jagd auf den Grindwal. Grindwale werden auch Pilotwale genannt, sind aber eigentlich Delfine. Die Tiere werden bis zu acht Meter lang und drei Tonnen schwer. Sie werden nicht auf offenem Meer gejagt, sondern man wartet ab, bis eine Walschule in Küstennähe schwimmt. Die Sichtung wird gemeldet, danach entscheiden die lokalen Behörden, ob See und Wetter günstig sind. Wenn ja, wird die Bevölkerung per SMS informiert, dass es eine offizielle Jagd gibt. Ab diesem Zeitpunkt wird am entsprechenden Strand, in einer der dafür vorgesehenen Buchten auf den Färöern, alles ins Wasser gelassen, was schwimmt, und die Menschen versuchen, mit ihren Booten die Wale in seichtes Wasser zu treiben.
Bei der Jagd sind keine Feuerwaffen oder Harpunen erlaubt, nur Fanghaken, Taue und Grindwal-Messer. Getötet werden die Grindwale, indem man ihnen das Rückenmark im Nacken und die Halsschlagader durchtrennt. Das soll schnell gehen, dauert aber oft recht lange. Und ist für alle Tiere grausam, sagt Gschnitzer: „Diese Walschulen sind Familienverbände, denkende, fühlende Säugetiere. Diese Tier haben einen Lebenswillen, die merken, wenn der erste von ihnen geschlachtet wird.“
Magdalena isst vegetarisch und – „so weit wie möglich“ – vegan. Denn bei der Mozzarella auf der Pizza wird sie manchmal schwach. Fundamentalistin ist sie ohnehin keine. „Ich will nicht missionieren, sondern überzeugen“, sagt Magdalena Gschnitzer. Wenn man beim Bauern Fleisch kauft, der die Tiere ordentlich behandelt, findet sie das in Ordnung. Aber man könne nicht im Supermarkt Fleisch um zwei Euro kaufen. Trifft sie mit ihrer Lebensweise auf Verständnis? „Nicht immer. Aber blöd angemacht werde ich eigentlich nur von Leuten, die selbst nicht wissen, wo ihr Fleisch herkommt.“
Wie wird man zur Umweltaktivistin? Ein Teil der Prägung kommt von der Familie. Da legte man immer schon Wert auf die Herkunft des Essens. Der Bruder betreibt einen Bio-Onlineshop, der Vater handelte mit Labkulturen. Eigenes Vieh hatte man nicht, aber immer eine Menge Haustiere. Bis vor wenigen Jahren hat Magdalena selbst Fleisch gegessen. Ein Erlebnis änderte alles.
„Ich zeige auf keinen mit dem Finger“, sagt Gschnitzer. „Wer weiß, wie ich geworden wäre, wäre ich dort oben aufgewachsen.“
Nach ihrer Zeit in München wollte Gschnitzer gemeinsam mit ihrem Freund zurück nach Südtirol. Davor sollte es noch einen Urlaub auf Honduras geben. Dort machten sie Strandsäuberungsaktionen, Recyclingprojekte, die Tauchlehrerausbildung und schwammen mit Walhaien (kein Wal, ein Fisch, bis zu 13 Meter lang) und Delfinen. „Bei einem Tauchgang fanden wir einen großen Barsch, der sich in einem Fischernetz verfangen hatte“, erzählt Magdalena. „Der Fisch war verletzt. Wir haben ihn aus dem Netz geschnitten, und im ersten Moment schwamm er weg. Er kam dann aber zurück und ist noch lange neben uns hergeschwommen, wie um sich zu bedanken.“ Magdalena lächelt, wenn sie davon erzählt. In dem Moment habe sie gewusst, welcher Sache sie ihr Leben widmen will.
Gschnitzer, Jahrgang 1984, besuchte die Oberschule für Werbegrafik in Brixen, studierte zwei Jahre lang in München Kunstgeschichte und belegte dort einen Lehrgang für Filmschnitt. Sie arbeitete im Gastgewerbe, als technische Zeichnerin und in einem Architekturbüro. In den Wintermonaten jobbt sie in einem Aprè-Ski in Ratschings. Denn verdienen tut man als Walretterin nichts. Im Gegenteil, viele Hilfsorganisationen lassen die Freiwilligen auch noch dafür bezahlen, dass sie, wo und wie auch immer, die Welt retten dürfen. Nicht bei Sea Sheperd. Dort müssen die Freiwilligen aber immer noch für Reise, Kost und Logis selbst aufkommen.
Die Organisation aus den USA, zu deutsch etwa Meereshirte, engagiert sich für den Schutz der Meere und den Kampf gegen Walfang, Robbenjagd und unverhältnismäßige Fischerei. Sie finanziert sich über Spenden, Sponsoren und Merchandising. Laut eigenen Angaben hat die Organisation seit Ende der 1970er-Jahre zehn Walfangschiffe versenkt. Allesamt illegale, weshalb es nie zu Urteilen gegen Sea Sheperd kam. Sea Sheperd spielte auch eine entscheidende Rolle, als Japan 2011 die Walfangsaison in der Antarktis vorzeitig beenden musste.
Für einen von 200 Plätzen auf diesen Antarktisschiffen bewarb Maggy Gschnitzer sich. Als eine von 40.000 Bewerbern. Da man dort aber monatelang auf einem Schiff praktisch eingesperrt ist, werden nur Leute genommen, die man schon kennt. Also bewarb sie sich für die Kampagne gegen den Grindwalfang auf den Färöern und wurde prompt genommen. Ein Monat wäre geplant gewesen, daraus wurden schließlich drei. Nach zwei Wochen war sie bereits Teamleiterin, das heißt für die Aktivisten auf einer der 18 Inseln verantwortlich. Später wurde sie sogar Groundleaderin. „Ich war wohl gut“, sagt Maggy.
500 Aktivisten sind während der Jagdsaison auf den Färöern. Gut 50 auf den Booten, der Rest an Land. Ziel ist es, eine Jagd früh genug zu erkennen, um die Wale vertreiben zu können. „Mehrmals ist uns das auch gelungen“, erzählt Magdalena, „aber einmal kamen wir zu spät, an dem Tag haben sie 33 Pilotwale abgeschlachtet.“ Es war der Tag, an dem sie verhaftet wurde.
Mit den Färingern hat sie direkt zu tun. Die Inseln sind klein, man läuft sich über den Weg. Einmal hielt sich tagelang der Vorwurf, die Aktivisten würden das Klopapier aus den öffentlichen Toiletten stehlen. Bis sie in allen Läden ihrer Insel, Sandoy, das Klopapier aufkauften und im Rathaus ablieferten. Zu einem Psychologen, der auf der Insel lebt und selbst Walfänger ist, ist so etwas wie eine Freundschaft entstanden. Und Magdalena versteht, dass die Menschen da oben im Nordmeer ein hartes Leben führen. Die monatelange Dunkelheit ist mit ein Grund für die Alkoholprobleme vieler Menschen. „Ich zeige auf keinen mit dem Finger“, sagt Gschnitzer. „Wer weiß, wie ich geworden wäre, wäre ich dort oben aufgewachsen.“ Aber ein Teil ihrer Kultur sei eben veraltet und muss weg. Zu dieser Überzeugung steht Gschnitzer. Verständnis hin oder her.
Während sie abgeführt wurde, begann das Schlachten. Mit Messern, groß wie Küchenmesser, werden die tonnenschweren Kolosse getötet.
Alle mag sie ohnehin nicht. Wie die, die sie verhaftet haben. Weil sie sich bei einem Grindadráp nicht anders zu helfen wusste, als ins eiskalte Wasser zu springen, um die Tiere zu vertreiben. „Die Jagd ist legal. Ich bin der Störenfried.“ Also wurde sie verhaftet. Während sie abgeführt wurde, begann das Schlachten. Mit Messern, groß wie Küchenmesser, werden die tonnenschweren Kolosse getötet. Die anderen Tiere warten derweil. „Das muss der Horror sein“, sagt Gschnitzer. „Die bekommen das alles mit, sehen und riechen das Blut.“ Das Gefängnis war weniger schlimm. Man wusch ihre Kleidung, gab ihr veganes Essen und sie konnte wieder mal ausschlafen. Nach 24 Stunden kam sie frei. Tage später wurde sie wegen Störung des öffentlichen Friedens verurteilt und gemeinsam mit fünf anderen der Insel verwiesen.
Gschnitzer mag auch keine Menschen wie die, die ihr Morddrohungen schickten. Oder jenen Mann, der von einem Boot aus ein Gewehr auf sie richtete. Oder jene Polizisten, die sie im Hubschrauber mit auf den Rücken gefesselten Händen übers Meer flogen. Es sind einzelne, die sie nicht mag, über die Färinger im Allgemeinen will Magdalena nichts Böses sagen: „Es sind keine schlechten Menschen. Sie tun dasselbe, was auch wir tun. Aber wir verstecken das Schlachten in industriellen Schlachthöfen, und hier kann es jeder sehen.“
Die Färinger sind stur, sagt Gschnitzer. Und mit dem Totschlagargument „Tradition“ verteidigen sie ihr Tun. Grindwalfang wird auf den Färöer-Inseln schon seit Jahrhunderten praktiziert und war einst ein unverzichtbarer Teil der Nahrungsversorgung auf dem kargen Archipel. Das Grindwalfleisch wird bis heute kostenlos verteilt. Doch das Argument lässt Gschnitzer nicht gelten: Die traditionellen Grasdächer etwa verschwinden immer mehr. „Kümmert euch darum!“ Immerhin, bei den Kindern und Jugendlichen finde ein Umdenken statt.
Im Moment arbeitet Gschnitzer in Südtirol und hält Vorträge über ihre Mission. Ihr nächstes Ziel ist Schottland, dort wird sie gegen die Robbenjagd kämpfen. Danach geht es in die USA und schließlich nach Japan. Dort werden in großem Stil Delfine gefangen. Die schönen Exemplare kommen in Delfinarien, der Rest wird geschlachtet. Warum ausgerechnet Wale und Delfine? Was macht sie schützenswerter als Kühe und Schweine? Warum muss man ihretwegen in den hohen Norden? „Irgendwo muss man ja anfangen“, sagt Gschnitzer. „Die Leute sollen sehen, was passiert, vielleicht ändert es sich dann.“
Magdalena Gschnitzers nächstes Projekt ist ihre eigene Kampagne „Cycle For The Ocean“. Wer sie dabei unterstützen möchte, kann sich über ihre Fundraising-Seite informieren.
Das Video zu Magdalena Gschnitzers Verhaftung
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