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David Augscheller saß viele Jahre für den Partito della Rifondazione Comunista im Gemeinderat von Meran. Letztes Jahr zog er sich von der Parteipolitik zurück: „Ich konnte den Herausforderungen der politischen Arbeit aus zeitlichen Gründen nicht mehr gerecht werden und deshalb war es kohärent, jüngeren Menschen Platz zu machen, die Lust auf Politik haben“, sagt Augscheller, um stolz hinzuzufügen: „In Meran haben wir es tatsächlich geschafft, eine plurale und geeinte linke Liste zu verwirklichen, zu deren programmatischen Grundpfeilern die soziale und ökologische Gerechtigkeit gehört.“ Augscheller ist aktuell Leiter des deutschen Schulsprengels Bozen/Europa im Stadtviertel Don Bosco und fühlt sich in der „weltanschaulichen Politik jenseits von Parteien beheimatet“, wie er BARFUSS im Interview verrät.
BARFUSS: Eine KPÖ-Bürgermeisterin in Graz, der Einzug der KPÖ in den Landtag in Salzburg: Wie erklärst du dir diese Erfolge der Kommunisten in Österreich?
David Augscheller: Ich erkläre mir den Wahlerfolg durch eine beständige Arbeit der Partei an konkreten Themen: Wohnungsnot, Solidarität, Arbeitsbedingungen usw. Die KPÖ in Graz steht schon lange für eine leistbare Wohnpolitik. Darauf hat die Grazer KPÖ ursprünglich ihren Wahlerfolg aufgebaut, was ihnen die KPÖ in der Steiermark und Salzburg „nachgemacht“ hat. Das funktioniert: Leistbares Wohnen beschäftigt und betrifft alle. Traditionsmäßig zahlen die KPÖ-Mandatar:innen einen Großteil ihrer Gehälter in einen „Topf für solidarische Projekte“ ein. Was die KPÖ also als einzige Partei in Österreich wirklich macht, ist konkrete Sozialpolitik zu betreiben. Damit stechen sie hervor, weil sie ansonsten von Parteien umgeben sind, die nur Eigeninteressen verfolgen und ausschließlich auf „ihresgleichen“ schauen.
Wer sind die Kommunist:innen von heute? Wie unterscheidet sich die KPÖ von heute von der von früher?
Früher war die KPÖ eine Kaderpartei (Anm. d. Red.: Eine Kaderpartei ist eine marxistisch-leninistische Partei, die ihre Positionen mit politisch geschulten und ausgewählten Parteimitgliedern besetzt), die sehr sowjetorientiert war. Dahingehend hat sich die KPÖ stark verändert. Es fand sehr viel Reflexion innerhalb der Partei statt und die Türen wurden auch für „Andersdenkende“, die Sozialpolitik verfolgen, geöffnet, wie ein ehemaliger Teil der jungen Grünen. Die KPÖ vor 30 Jahren hätte sich niemals so geöffnet. Das was sich jetzt anhand der KPÖ abzeichnet, ist ein Zusammendriften sozialer und ökologischer Themen. Eine solche Entwicklung wünsche ich mir schon sehr lange, weil soziale Gerechtigkeit ohne ökologische Perspektive und umgekehrt nicht zielführend sein kann. Das hat die KPÖ im Gegensatz zur SPÖ verstanden.
Das ist ein Fehler, den wir als Linke immer wieder machen: Endlose Diskussion über Begrifflichkeiten führen, anstatt konkrete Ziele zu verfolgen.
„Das Programm der KPÖ von heute ist das Programm der SPÖ von damals.“ Viele kritisieren an der SPÖ, dass sie keine Sozialpolitik betreibt und diese den Kommunist:innen überlässt. Stimmt das?
Ja. Die KPÖ hat ihre ökologischen Theorien der Zeit angepasst und die wichtigen Themen der Sozialpolitik beibehalten. Darin liegt die große Schwäche der SPÖ, welche sie viele linken Themen nicht mehr repräsentiert oder gar vergessen zu haben scheint. Aus diesen Gründen assoziieren die Wähler:innen mit dem Kreuzchen neben der KPÖ nicht mehr die Sowjetunion oder den „alten Kommunismus“ sondern konkrete Sozialpolitik, die ansonsten keine Partei verfolgt.
Sozialistisch oder kommunistisch, was denn nun?
Ob die Ziele oder das Programm der KPÖ jetzt als sozialistisch oder kommunistisch bezeichnet werden sollte, ist eine Sekundärdiskussion und meines Erachtens nicht zielführend und einfach nur mühsam. Dem Arbeits- oder Obdachlosen sind die Unterschiede in den Begrifflichkeiten egal, letztlich zählen die Ziele der Parteipolitik und nicht deren Begrifflichkeiten. Das ist ein Fehler, den wir als Linke immer wieder machen: Endlose Diskussion über Begrifflichkeiten führen, anstatt konkrete Ziele zu verfolgen. Was heißt denn kommunistisch oder sozialistisch und wo liegen die Grenzen der Definitionen und wo verschwimmen sie ineinander? Das alles ist nicht relevant.
Was ist denn wichtig?
Wichtig ist das große gemeinsame Ziel einer sozial-gerechten Gesellschaft, in der die Arbeiter:innen, die Umwelt und der Mensch an sich nicht mehr ausgebeutet werden. Die SPÖ hat den Weg zu diesem Ziel bereits lange verlassen und ist in eine typische Partei, in der man Karriere machen kann, abgedriftet. In dem Moment, in dem eine linke Partei versucht konservative Positionen einzunehmen, um das privilegierte Bürgertum zu erreichen, wird sie mittelfristig verlieren. Denn zwischen dem Original und der Imitation wählen die Menschen immer das Original, im Fall von Österreich die KPÖ. Dasselbe ist in Italien zu beobachten. Italiens Linke fehlt die Selbstkritik und Reflexion der KPÖ.
Eine linke Partei muss ihre Identität insofern behalten, indem sie das Ziel der sozialen Gerechtigkeit und Solidarität nicht aus den Augen verliert.
Inwiefern?
Sobald die PD (Partito Democratico) oder die Fünf-Sterne-Bewegung angefangen haben, Migrationsthematiken mit rechten Zugängen aufzumachen, haben sie verloren. Wer gegen die Einwanderung von Migrant:innen in Italien ist, wählt gleich die Fratelli d‘Italia, also das Original. Eine linke Partei muss ihre Identität insofern behalten, indem sie das Ziel der sozialen Gerechtigkeit und Solidarität nicht aus den Augen verliert.
Dürfen wir künftig in Italien oder gar in Südtirol mit einem ähnlichen Phänomen, gar einer Renaissance des Kommunismus rechnen?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Linke hat sich in einem masochistischen Wahn selbst zerstört und zerstritten, sodass ich gegenüber künftigen Wahlerfolgen sehr pessimistisch eingestellt bin. Die einzige dezidierte linke Partei ist die Sinistra Italiana, die im Parlament vertreten ist. Sonst gibt es nichts. Die Rifondazione Communista ist quasi verschwunden und kommt vielleicht auf 1 Prozent, wobei sie vor gut 15 bis 20 Jahren noch bei knappen zehn Prozent lag. Das liegt an der Tendenz der „Aufsplitterung“ der Linken in Italien und persönlichen zwischenparteilichen Feindschaften. Einen linken Wahlerfolg kann ich mir erst dann vorstellen, wenn sich etwas komplett Neues gründet, wo sich alle linken Kleinparteien in Italien beheimatet fühlen. Aktuell ist es aber so wie im Kindergarten: Wenn jemand von der Sinistra dabei ist, spielt die Rifondazione nicht mit und umgekehrt.
Du warst selbst lange Zeit Mitglied der Rifondazione Comunista. Wo findest du dich aktuell in der Parteipolitik wieder?
Da habe ich große Schwierigkeiten und stimme aktuell mit keiner linken Partei in Italien überein. Ich fühl mich in der weltanschaulichen Politik jenseits von Parteien beheimatet. Ich sage immer: Diese politische Heimat abseits der Parteipolitik gehört mir und kann mir auch niemand nehmen. Dort verfolge ich meine sozialistischen und kommunistischen Ziele, Ideale und Werte. Parteipolitisch täte ich mich gerade unglaublich schwer, eine Tendenz zu verfolgen. Ich träume weiterhin von einer pluralen libertäreren Linken, in der es möglich ist, verschieden Positionen zu vertreten und trotzdem unter einem Dach, dem Dach der sozial-gerechten Gesellschaft, zu bleiben.
Ich träume weiterhin von einer pluralen libertäreren Linken, in der es möglich ist, verschieden Positionen zu vertreten und trotzdem unter einem Dach, dem Dach der sozial-gerechten Gesellschaft, zu bleiben.
Inflation, Klimawandel und Spaltung der Gesellschaft: Welche kommunistischen Theorien könnten der Gesellschaft von heute helfen?
Marxismus als Gedanken-Konstrukt von Marx bietet uns ganz viele interessante und höchstaktuelle Instrumente zur Analyse der gegenwärtigen Gesellschaft. Wenn Marx im 19. Jahrhundert von Entfremdung spricht, handelt es sich eigentlich um ein hyperaktuelles Thema: Marx spricht dabei von der Verdinglichung des Menschen, weil die Arbeit eine zutiefst menschliche Eigenschaft ist. Arbeit als Fähigkeit, kreativ die eigene Umwelt nach Bedürfnissen und Notwendigkeiten zu verändern. Wenn wir diese Theorie auf die heutige Zeit ummünzen, finden wir sehr große Kritikpunkte, weil sehr viel Arbeit heutzutage sinnfrei ist. Der Kulturanthropologe David Graeber spricht hierbei von sogenannten Bull-Shit-Jobs, die sich dadurch auszeichnen, möglichst viel Geld ohne Mehrwert für die Gesellschaft zu generieren. Auch das Herbeisehnen einer Utopie von einer sozial-gerechten Gesellschaft von Marx kann auf heute umgewälzt werden.
Inwiefern?
Der Kapitalismus und Neo-Liberalismus verhindern das Zustandekommen von sozialer Gerechtigkeit. Kapitalismus kann nur mit Ausbeutung funktionieren: Ausbeutung von Menschen, der Arbeit, der Umwelt. Die Grundalge des Kapitalismus ist eine Vernichtungsmaschinerie: Das kapitalistische Wirtschaftssystem, in dem wir leben, ist keine Lösung, sondern eher das Gegenteil. Ich habe kürzlich gelesen, dass Gröden unglaublich glücklich ist, weil sie noch nie so viele Wintertourist:innen wie dieses Jahr hatten. Gleichzeitig gab es aber auch noch nie so wenig Schnee wie heuer. Das ist ein Sinnbild für Kapitalismus: Der Fokus liegt auf der Anhäufung von Kapital ohne Rücksicht auf Verluste.
Die faschistische Ideologie ist in vielen Köpfen auch in denen der Südtioler:innen tief verankert.
Wie sieht es mit anderen Werten aus?
Das Transnationale, Grenzen übergreifende Denken ist im sozialistisch-kommunistischen Gedankengut impliziert. Es geht um die Würde des Menschen und nicht um Herkunft, Geschlecht, Sexualität usw. All das, was rechte Ideologien ausschließen, begrüßt der Sozialismus und Kommunismus. Auch die pazifistischen Ansätze von Marx könnten – wenn wir uns das Weltgeschehen so anschauen – der Gesellschaft von heute sehr helfen.
Warum sind die Rechten so beliebt und wie kommt es, dass Ministerpräsidentin Giorgia Meloni einen so hohen Zuspruch von den Südtiroler:innen erhält?
Dass Südtirol Meloni befürwortet, wundert mich nicht. Die faschistische Ideologie ist in vielen Köpfen auch in denen der Südtioler:innen tief verankert. Themen wie Migration, der Wunsch nach einem starken Mann – in Melonis Fall einer starken Frau -, populistische Parolen, leichte Lösungen auf komplexe Probleme, wie das Sperren der Grenzen usw. kommen in solchen Kreisen jeher gut an.
Als Süditoler:innen wissen wir ohnehin, wovon wir bei der Monopolstellung im Informations- und Medienbereich reden.
Auch in anderen Ländern ist seit einigen Jahren der wachsende Rechtsruck bemerkbar: Deutschland, Frankreich, Österreich. Steuern wir geradewegs in ein Europa der „Neuen Rechten“ zu?
Ja, zur Zeit sieht das leider so aus. Daher gilt es die EU, deren übergeordnete Institutionen und Errungenschaften wie die Pressefreiheit zu schützen. Allerdings weist Italien diesbezüglich bereits jetzt starke Defizite auf. Die Pressefreiheit in Italien sieht mit den ganzen Monopolen nicht rosig aus. Als Süditoler:innen wissen wir ohnehin, wovon wir bei der Monopolstellung im Informations- und Medienbereich reden. Allerdings befürchte ich nicht, dass wir geradewegs in einen autoritären Staat zusteuern. Einige Ideen machen mir aber dennoch Sorgen.
Zum Beispiel?
Die Idee Melonis vom „Präsidentialismus“, also der direkten Wahl von Präsident:innen. Ich möchte keine Zeit erleben, und erst recht wünsche ich mir das nicht für zukünftige Generationen, wo der oder die Präsident:in fast uneingeschränkte Freiheiten besitzt und das Parlament reine folkloristische Funktionen ausübt. Mich bekümmern das allgemeine Desinteresse und der mangelnde Aufschrei bei solchen institutionell politischen Thematiken. Das beste Beispiel dafür war die Kürzung der Parlamentssitze. Das Referendum dafür ist ohne Problem durchgeflutscht. Heute wissen wir, dass dadurch kaum bis de facto gar nicht eingespart wurde. Dennoch haben wir die Reduzierung und Schwächung der territorialen demokratische Repräsentanz zugelassen. Wir müssen die Spielregeln definieren und zwar so, dass sie radikal demokratisch sind.
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