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Sarah Meraner
Veröffentlicht
am 22.02.2023
LeuteInterview mit Daniel Andergassen

Outside the box

Veröffentlicht
am 22.02.2023
Daniel Andergassen erforscht die Gründe, warum Herz-Kreislauferkrankungen bei Frauen anders als bei Männern verlaufen. Der Kalterer Molekularbiologe sagt: „Wir könnten den therapeutischen Ansatz revolutionieren."
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Daniel Andergassen

Daniel Andergassen untersucht, welchen Einfluss speziell die Geschlechtschromosomen auf diese unterschiedlichen Verläufe haben. Klingt abstrakt? Ist es auch. Für sein aktuelles Forschungsprojekt, das aus medizinischer Sicht richtungsweisend sein könnte, fungiert er als Nachwuchsgruppenleiter am Institut für Pharmakologie und Toxikologie an der TU München – und das, obwohl er einst als „Schulversager“ abgetan und ihm alles andere als eine großartige Zukunft prophezeit wurde.

Deine Geschichte ist doch recht erstaunlich: vom vermeintlichen „Taugenichts“ zum erfolgreichen Molekularbiologen.
Ich hatte eine schwierige Mittelschulzeit, was zum einen an den Klassenkameraden lag, zum anderen an Lehrer:innen, die wenig Verständnis für meine Konzentrationsschwierigkeiten aufbrachten. Ich war nie ein guter Schüler und oft bestimmt auch mit meinen Gedanken woanders, aber meine Lehrer:innen drückten mir gleich einen Stempel auf. Meiner Mama sagte man beim Elternsprechtag sogar: „Ihr Sohn wird es zu nichts bringen” und die Lehrer ließen mich die Klasse wiederholen. Ich durfte schließlich die Schule wechseln und damit waren die Probleme vom Tisch.

Und dann?
Nach der Mittelschule arbeitete ich ein Jahr lang als Mechaniker und fiel sehr früh in eine Alltagsroutine. Ich beschloss schließlich, mich an der Handelsoberschule einzuschreiben. Weil ich mich aber immer mehr für Informatik interessierte – damals gab es auch diesen Hype der Lan-Parties –, wechselte ich nach zwei Jahren zur Gewerbeoberschule. Meinen Weg zur molekularen Biologie fand ich schließlich an der Uni. Als ich die Informatik mit der Biologie fusionierte, fand ich meinen persönlichen Selling-Point. Die Bioinformatik braucht es, um die Grundlagen der Genetik, ihren Sinn und ihre Komplexität überhaupt zu verstehen.

Wie bist du nach deiner turbulenten Schulzeit eigentlich darauf gekommen, ausgerechnet Molekularbiologie zu studieren?
Ich rutschte da eher zufällig rein… Eigentlich entschied ich mich für Maschinenbau. An der Uni Wien stieß ich dann beim Durchstöbern der Studiengänge auf Molekularbiologie und dachte: Wow, das klingt fancy! Vielleicht hatte ich da auch noch das kindliche Denken, wie cool es wäre, irgendwann mal eine unheilbare Krankheit zu heilen (lacht). Jedenfalls studierte ich Maschinenbau und Molekularbiologie zunächst parallel, nach zwei Jahren konzentrierte ich mich auf Molekularbiologie und hatte das Riesenglück in der Forschungsgruppe von Denise Barlow, einer Pionierin in der Epigenetik, zu landen. Unter ihren Fittichen schrieb ich schließlich meine Doktorarbeit.

Die Epigenetik ist die „Software”, die für die Regulation der Gene verantwortlich ist.

Was ist die Epigenetik genau?
Der genetische Code, den wir alle in uns tragen, ist fix, quasi die Festplatte unseres Computers. Die Epigenetik hingegen ist die „Software”, die für die Regulation der Gene verantwortlich ist. Diese Genregulation findet in allen Zellen unseres Körpers statt. So besitzen die Zellen zwar alle die identische Erbinformation, aber je nachdem, in welchem Organ sie sich befinden, sind unterschiedliche Gene aktiv – in den Herzzellen zum Beispiel nur jene, die eben eine Herzzelle ausmachen.

Nach seinem Abschluss und mehreren Publikationen wurde Andergassen auf verschiedene Bewerbungen hin nach Boston ins Stammzellen-Insitut der Harvard University eingeladen, um einen Vortrag zu halten. Dort bekam er schließlich ein Jobangebot. Seiner Frau und ihm fiel es nicht leicht, eine Entscheidung zu treffen, zumal er zwei weitere sehr gute Angebote aus Heidelberg und München erhielt. Den Ausschlag gab schließlich der Schwiegervater, der meinte, das Paar solle nicht lange überlegen und sich die Welt ansehen. Innerhalb von zwei Monaten heirateten die beiden, lösten ihre Wohnung auf, beantragten das Visum und dann zogen sie nach Amerika.

Wie hast du die Zeit in den USA erlebt?
Die erste Zeit war sehr abenteuerlich (lacht). Wir kamen während eines Blizzards in den USA an und lebten die ersten Monate in einer WG. Später wohnten wir in der Nähe des Campus, tauschten uns bei schlechter Pizza und Craftbeer mit den außergewöhnlichsten Nerds aus der ganzen Welt aus, führten Hardcore-Wissenschaftsgespräche – nicht selten während der Happy hour – und erlebten gefühlt eine zweite Uni-Zeit.

Daniel Andergassen in Boston

Woran hat euer Forschungsteam in Harvard gearbeitet?
Nur zwei Prozent des gesamten Erbmaterials enthält den Bauplan für Proteine. Unser Team – unter der Leitung von John Rinn – interessierte Folgendes: Welche Rolle spielen dann die restlichen 98 Prozent? Ist auf dieser sogenannten „Junk-DNA” etwas Wichtiges drauf? Was macht die Komplexität des Menschen aus? Wir entfernten mit der Genschere große Stücke aus dieser „Junk-DNA” und beobachteten, was passierte. Was wir herausfanden: Auf der „Junk-DNA” sitzen gewissermaßen Kontrollzentren, die sich an- oder ausschalten – und je nachdem ändert sich die Aktivität der zwei Prozent.

Wie sah deine Arbeit ganz konkret aus?
Ich arbeitete an Zellkulturen, wandte viel bioinformatisches Wissen an, arbeitete mit Algorithmen und Computer-Science und betrieb sehr viel Analyse.

Wir entfernten mit der Genschere große Stücke aus dieser „Junk-DNA” und beobachteten, was passierte.

Das klingt sehr abstrakt. Worum geht es in deinem Job – ganz vereinfacht ausgedrückt?
Ums Daten sammeln, ums Interpretieren und dann muss man eine gute Geschichte daraus machen – im Grunde machen du und ich dasselbe (lacht). Diese Story gilt es zu visualisieren und daraus verfasse ich ein Manuskript, das schließlich publiziert werden kann. Je renommierter die Zeitschrift, desto mehr Impact und desto mehr Forschungsgelder gibt es, um die Forschungen voranzutreiben und neue Doktoranden einzustellen, die mit dir gemeinsam weiterforschen.

Nach dreieinhalb Jahren kehrte Daniel Andergassen nach Europa zurück und trat im Herbst 2020 seinen neuen Posten als Nachwuchsgruppenleiter an der TU München an, für den er sich einige Monate zuvor beworben hatte. Mit dem Führen eines eigenen Labors erreichte er ein wichtiges Ziel, das die meisten Wissenschaftler in ihrer Karriere verfolgen. Aktuell besteht Andergassens Team aus vier Doktoranden und einer Labormanagerin und wird in diesem Jahr noch um drei weitere Personen erweitert.

Für dein aktuelles Projekt hast du von der DZHK (Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung) eine beachtliche Summe an Forschungsgeld erhalten. Wie kamst du auf die Idee, dich dem Thema Herz-Kreislauferkrankungen zu widmen?
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind nach wie vor jene Erkrankungen mit der höchsten Mortalitätsrate und verlaufen bei Männern und Frauen unterschiedlich. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Frau und Mann sind deren Geschlechtschromosomen. Da ich mich in Boston im Rahmen unserer Forschungsarbeit vor allem mit diesen beschäftigte, wurde mir klar, dass meine Grundlagenforschung in Kombination mit der medizinischen Expertise der TU München die fundamentale Frage beantworten könnte, warum Krankheiten bei Frau und Mann anders verlaufen.

Wie sehen diese molekularbiologischen Unterschiede genau aus?
Frauen haben ja bekanntlich zwei X-Chromosomen, Männer ein X- und ein Y-Chromosom. Das zweite X-Chromosom bei Frauen wird in der Zelle bereits sehr früh auf „stumm” geschaltet – nur bei drei Prozent der Gene ist das nicht der Fall, sie bleiben auf beiden X-Chromosomen aktiv. Das bedeutet: Frauen haben doppelt so viele dieser Gene aktiv als Männer. Wenn wir nun herausfinden, dass dies der Grund ist, warum Frauen weniger häufig von Herz-Kreislauf-Erkrankungen betroffen sind als Männer, könnten wir den therapeutischen Ansatz revolutionieren. Wir haben bereits erste Test-Kandidaten, Gene, die wir in ein krankes Herz – zum Beispiel ein Herz nach einem Infarkt – einsetzen, um zu schauen, ob es sich schneller regenerieren kann.

Wie kann man sich das vorstellen?
Dafür verwenden wir einen Virus als „Shuttle” und setzen ihm das Gen ein. Dann steuern wir das Virus ins jeweilige Organ, wo das Gen zum Einsatz kommt und hochreguliert wird. Dieses Ausprobieren und Schauen, was passiert, ist äußerst spannend und im Grunde das, was ich an meiner Arbeit am meisten mag.

Der Mensch ist ein komplexes Konstrukt, über das wir im Grunde noch wenig wissen.

Was noch?
Mein Team. Es besteht aus sehr jungen, extrem motivierten Doktorand:innen. Ich bin es zwar, der das Projekt vorgibt, alle arbeiten aber mit großem Eifer daran und bringen Inputs. Das ist toll. Es gibt ständig neue Resultate, auch solche, die wir gar nicht erwarten.

Gibt es Tage, die dich eher frustrieren?
Wir müssen unsere Ergebnisse ja immer durch ein weiteres Experiment überprüfen – sehr oft bestätigt sich dann unsere Annahme nicht. Aber ich bin der Meinung: Wenn du dich durch sowas stressen lässt, bist du in der Forschung fehl am Platz. Manchmal kommt genau das raus, was man sich wünscht, sehr oft aber nicht. So genannte negative Resultate, die zeigen, dass etwas nicht so ist, wie man angenommen hat, sind aber genauso wichtig – vor allem für andere Forscher:innen, damit sie ihre Zeit in andere Projekte stecken können. Ja, es braucht auf jeden Fall sehr viel Durchhaltevermögen und Ehrgeiz in meinem Beruf.

Und was braucht es noch?
Kreativität. Wir müssen uns tagtäglich vorstellen, was vielleicht sein könnte und müssen diese Ideen dann überprüfen. Und es braucht die Fähigkeit, „outside the box” zu denken. Der Mensch ist ein komplexes Konstrukt, über das wir im Grunde noch wenig wissen.

Was möchtest du in den nächsten Jahren erreichen?
Ich erhoffe mir, dass sich einer unserer Test-Kandidaten als nützlich erweist und als therapeutischer Ansatz genutzt werden kann. Vielleicht gibt es dann ein Medikament, das dem Herzen hilft, sich wieder von alleine zu regenerieren. Womöglich trägt meine Forschung eines Tages dazu bei, dass weniger Herz-OPs notwendig sind, Aber wenn ich das bis zu meinem Lebensende erreiche, wäre ich schon mehr als zufrieden.

Was glaubst du brauchen Jugendliche, damit sie ihren Weg gehen können?
Ein stabiles soziales Umfeld mit tollen Freunden und ein flexibleres Schulsystem, in dem Jahr für Jahr neu auf die Bedürfnisse der Schülerschaft eingegangen wird. Das Lehrpersonal sollte meiner Meinung nach immer überlegen, wie es am besten gelingt, alle mitzunehmen. Ich habe es selbst erlebt: Ich wurde zu früh „aussortiert“, anstatt dass meine Interessen und Talente gefördert wurden. Trotzdem finde ich, dass wir in Europa großes Glück haben: Bildung ist hier für jeden zugänglich und jeder und jede kann etwas aus sich machen – ganz unabhängig vom sozialen Status. Ansonsten benötigen Jugendliche eine gute Sozialkompetenz, Glauben an sich selbst, außerdem Motivation und genügend Einsatz. Von nichts kommt nichts. Ich hätte öfters den bequemeren Weg wählen können, aber dann wäre ich sicherlich nicht da, wo ich jetzt bin.

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