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Langsam bäumt er sich auf einer drei Mal drei Meter großen Leinwand auf – bis er seine volle Länge erreicht hat. „Ahhh! Uhhh, ja genau da“, dröhnt es aus den Boxen. Die Atmosphäre schmuddelig, die Besucher auch. Der DVD-Aufsteller im Eingangsbereich bleibt nicht der einzige Ständer, den man hier zu sehen bekommt.
Ein von der Außenwelt abgeschottetes Pornouniversum am Wiener Gürtel. Einladend sieht irgendwie anders aus. Vor dem Kino begrüßen den Gast vergilbte DVD-Hüllen von zeitlosen Klassikern wie Bushy Ballerinas, Fußfick German Raw und Big Tit Rockers. „Erotik Kino: 3 Filme, 3 Säle, 1 Preis.“
Mit dem Eintreten in den Empfangsraum ertönt eine laute und schrille Glocke. „Grüß Gott“. Aus einer kleinen Luke, im Kassenhäuschen, blickt einem ein Mann entgegen – Zierleiste aus Haaren an der Oberlippe und ein Gefängnis-Tattoo am Unterarm. „Eintritt kostet neun neunzig, ist aber für den ganzen Tag.“ Ein leistbares Abenteuer also.
Für das körperliche Wohl ist in Form des reichhaltigen Angebots an der Kinokasse gesorgt: Manner-Schnitten, Bier, Limonade, Gleitgel, Verzögerungssprühlösung – also Betäubungsspray – Kondome und Taschentücher. Alles zum Einführungspreis. Popcorn gibt es keines – poppen wird im Sexkino nicht dem Maiskorn überlassen.
Die schwarzen, mit goldenen Blumen bedruckten Tapeten im Foyer lassen nostalgische Gefühle hochkommen. Fast wie früher bei Oma im Wohnzimmer. Nur die spärliche Einrichtung und die Menschen hier sind abgenutzter, es riecht nach kaltem Rauch, alles ist sehr notdürftig zusammengeflickt und überall stehen Pornos herum – also doch ganz anders als bei Oma.
Wie eine Ruine stand es da – der Putz abgebröckelt, die Fenster vermauert und die Fassade längst verblichen. Das Ex-GIL-Gebäude in Bozen galt lange Zeit als Schandfleck. Die Abkürzung GIL steht für „Gioventù Italiana del Littorio“. Das Bauwerk entstand 1934 als Herberge der weiblichen Faschisten-Jugend. Die jungen Frauen sollten dort zu „neuen Menschen“ heranreifen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Gebäude als faschistisch gebrandmarkt und verfiel zunehmend.
Im Zuge der sexuellen Revolution kam es zur Liberalisierung und Legalisierung von Pornographie. Das Auditorium des Ex-GIL wurde kurzerhand zum Pornokino umfunktioniert. Statt faschistischer Parolen dröhnten Porno-Sager durch die Hallen. 1990 wurde das Objekt zur Renovierung geschlossen und anschließend durch einen transparenten Glasbau ergänzt. Seit 2002 beherbergt das Objekt den Hauptsitz der Europäischen Akademie Bozen (EURAC).
„Wir haben 70 Prozent Stammkunden und die kommen nicht hauptsächlich wegen den Filmen vorbei. Man trifft sich hier, tauscht sich aus und hat eine gute Zeit“, verrät EDV-Unternehmer Willi S., der das Kino am Wiener Gürtel 2003 übernommen hat. Pro Tag kommen zwischen 15 und 25 Besucher zu den Vorführungen.
Über eine Tür gelangt man direkt vom Empfangsbereich in den Gang, der die einzelnen Séparées und den Kinosaal verbindet. Es ist dunkel, muffig und laut. Aus den drei Kabinen und dem Saal selbst dröhnt lautes Gehechel und Gestöhne. Klare Gedanken zu fassen, fällt schwer. Die Einzelbereiche sind mit kleinen Bildschirmen ausgestattet und durch dünne Wände voneinander getrennt – Türen gibt es keine.
Der Blick schweift über die Bildschirme. Die permanente Anzeige „Title“ des DVD-Players mitten im Bild stört hier niemanden. Die Séparées sind mit durchgesessenen Ledercouches und mit Kunstleder überzogenen Hockern bestückt. Alles wirkt notdürftig renoviert. Die Luft ist stickig, im Mistkübel liegen einige Taschentücher. Die einzige Lichtquelle sind die Bildschirme und der Projektor, trotzdem bleibt hier nichts im Verborgenen.
Die Hauptstoßzeit im Kino ist nach getaner Arbeit, zwischen 16 und 18 Uhr. Vom buntgemischten Publikum, wie es Willi beschreibt, ist nichts zu sehen. Eher ältere Menschen treiben in den Séparées und dem Kinosaal ihr Unwesen. Kein reges Treiben, aber ein Treiben.
Ein etwa 70-jähriger Mann, mit weißem Haar, schleicht langsam über den Gang, welcher die einzelnen Kabinen miteinander verbindet. Er wirkt gebrechlich und setzt langsam einen Schritt vor den anderen. Jemand sollte ihm einen Stock reichen, als Gehhilfe.
Fünf Minuten später spielt dieser Mann mit herunter gelassener Hose an seinem Stock rum. Er sieht dabei kurz her, wendet sich wieder dem Bildschirm zu und macht unbehelligt weiter. Die Blicke machen ihm nichts aus.
Im größten Raum, dem Hauptsaal des Kinos, läuft gerade „Heiße Girls & heiße Öfen“. Ausverkaufte Vorstellungen gibt es hier nie. Der Film auf der Leinwand lässt, wie die Tapete im Eingangsbereich, eine nostalgische Stimmung aufkommen.
Die Frisuren erinnern an die goldene Ära eines Mikel Knights oder der Baywatch Girls von Malibu. Die 80er-Jahre-Ästhetik schmiegt sich an die Netzhaut meiner Augen. Die Dialoge flach, die Kameraführung durchwachsen und die schauspielerische Leistung eher Laientheater – aber darum geht es auch nicht. Das Grundbedürfnis nach nackter Haut, Brüsten und Körpersäften wird auf alle Fälle befriedigt. Handlung gibt es keine.
Die Tonspuren aus den Séparées prügeln zusätzlich zum Film auf der Leinwand auf einen ein. Die durchgehende Reizüberflutung durch Gestöhne, Gehechel und pornografische Sager zeigt ihre Wirkung. Ob diese Geräusche nur aus den Boxen der Geräte stammen, bleibt der Fantasie überlassen.
Mit fortschreitender Zeit rückt die Außenwelt fernab dieser Räumlichkeiten immer weiter in den Hintergrund. Keine Fenster, keine Uhren, kein nichts – nichts außer diese Erfahrung. Eine Spielwiese, ein eigener Planet inmitten Wiens, fernab der Realität. Regeln gibt es keine, vom strikten Rauchverbot abgesehen.
„Manche Leute verbringen bis zu zehn Stunden bei uns im Kino“, erzählt Willi S. mit einem Schmunzeln. Viele verschiedene Gedanken und Gefühle drängen sich beim Besuch in dieser Pornokino-Welt auf. Erotische sind nicht dabei. Zwei Bewohner des Planeten „Sexkino“ sehen das anders. Sie sitzen mitten im Saal – er um die siebzig, sie um die fünfzig. Die Frau trägt blondiertes Haar und Flip Flops mit Blumen zwischen den Zehen. Sie streckt ihm ihre Brüste ins Gesicht. Es gefällt ihm. Die beiden wirken vertraut. Paar sind sie keines, verrät Willi S. im Gespräch. „Mit Liebe hat das Ganze hier nichts zu tun“, meint er. Trotzdem hält die blondierte Dame ihrem älteren Spielgefährten die Stange, als hätte sie nie etwas anderes getan.
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