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„Ich kann nicht sagen, was Arbeit und was Leidenschaft ist. Beides ist beides und ich könnte es mir nicht mehr ohne vorstellen“, sagt Herman Kühebacher. Von Anfang an, seit 25 Jahren, ist er Mitglied der Volksmusikgruppe Titlà. Fast genau so lange widmet er sich nun schon der Handweberei. Kühebacher sitzt auf dem kleineren der zwei Webstühle in seiner Werkstatt in Niederdorf nahe Innichen. Barfuß, im schwarzen Kapuzenpulli, um den Hals ein selbstgewebtes Seidentuch.
Er tritt auf die Pedale des Webstuhls. Die aufgespannten roten Fäden teilen sich. Mit einem lauten Knall schießt er das „Schiffl“ mit dem weißen Faden zwischen den zwei Reihen durch. Dann wiederholt er den Vorgang. Kühebacher ist schnell und geübt im Weben. Gerade arbeitet er an einem Seidenschal. Für einen Zentimeter Stoff muss er 21 Mal mit dem Faden durchschießen. Eine monotone Arbeit. Doch für ihn hat sie etwas Meditatives. Irgendwann denke man dabei nicht mehr nach, sagt er.
Es kommt selten vor, dass der 51-Jährige an einem Tag nicht in der Werkstatt ist. Auch sonntags und wenn er zornig ist, setze er sich an den Webstuhl. „Wenn sich ein anderer vor den Fernseher setzt, in die Bar geht oder kifft, wie man es früher oft getan hat, komme ich heute hierher“, sagt der gebürtige Innichner.
„Laut Fiskus lebte ich sogar bisher unter dem Existenzminimum, aber ich fühle mich keineswegs so.“
Fernseher hat Kühebacher keinen, auch kein Auto und er fährt nicht in den Urlaub. Das brauche er alles nicht. Seit März diesen Jahres ist seine Werkstatt hier in Niederdorf. Vorher war sie in Welsberg, wo Kühebacher seit acht Jahren wohnt. Garn und Webstuhl. Viel mehr braucht er zum Arbeiten in seiner Schaftweberei nicht. Kühebacher arbeitet nur mit Naturfasern, zum großen Teil mit lokalen, etwa mit Leinen und Bergschafwolle. Doch ihre Beschaffung ist schwer. Die Kleinspinnereien sperren zu. „Die großen Betriebe geben mir einen Arschtritt, wenn ich nach so geringen Mengen frage“, sagt der Vater einer achtjährigen Tochter.
Manchmal bekommt der Weber von Bauern aus der Umgebung Leinen, aber es sei fast keines mehr vorhanden. Seide, Kaschmir und Alpaka kauft er über Kooperativen, damit er wisse, dass der Bauer auch bezahlt werde. Kein Rohmaterial wird paraffiniert, geschwefelt oder mit Chemie behandelt, sondern zum größten Teil pflanzlich gefärbt, wie mit Moschba (Vogelbeere), Karmeslaus, Brennnesseln oder Birkenblättern. Daraus webt er dann Tücher und Wolldecken, nächstes Jahr vielleicht Kindertragetücher und Hanfhängematten. „Rein wirtschaftlich ist es absurd, heute so zu arbeiten“, sagt Kühebacher. „Laut Fiskus lebte ich sogar bisher unter dem Existenzminimum, aber ich fühle mich keineswegs so.“
Langsam geht es wirtschaftlich aufwärts, aber von der Handweberei allein könnte Kühebacher nicht leben. Die Musik ist mittlerweile Teil seiner Existenzsicherung. Mit der Folk-Band Titlà ist er besonders im Sommer viel unterwegs. In Südtirol, Bayern und der Schweiz. Damals, als alles angefangen hat, haben die fünf Bandmitglieder nur in Pubs gespielt. Heute ist die Konzertbühne das Zuhause der Musiker. „Titlà ist nahe an der Seele der Volksmusik. Titlà passiert hier“, sagt Kühebacher und legt eine Hand auf seinen Bauch. „Oder noch weiter unten. Es ist nicht kopfig“, sagt er. Titlà mache Volksmusik und brauche nicht die Bezeichnung von neuer Volksmusik, sagt Kühebacher. Sie seien einfach fünf Hansl, die traditionelle Lieder „aufwurschteln“ und im Pusterer Dialekt singen würden. Unverfälscht und mit der Zugabe von keltischen und jiddischen Einflüssen.
Peter Paul Hofmann ist gelernter Schlagzeuger, spielt Kontrabass und die Steirische, Eduardo Rolandelli spielt Bouzuki, Toni Taschler Akkordeon und Tuba, Peter Riffeser Violine und Viola. Stimmen hört man verschiedene bei Titlà. Auch Kühebacher singt. Dazu spielt er hauptsächlich die Schwegel, eine einfache, hölzerne Querflöte, verschiedene Dudelsäcke und Flöte. Alle drei Jahre kauft er sich ein neues Instrument, wie den „Bock“, ein Balg-geblasener, stiller Dudelsack, der einzige, den man staccato spielen kann. „Ich muss es erst lernen“, sagt Kühebacher bescheiden, als er eine Kostprobe gibt.
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Musik macht Kühebacher am liebsten in der Nacht. Auch in der Weberei arbeitet er abends oft bis ein Uhr. Er sei eben ein Nachtmensch, sagt der jahrelange Saisonsarbeiter. Vom Waldarbeiter bis zum Abspüler und Skiliftarbeiter – er habe schon „die unmöglichsten Arbeiten“ gemacht. In dieser Zeit reiste er viel herum. Anfang der 90er-Jahre das letzte Mal, als er vier Tage in Spiddal, County Clare, im Westen Irlands war. Dort entdeckte er bei einer alten Frau die Faszination für die Weberei. „Dann habe ich hier eine Weberin gefunden, der ich so lange auf die Eier ging, bis sie es mir lernte“, sagt er und lacht. Nach Feierabend setzte er sich ab sofort an den Webstuhl. 1996 meldete er das Gewerbe an.
„Ich fühle mich unwahrscheinlich gut, es ist wie beim Watten, wenn man sagt: puttana, habe ich gute Karten.“
Auch die Begeisterung für die Musik hat Kühebacher aus der Zeit seiner Reisen. „Musikmachen ist für mich, so kitschig es klingt, gleich wichtig wie gutes Essen, auf den Berg gehen und ein paar wenige gute Leute um mich zu haben“, erklärt er. Das seien die Dinge, für die es sich zu leben lohnt, sagt Kühebacher, der abwechselnd zwei Jahre raucht und zwei Jahre aussetzt, weil Tabak eine tolle Droge sei, er aber immer zu viel rauche.
Dann zeigt er auf die Berge, die man von seiner Werkstatt aus sieht. Hinter dem Haunold, dem Hausberg der Innichner, sei der Schuster. Auf ihn will er dieses Jahr noch hinauf, denn auf den Schuster zu gehen sei für ihn wie die Christmette für den Katholiken.
Kühebacher ist glücklich. Ihm gehe momentan im Leben nichts ab. „Ich fühle mich unwahrscheinlich gut, es ist wie beim Watten, wenn man sagt: puttana, habe ich gute Karten“, sagt er und grinst. Einen großen Teil tragen die Weberei und die Musik dazu bei.
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