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Herzmensch schläft. Die Nickerchen, die er im Laufe eines Tages einlegt, kann ich mittlerweile an einer halben Hand abzählen. Von Tag zu Tag wird der kleine Mann lebendiger, mobiler und vor allem neugieriger. Alles, was in seinem Babyradius liegt, steht oder hängt wird mit Händen, Füßen und Mund inspiziert und oftmals auch demoliert. Was automatisch bedeutet, dass die Zeitspannen meiner vollen Aufmerksamkeit für ihn und seine Aktionen von Tag zu Tag zu- und die Zeit für mich und meine Aufgaben abseits vom Mama-Sein von Tag zu Tag abnehmen.
„Ich komme einfach zu gar nichts mehr!“
Bei all der Zeit, die Herzmensch und ich im Laufe eines Tages miteinander verbringen, habe ich deshalb meist das Gefühl, dass ich außer spazieren gehen, aufräumen und mich um den Haushalt kümmern, nicht viel schaffe. Weder E-Mails noch Texte oder organisatorische Aufgaben und Planung lassen sich nämlich gut mit dem Lebenstrieb eines gesunden Babys vereinen – außer man sitzt mit dem Handy für fünf Minuten hinter verschlossener Bad-Tür auf dem Klo, aber dann heißt es schnell sein…
„Ich komme einfach zu gar nichts mehr“ – ein Satz, der deshalb nicht nur mein Mantra geworden ist, sondern auch das aller Neo-Mamis, die mich umgeben. Doch sobald der Gedanke in meinem Kopf aufpufft, stößt er auch gleich schon eine Welle des schlechten Gewissens mit an. Herzmensch sollte im Moment nämlich der wichtigste Bestandteil in meinem Leben sein und nicht als „gar nichts“ gesehen werden.
Nie habe ich vor der Zeugung überhaupt einen Gedanken daran verschwendet, wie der Alltag mit Kind wohl werden und wie er meinen damaligen Alltag wohl verändern würde. Für mich stand fest, dass ich, sofern möglich, Kinder haben wollte, am besten in jungen Jahren und mit all den Konsequenzen, die das mit sich bringen würde. Im Nachhinein gesehen wohl die besten zwei Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Denn was da auf einen zukommt, kann man sich in den kühnsten Träumen und mit den besten Beschreibungen nicht vorstellen. Und umso länger man es versucht, desto eher fängt man das Zögern an. Vermutlich ist diese Vorstellung auch der Grund, warum sich in der Blüte von uns Ypsilonern plötzlich die Fraktionen spalten: In diejenigen, die sichs nie vorstellen wollten und es nun können, weil sie selbst ein Kind haben, und diejenigen, die immer noch versuchen, es sich vorzustellen und deshalb zu großen Respekt davor haben, eines zu kriegen. Und dann gehört man entweder der einen oder der anderen Riege an und beobachtet von beiden Seiten das Gegenüber – und schließlich auch sich selbst – etwas schmunzelnd mit all seinen Klischees.
Eigentlich wollte ich mich nie entscheiden müssen für die Eltern- oder Nicht-Eltern-Fraktion. Ich wollte einfach ein Seil zwischen die beiden spannen und ganz easy-cheasy darüber balancieren. Dann hätte ich mir auch nie Sprüche wie „Ihr hängt ja jetzt sowieso nur noch mit anderen Pärchen mit Kindern ab“ oder „Und, wie ist es so, endlich mal alleine aus dem Haus zu sein?“ oder „Die wissen sowieso nicht, wie das so ist mit Kind“ anhören müssen. Doch umso mehr ich darüber nachdenke – und umso länger ich darüber schreibe –, desto eher muss ich mir eingestehen, nun doch zu denjenigen zu gehören, die sich ständig über das „Ich komme grad zu gar nichts“-Thema, die sprießenden Zähnchen und den mangelnden Schlaf auslassen. Denjenigen, die lustige Babyvideos verschicken oder so aussehen, als wollten sie die von anderen beim Zufälligen-über-den-Weg-Laufen auf der Straße unbedingt schnell anschauen. Denjenigen, die die „Und, schläft er schon durch?“-Frage der Kinderlosen zum running gag im Mama-Freundeskreis machen. Denjenigen, die genau verstehen, wie es ist, wenn das Baby drauflos weint und man sich doch eigentlich nur ganz kurz miteinander unterhalten wollte. Doch auch zu denjenigen, die sich ein Leben ohne Kind einfach nicht mehr vorstellen können.
Ich bin ein Mensch mit Kind, eine Mama. Und wie das im vergangenen Jahr mein Leben verändert hat, erfahrt ihr im nächsten und letzten Teil meiner Kolumne.
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