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Veröffentlicht
am 20.01.2024
LeuteInterview mit Regisseurin Christina Polzer

„Mit einem Lächeln dem Weltuntergang entgegen“

Veröffentlicht
am 20.01.2024
Die Oper „Lorit“ greift Themen von globaler Bedeutung auf: die Wirtschafts- und Politiksysteme, wie die Schattenseiten des Tourismus, Klimawandel und Naturkatastrophen. Am 23. Januar feiert „die Endzeitoper“ in Bozen Premiere. „Es geht darum, eine Balance zu finden, in die beide Elemente einfließen: der Weltuntergang mit lächelnder Leichtigkeit und die Prise Hoffnung, dass es weiter- und vorwärts geht“, sagt Regisseurin Christina Polzer.
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Christina Polzer

Die Kammeroper „Lorit“ ist ein Siegerprojekt des von der Stiftung Haydn von Bozen und Trient ausgeschriebenen Musiktheaterwettbewerbs „Fringe“ und feiert am Dienstag, den 23. Januar im Stadttheater Bozen um 20 Uhr Premiere. BARFUSS hat Regisseurin Christina Polzer vorab zum Interview gebeten.

Worum geht es in der Kammeroper „Lorit“?
Der Ausgangspunkt ist der Tourismus in Tirol, der als Sprungbrett für Aufschwung und Verbesserung gilt. Daran gekoppelt sind aber auch sämtliche Abgründe und Schattenseiten dieser Branche. „Lorit“ und das Libretto von Robert Prosser schaffen es, von diesem lokalen Ausgangspunkt aus einem Makrokosmos zu öffnen, in dem globale Herausforderungen, wie Klimakrisen und Generationenkonflikte, Platz finden. Wir diskutieren die großen Fragen der Zukunft, die wir nicht beantworten können – zum Beispiel: Was, wenn alles zusammenzubrechen droht? Dafür begeben wir uns in dieser Oper in die Tiroler Berge, mitten in den Tourismus, zum Skifahren.

Die Protagonist:innen in „Lorit“ sind allegorische Figuren. Was hat es damit auf sich? 
Die Verwendung von Allegorien in „Lorit“ greift ein äußerst österreichisches Thema auf, vergleichbar mit dem alljährlichen „Jedermann“ in Salzburg: Anstelle von traditionellen Allegorien wie dem Mammon oder der Buhlschaft haben wir im Kontext des Fremdenverkehrs gearbeitet. Die göttliche Vaterrolle ist die Politik/die „Touristiker:innen“. Der Tod nimmt bei uns eine Doppelrolle ein und wird „die Menge/der Tod“ genannt und meint uns alle. Er wird durch den Gottvater der Seilbahnen verkörpert. Diese klassischen Allegorien wurden speziell für das Thema der Oper angepasst und bieten eine einzigartige Perspektive auf die großen Symbole, wie sie in Allegorien üblicherweise dargestellt werden.

Wie arbeitet man als Regisseurin mit Allegorien?
Das war von Anfang an die zentrale Frage: Wie gestaltet man eine Figur, wie den Tod, der alles weiß und dem nichts passieren kann? Wir haben uns dafür entschieden, ihn menschlich zu behandeln – auf der Suche nach Abgründen, Problemen und inneren Konflikten. Das ist der erste Ansatz. Anschließend knüpfen wir konkret an Situationen an, wie beispielsweise an eine Hüttengaudi oder einen Sturm, und versuchen, diese authentisch darzustellen. Unser Ziel ist es, die Leichtigkeit des Feierns beizubehalten, während wir uns gleichzeitig auf die Apokalypse zubewegen. Es geht darum, eine Balance zu finden, in die beide Elemente einfließen: der Weltuntergang mit lächelnder Leichtigkeit und die Prise Hoffnung, dass es weiter- und vorwärts geht.

Wie entfaltet sich die Handlung zwischen diesen Figuren während ihres Treffens in der Gondel am letzten Tag der Skisaison?
In dieser Szene entfaltet sich die Dynamik zwischen den fünf Figuren, die trotz ihrer unterschiedlichen Interessen aufeinander zustreben. Sie sind in der Gondel während eines Sturms und Unwetters auf engstem Raum eingeschlossen. Es ist bemerkenswert, dass in Robert Prossers Libretto niemand verurteilt wird. Stattdessen dürfen alle ihre Positionen behaupten und miteinander kollidieren. Die zentrale Frage, die sich zwangsläufig stellt, lautet: Können sie zusammenhalten? Wie bewältigen sie Herausforderungen, wer gibt nach, wer tritt zurück und wie gehen sie gemeinsam weiter?

Wie wurde die Musik gestaltet, um eine Atmosphäre zwischen ausgelassener Hüttengaudi und apokalyptischen Klanggebilden zu schaffen?
Da kann ich lediglich die Spitze des Eisbergs erläutern, weil unser Komponist Marius Binder das alles geschaffen hat. Sein Ansatz für „Lorit“ war es, sich auf die Vielfalt der Genres zu konzentrieren, anstatt sich strikt auf Leitmotive zu stützen. In der Oper prallen Schlager, Volksmusik, neue Musik, Kirchenklänge und Popmusik aufeinander. Manchmal wechselt die Musik fast nahtlos zwischen den Genres, was die allegorischen Figuren und ihre Charaktere unterstützt. Persönlich finde ich diese klangliche Vielfalt angenehm, da sie nie zu lange in einem Stil verweilt und ständig neue Aspekte hinzufügt.

Die Jury des Musiktheaterwettbewerbs „Fringe“ betont die Aktualität des Themas von „Lorit“. Welche großen Ereignisse, Begebenheiten und Themen der Gegenwart und Zukunft werden auf der Bühne widergespiegelt?
In der gegenwärtigen Zeit der Polykrisen, in der eine Krise auf die andere folgt, spiegelt „Lorit“ die ständig wachsende Herausforderung wider. Die Oper reflektiert verschiedene aktuelle Themen, darunter bewaffnete Konflikte, die Klimakrise, globale Verhandlungen und Finanzkrisen. Die Inszenierung fängt die diffuse Unruhe dieser Zeit ein, ohne jedoch klare Antworten zu liefern. Vielmehr betont sie die Unsicherheit und ermutigt dazu, die Frage zu stellen, wie Gesellschaft und Menschheit in dieser komplexen Realität weitermachen können. Die Absicht ist, nicht vorgeblich Lösungen anzubieten, sondern die Unsicherheit und Herausforderungen offen zu reflektieren.

Welche Reaktionen oder Diskussionen hoffen Sie mit Ihrer Inszenierung in Bezug auf den überbordenden Tourismus auszulösen?
Ich hoffe vor allem darauf, dass eine neue Liebe für die Menschheit entsteht, da ich das Gefühl habe, dass diese zunehmend verloren geht. Momentan scheint das vorherrschende Denken stark von der Überzeugung geprägt zu sein, dass alles hoffnungslos ist, Menschen grauenhaft sind und wir uns alle gegenseitig hassen. Mein Wunsch ist es, dass wir wieder eine Liebe für das Menschsein entdecken. Ich hoffe, dass diese Erkenntnis die Menschen motiviert, die Ärmel hochzukrempeln und darüber nachzudenken, wie wir gemeinsam etwas bewirken können. Mein Ziel ist es, dass jede:r gestärkt, motiviert und hoffnungsvoll aus dieser Oper hervorgeht – vielleicht mit einem melancholischen Lächeln.

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