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Hellmuth Frasnelli ist ein erfolgreicher Immobilienunternehmer, doch so richtig in der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde er erst, als ihm sein Freund und Geschäftspartner Karl Pichler 2004 anbot, gemeinsam in die Wasserkraft einzusteigen. Was dann folgte, kennen wir heute als SEL-Skandal. Am Karfreitag des Jahres 2006 wurden vom damaligen Landesrat für Energie Michl Laimer und dem SEL-Direktor Maximilian Rainer unter anderem Dokumente getürkt, um die landeseigene Energiegesellschaft SEL gegenüber der privaten Konkurrenz, wie jener von Frasnelli, zu bevorzugen. 2012 flog die Sache auf und brachte die Südtiroler Politik zum Beben wie selten zuvor. Frasnellis Beharrlichkeit ist mit ein Grund dafür, dass die Machenschaften aufflogen und eine Prozesslawine ins Rollen kam. (Im Detail nachzulesen im Buch SELfservice von Christoph Franceschini, erschienen bei Edition Raetia.)
Heute führen Frasnelli und Pichler die Großkraftwerke in Mühlbach und St. Anton bei Bozen, im Kraftwerk St. Anton produzieren sie rund 300 Millionen Kilowattstunden pro Jahr, in Mühlbach etwas über 100 Millionen, den Jahresbedarf von rund 400.000 Personen. 2018 erzielten die Kraftwerke einen Umsatz von 28 Millionen Euro und einen Gewinn von 11,6 Millionen Euro.
Ihren Einstieg in die Wasserkraft hätten Sie sich wohl nicht so turbulent vorgestellt?
Es gab harte Kämpfe, 42 Prozesse, und am Ende haben wir uns durchgesetzt. Es war unglaublich, zu sehen, wie manche Dinge hinter den Kulissen ablaufen. Wir hätten uns nie vorstellen können, dass so etwas hier in Südtirol überhaupt möglich war.
Als der SEL-Skandal aufflog, haben sich doch viele gedacht, wir wussten doch, dass die Dinge so laufen, jetzt haben wir es eben Schwarz auf Weiß.
Nein, so war es nicht. Wir hatten Projekte, in Konkurrenz zur SEL, an Gader, Rienz, Eisack, Passer und Rambach für insgesamt 700 Millionen Kilowattstunden neuer Energie, alle mit grünen Zertifikaten, also staatlichen Förderungen für grüne Energie. Das wären 45 bis 50 Millionen Euro pro Jahr Nettoverdienst nach Steuern. Bis zu 86 Prozent davon hätten die Gemeinden und die SEL bekommen. Allein der Gemeinde Brixen haben wir 130 Millionen Kilowattstunden pro Jahr angeboten, das wären nach Steuern rund 7 bis 8 Millionen Euro. Gratis!
Die Gemeinden hatten für ihre Beteiligung an der SEL zahlen müssen, von uns hätten sie die Beteiligungen kostenlos erhalten.
Und trotzdem haben Sie die Ausschreibungen nicht gewonnen.
Das Land hat die Flüsse, bei denen wir Konkurrenzprojekte zur SEL hatten, unter Schutz gestellt. Hatten sie Angst, gegen uns zu verlieren? Dabei hatten sie doch selbst schon so viel Geld in die Planung investiert. Auch uns hat die Ausarbeitung der Projekte Millionen gekostet. Das hat mich stutzig gemacht. Das Kraftwerk Mühlbach, das wir gebaut haben, geht in 20 Jahren gratis ans Land über. Das gehört dann allen. Wieso will man so etwas nicht? Südtirols Familien brauchen 500 bis 530 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr. Da kann ich 700 Millionen Kilowattstunden erneuerbare und umweltfreundliche Energie, die wir pro Jahr zusätzlich produziert hätten, nicht einfach wegschmeißen.
Das Kraftwerk St. Anton, nördlich von Bozen, am Eingang ins Sarntal, versteckt sich im Berg. Gute 300 Meter geht es im Geländewagen durch einen Stollen in den Berg, der sich unvermittelt zu einer großen Halle weitet. Darin stehen drei riesige Generatoren, die zusammen 90 Megawatt Leistung bringen, Strom für rund 300.000 Menschen. Allein der Rotor eines jeden Generators wiegt rund 66 Tonnen.
Vom Generator fließt der Strom mit 13.800 Volt durch faustdicke Kupferdrähte zu den im Freien vor dem Kraftwerk stehenden Spannungswandlern, die ihn sonor brummend auf 220.000 Volt hinauftransformieren und in die Welt hinausschicken.
Hellmuth Frasnelli höchstpersönlich führt mit seinem Freund und Kompagnon Karl Pichler durch das Kraftwerk. Man sieht beiden an, was für einen Stolz sie damit haben. Es ist eine große Freude“, sagt Frasnelli, „weil wir hier Gegenwind hatten wie sonst bei keinem Projekt.“
Wieso waren Sie sich sicher, am Ende Recht zu bekommen?
Bei Wasserkraftprojekten gibt es einen Zeitpunkt, an dem man in die Projekte der Konkurrenz Einsicht nehmen kann. Als wir die anderen Projekte sahen, haben wir gejubelt. Es konnten nur wir gewinnen, weil wir die besseren Vorschläge vorgelegt haben. Aber dann passierte lang nichts, und so haben wir den Rechtsweg eingeschlagen und sind vor Gericht gezogen.
Die Klage hat im politischen Südtirol einen gehörigen Wirbel ausgelöst.
Bekannte haben mich in jener Zeit gemieden, man hat mir ohne Begründung Projekte im Immobilienbereich abgelehnt, ich habe Dinge erlebt…
Ich war in jener Zeit bei einer Vernissage in Meran. Da habe ich gesehen, dass mich eine Person beobachtet. Ich habe sie angesprochen, es war ein Mitglied der damaligen Nomenklatura.
‘Herr Frasnelli’, sagte er, ‘Freunde von mir haben mit Ihnen Geschäfte abgeschlossen und sagen über Sie nur Gutes. Deshalb tut es mir leid, dass sie so viel Geld für die Wasserkraft-Projekte ausgeben, sie werden nie eine Konzession bekommen.’
Ich habe geantwortet, wie das sein könne, wenn ich doch bessere Projekte als die Konkurrenz hätte?
‘In welcher Welt leben Sie denn?’, hat er geantwortet, ‘Die Ämter der Provinz kontrollieren und genehmigen die Projekte.’
‘Sie werden mir doch nicht erzählen, dass die Landesämter verschiedene Maßstäbe für die Projekte anwenden?’
Da hat er mich ausgelacht.
Rund 600 Meter ist der Höhenunterschied zwischen dem Stausee am Ritten und den Turbinen in St. Anton. Das Wasser wird durch eine Druckleitung aus Stahl mit 2,2 Metern Durchmesser und einer Wandstärke von bis zu 3 Zentimetern bis vor die Kraftwerkkaverne geleitet, wo ein Verteiler das Wasser auf die drei Turbinen aufteilt. Jede Turbine hat wiederum vier Düsen mit einer Öffnung von je 16 Zentimetern Durchmesser, aus welchen das Wasser mit einer Geschwindigkeit von über 440 km/h auf das 5 Tonnen schwere Laufrad schießt und den Generator mit 600 Umdrehungen pro Minute antreibt.
Noch spektakulärer als die drei riesigen Generatoren sind die weiteren Stollen, durch die man durch eine unscheinbare Eisentür gelangt. Noch einmal 540 Meter lang, 15 Meter breit und 12 Meter hoch ist allein der Hauptstollen, insgesamt 1,8 Kilometer Tunnel ziehen sich durch den Hörtenberg. Damit der Besucher davon etwas mitbekommt, haben Frasnelli und Pichler eiserne, am Gewölbe verankerte Stege verlegen lassen, von denen aus man den Stollen besichtigen kann.
All dieser Aufwand ist dazu da, den Schwallbetrieb des Kraftwerkes in den Griff zu bekommen. Ein großer Vorteil von Wasserkraftwerken mit Stausee ist, dass sie innerhalb von rund einer Minute ein- und ausgeschaltet werden können und so vor allem in Zeiten des hohen Verbrauchs das Stromnetz stützen. Allerdings schwankt damit auch die Wassermenge sehr stark, die erst durch die Turbinen hindurch und dann über den Rückgabekanal in die Talfer abfließt.
Sich schnell und stark ändernde Pegel sind nicht nur für viele natürliche Flussbewohner tödlich, sondern regelmäßig saßen auch Badende auf den kleinen Inseln in der Talfer fest, wenn der Fluss plötzlich und ohne Vorwarnung stark anstieg.
Dank der Investitionen Frasnellis und Pichlers gehört dieses Problem der Vergangenheit an. Das Ausgleichsbecken fasst rund 100.000 Kubikmeter Wasser, so wird eine gleichmäßige Menge wieder in den Fluss geleitet. 270.000 Kubikmeter Aushub wurden dafür aus dem Berg geschafft, das entspricht 13.500 LKW-Ladungen zu je 20 m³. Als erstes Wasserkraftwerk in Italien und weit darüber hinaus verfügt St. Anton über so einen großen Ausgleichspuffer und wurde dafür von Ecomondo – einer unter der Schirmherrschaft des Staatspräsidenten stehenden Organisation für Innovation –, ausgezeichnet. Es ist das erste Mal, dass ein Wasserkraftwerk eine so hohe Auszeichnung erhielt.
Am Ende wurde der Konflikt friedlich gelöst.
Es gab eine Schadenersatzklage der Etschwerke gegen die SEL über 805 Millionen Euro, dazu unsere Klage. Kompatscher ist Jurist, er hat verstanden, dass wir großen Schaden erlitten haben, dass es ein rechtskräftiges Urteil wegen des Schwindels bei den Einreichprojekten der SEL gibt und das Land den Schaden zahlen wird müssen. Also hat er uns alle an einem Tisch versammelt und einen Friedensvertrag ausgehandelt. Kompatscher ist ein Geschenk Gottes für Südtirol.
Helmuth Frasnelli, 72, wurde am Rieslinghof in Leifers geboren. Mit 12 verlor er die Mutter an den Krebs, eineinhalb Jahre später den Vater. Als Vollweise wurde er bis zur Volljährigkeit von seiner zwölf Jahre älteren Schwester betreut.
Sie haben mit 13 beide Eltern verloren – was macht das mit einem Menschen?
Ich musste mich schon früh durchkämpfen, und habe das mein ganzes Leben gemacht. Ich habe aber immer versucht, meine Geschäfte mit Herz zu machen, nicht mit Brutalität. Ich war aber oft zu gutmütig.
Den Militärdienst absolvierte er bei den Carabinieri, wollte dort auch bleiben, wurde nach einem Autounfall aber nach Cagliari strafversetzt und quittierte den Dienst.
1976 stieg er in die Immobilienbranche ein und ist mit der Firma Investa bis heute in diesem Bereich tätig, gemeinsam mit Tochter Manuela.
Im Dezember 2019 übernahm er gemeinsam mit Karl Pichler die Mehrheit bei der ff.
Wie wird man zum Medienunternehmer?
Die Redaktion der ff ist zu uns gekommen und hat uns vorgeschlagen, die Anteile von Manuel Saxl und Stefan Weber zu übernehmen. Sie hatte Angst, dass die ff sonst in die falschen Hände kommen könnte und damit die Unabhängigkeit der Zeitschrift in Gefahr sei.
Warum haben Sie sich darauf eingelassen?
Während der SEL-Geschichte hatten wir gesehen, wie wichtig Medienvielfalt ist. Andere haben schon auch darüber berichtet, Dolomiten, Alto Adige, Neue Südtiroler Tageszeitung und so weiter. Aber gewisse Sachen, die Christoph Franceschini und die ff geschrieben haben, konnte man anderswo nicht lesen.
Zur ff haben Sie gesagt, „schreibt was ihr wollt, es muss nur stimmen.“
Als wir die Mehrheit übernahmen haben mich viele Leute kontaktiert und gesagt, schreibt das und jenes. Ich habe allen geantwortet, ich habe damit nichts zu tun, ruft in der Redaktion an, die ist frei in ihren Entscheidungen. Ich sage, der Herausgeber darf einmal pro Jahr in die Redaktion, frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr wünschen, und das war’s.
Aber die Kinder sind doch mehr involviert.
Jaja. Mein Sohn Philipp und Pichlers Sohn Raffael sind die Geschäftsführer bei der ff.
Wird es Umstellungen geben? In den letzten Jahren war die ff für ihre jeweiligen Besitzer ein gutes Geschäft.
Wir nehmen kein Geld heraus, wir wollen vor allem die ff stärken.
ff-Gründer Gottfried Solderer sagte unlängst, ‘der große Aufklärungs- und Aufdeckjournalismus passiert dort nicht mehr’.
Die ff hat während des SEL-Skandals gezeigt, was eine Redaktion leisten kann. Ich bin fest davon überzeugt, dass die ff auch weiterhin in der Südtiroler Medienwelt präsent sein wird und sich durch ausgewogene Beiträge auszeichnen wird.
Frasnelli ist sozial engagiert, er hat seinen Zeilerhof in Gries als Wohnraum für Asylsuchende und Migranten mit Arbeitsvertrag, die sich in Bozen keinen bezahlbaren Wohnraum leisten können, zur Verfügung gestellt: dort ist auch das Winterhaus für obdachlose Familien und Frauen untergebracht. In den Verein „Hilfe in Not“ hat die Eisackwerk Mühlbach bislang 1,6 Millionen Euro gesteckt, mit denen im Einzugsgebiet des Kraftwerkes, den Gemeinden Mühlbach und Vintl, soziale Projekte unterstützt werden.
Warum tun Sie das? Man bekommt dafür nicht nur Lob… Und warum tut die öffentliche Hand so wenig, dass der Private helfen muss?
Ich bin kein Politiker, ich bin in keiner Partei in keinem Verband. Ich kann und will der Politik nicht sagen, was sie zu tun hat. Aber ich bin der Meinung, dass sich auch die Privatwirtschaft sozial engagieren soll. Wenn es dir gut geht und du was erreicht hast, kannst du auch etwas der Allgemeinheit zurückgeben. Diese Einstellung teilt meine ganze Familie.
Ist Südtirol solidarisch genug?
Im Dezember letzten Jahres haben wir den Schulen im Einzugsbereich des Kraftwerks Mühlbach 80.000 Euro zur informatischen Ausstattung für den Fernunterricht übergeben. Wir haben das gemacht, um auch anderen Firmen einen Anstoß zu geben, soziale Anliegen zu unterstützen. Wir sind überzeugt, dass unser Beispiel Nachahmer finden wird. Als Unternehmer muss man auch mal etwas für Schwächere tun, auch wenn wir Unternehmer es auch nicht leicht haben.
Wie wird es mit Südtirol weitergehen? Geht wegen Covid alles den Bach runter?
Nein, nein! Wir Südtiroler sind ein sehr fleißiges Volk. Wenn du durch die Täler fährst, siehst du gepflegte Häuser, Wälder, Wiesen. Wer fleißig ist, kommt auch nach der Krise schnell wieder nach oben.
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