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Wer Glück hat, an dem fährt der Rettungswagen vorbei. Und mehr als ein Schaudern und das Bewusstsein, dass der letzte Erste-Hilfe-Kurs schon Jahre her ist, bleiben meist nicht zurück. Wie aber ist so ein Leben im Zeichen von Blaulicht und Sirene? Ulrich* arbeitet seit Jahren ehrenamtlich als Sanitäter. Er hat uns erzählt, wie sein Alltag bei der Rettung wirklich ist.
Warum bist du Sanitäter geworden?
Ganz kitschig gesagt: Weil man den Leuten helfen kann. Und sogar, wenn dann neun von zehn Fällen Bagatellen sind, gibt es halt doch immer diesen zehnten Einsatz, bei dem man den Unterschied machen kann.
Was meinst du mit Bagatellen? Wirst du oft zu Einsätzen gerufen, zu denen du am liebsten gar nicht hinfahren möchtest?
Häufig sammeln wir Betrunkene ein. Und was, vor allem in den Städten, auch zugenommen hat, sind Messerstechereien. Betrunkene und Verletzte bei Messerstechereien zähle ich schon gar nicht mehr. Gerade hat sich die Lage wieder etwas beruhigt, aber vor ein bis eineinhalb Jahren war in Bozen sicherlich in jedem Nachtdienst mindestens eine Messerstecherei. Das braucht man sich dann aber auch nicht so vorstellen, dass da drei Leute verblutend auf dem Boden liegen. Meistens handelt es sich um oberflächliche Schnittwunden am Oberarm bzw. etwas völlig Undramatisches. Und das sind eben die Einsätze, auf die man als Sanitäter mit der Zeit echt keinen Bock mehr hat.
Wie gefährlich ist dein Job dann, auch im Hinblick auf solche Vorfälle?
Bei solchen Situationen sind immer Carabinieri oder Polizisten dabei. Ich muss auch sagen, dass ich gar nicht mehr aussteige, bevor die Polizei die Lage unter Kontrolle hat, sogar wenn draußen schon einer am Boden liegt. Wir bleiben im Auto mit laufendem Motor sitzen, und wenn so ein Messerschwinger durchdrehen sollte, dann sind wir weg. Am Anfang bin ich noch ganz motiviert aus dem Auto gesprungen und habe gedacht, ich muss jedem gleich helfen. Aber das mache ich nicht mehr. Und auch, wenn die Polizei immer an unserer Seite ist, habe ich immer ein Auge auf dem Patienten und das andere auf der Umgebung.
Bist du selbst einem Patienten gegenüber schon einmal handgreiflich geworden?
Handgreiflich direkt nie, da habe ich mich gut im Griff. Mir ist es als Sanitäter aber schon einmal passiert, dass so ein Rotzfrecher, den wir von einer Messerstecherei abgeholt haben, im Rettungswagen weiter randaliert und rumgeschrien hat. Ich habe ihn mehrmals gebeten, sich zu beruhigen. Stattdessen hat er aber angefangen, mich zu beleidigen und zu filmen. Da war ich wirklich kurz davor, dass mir der Kragen platzt und ich ihn aus dem Wagen schmeiße. Der Notarzt hatte auch schon den Pfefferspray in der Hand.
Apropos Filmen: Es gibt zurzeit vermehrt Kampagnen gegen Gaffer. Hast du beobachtet, dass das Gaffen und Drehen von Handyvideos an Unfallorten in letzter Zeit zugenommen haben?
Ja, du wirst als Sanitäter wirklich pausenlos gefilmt und auch das Phänomen „Gaffen“ ufert langsam aus. Einmal sind wir an einen Unfallort gerufen worden, wo eine Mutter mit ihren zwei Kindern auf einem Zebrastreifen angefahren worden war. Es standen Dutzende von Leuten einfach in der Gegend rum, die nur gegafft haben und effektiv geholfen hat kaum jemand. Deshalb ist die erste Regel mittlerweile: Rein mit dem Patienten in den Rettungswagen und Tür zu. Zivilcourage hingegen ist leider etwas, das immer mehr abnimmt, vielleicht auch aus der Angst heraus, dass man etwas falsch macht und angezeigt wird. Wobei ich an dieser Stelle sagen möchte: Das einzig Falsche, was man tun kann, ist, nicht zu helfen.
Ekeln dich bestimmte Dinge? Und wurde dir schon einmal am Einsatzort übel?
Viele Patienten liegen im eigenen Erbrochenen und den eigenen Exkrementen, das sieht man wöchentlich und macht einem nichts mehr aus. Was schon so etwas ist, was mich noch ekelt, ist „Miserere“, also wenn einer seine Exkremente erbricht. Bei diesen Leuten kommt oben und unten oft das Gleiche raus, und das ekelt mich bis heute. Ich weiß auch von einigen Kollegen, denen schlecht geworden ist. Ein Einsatz, der mir im Gedächtnis geblieben ist, war ein Mordfall vor ein paar Jahren. Der Sanitäter, der damals mit dem Notarzt zum Tatort gerufen wurde, hatte noch nicht ganz so viel gesehen. Dann ist es natürlich umso krasser, wenn du in einer dunklen Wohnung einen Mann findest, der durch unzählige Messerstiche verblutet ist. Der war kreidebleich, als er zurück in die Dienststelle kam.
Was hast du bei deinem ersten Toten gefühlt?
Meinen ersten Toten hatte ich gleich bei meinem ersten Reanimationsversuch. Ich bin hingekommen und war extrem aufgeregt. In den ersten Einsätzen sind die Nerven immer zum Zerreißen gespannt. Egal, wie viel Ausbildung man hinter sich hat, man ist im Grunde nie auf die Realität vorbereitet. Im alltäglichen Leben hat man ja kaum einmal mit solchen Krisen- bzw. Notsituationen zu tun, als Sanitäter dann andauernd. Es ist aber erstaunlich, wie schnell man abhärtet. Mich berührt nicht mehr jeder Tote. Mich berühren Tote vielleicht noch, wenn sie relativ jung sind, aber jemand, der mit 95 stirbt, hinterlässt bei mir kaum mehr Spuren.
Welche Einsätze sind dir dennoch besonders im Gedächtnis geblieben? Gibt es Todesfälle, die dich nicht mehr loslassen?
Einer meiner prägendsten Einsätze war sicherlich im November 2016. Damals ist eine Gruppe junger Leute verunglückt. Die waren nach einem Törggele-Abend auf dem Weg nach Hause und im Konvoi unterwegs. Der vordere Wagen hat dann gebremst, um auf eine Brücke einzubiegen, was die Fahrerin des hinteren Wagens zu spät bemerkt hat. Sie ist ausgewichen, und das Auto ist in den Bach gestürzt und im Flussbett auf dem Dach liegen geblieben. Die Fahrerin und der, der direkt hinter ihr saß, sind gestorben, einer war leicht verletzt und einer schwer. Wir haben dann den Schwerverletzten versorgt. Das Tragische war, dass die, die gestorben sind, nicht durch den Aufprall umgekommen, sondern im Fluss ertrunken sind. Wären sie nur ein paar Meter weiter auf den Steinen des Flussbetts gelandet, wären sie wahrscheinlich alle mit einer Gehirnerschütterung davongekommen. Aber dann gibt es wieder die schönen Momente. Zum Beispiel, wenn du Leute durch Reanimation ins Leben zurückholst. Das entschädigt mich für jeden Rückschlag.
Gibt es auch die, die der Job psychisch fertiggemacht hat?
Die seelische Belastung ist natürlich ein stetiger Begleiter. Deswegen gibt es für uns Sanitäter immer die Möglichkeit einer psychotherapeutischen Unterstützung. Aber die herauszufiltern, die der Job psychisch zu stark belastet, ist nicht immer ganz einfach. Ich kenne zum Glück keinen, der daran zerbrochen ist, aber es gibt auch in Bozen sicher solche, die es nicht ausgehalten haben. Man muss sich vor jedem Einsatz auf die kommende Krisensituation einstellen. Wenn man das nicht tut, kann es einen häufig unerwartet hart treffen.
Von älteren Menschen heißt es ja manchmal, dass sie die Rettung nicht rufen, weil sie „keine Umstände machen“ wollen. Rufen jüngere Menschen tatsächlich schneller die Rettung als ältere?
Das würde ich tatsächlich nicht am Alter festmachen. Was mir aber tatsächlich aufgefallen ist, ist, dass die Leute im ländlichen Bereich seltener die Rettung rufen und sie teils auch einfach zu spät anfordern. Beispiel: Zu uns ist mal ein Mann in die Notaufnahme gekommen, der zehn Handtücher um die Hand gewickelt hatte und meinte, er hätte sich ein wenig geschnitten. Er hätte probiert, es selber zu kleben, aber es würde immer weiterbluten. Effektiv hatte der dann eine richtig tiefe Schnittwunde an der Hand, die genäht werden musste. Der war dann auch ein paar Tage im Krankenhaus. Die Leute auf dem Land rufen im Schnitt seltener an, in der Stadt hingegen werden sie ziemlich schnell hysterisch.
Wenn es mal nicht so viel zu tun gibt, sitzt man ja die ganze Nacht zusammen. Gibt es in der Dienststelle auch Flirts und oft sogar etwas mehr?
Ja, die gibt es mitunter schon. Ich persönlich habe meine Freundin ja auch über die Rettung kennengelernt. Und ob es zu mehr kommt? Ich würde sagen, die Schichten sind tatsächlich oft lang (grinst). Aber meist lernt man sich nur dort kennen und der Rest passiert dann im Privaten.
*Name geändert
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