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„Probier mal“, sagt André Hofer und streckt mir eine Hand voll hellbrauner Gerstenkörner entgegen. Dann knackt es laut zwischen meinen Zähnen, die Schoten brechen auf und es schmeckt nussig in meinem Mund. „Das ist Gerstenmalz. Neben Wasser und Hopfen eine der Grundzutaten für Bier“, erklärt er. Wusste ich schon, und das obwohl ich reichlich wenig vom Bierbrauen verstehe. Als leidenschaftliche Biertrinkerin wird es nun aber doch endlich Zeit, sich die Sache genauer anzusehen.
In seinem Zuhause in Lana schmeißt Matthias Moser zusammen mit seinem Kumpel André Hofer seit Anfang des Jahres alle paar Wochen den Braukessel an. Zwischen hauseigenem Garten und Keller tüfteln sie an den richtigen Gerstenkombinationen. Was dabei rauskommt, sind Biere mit Rosmarin, Kandiszucker, Orangen oder eben ein ganz normales Helles. „MattAn Craft Beer“ nennen sich die beiden Heimbrauer. Der Zusatz Craft Beer bedeutet dabei nichts anderes als handwerklich gemachtes Bier einer Kleinbrauerei, das nicht filtriert oder pasteurisiert ist. Ein Bier, bei dem Experimentieren mehr als erlaubt ist. Neben verschiedenen Hopfen-, Hefen-, und Getreidearten wird auch viel mit Gewürzen, Kräutern und Früchten ausprobiert. „Solange es gesundheitsverträglich ist, gibt es beim Craft Beer keine Regeln“, erklären sie.
Während ich weiter die Schoten kaue, bereiten die Heimbrauer die Gerste vor, die gleich zu Bier verbraut wird. Das Rezept für den heutigen Braugang hat André mitgebracht. Er diktiert Matthias die Mengen der einzelnen Gerstensorten. Der wiegt sie ab und wirft sie in einen großen, hellblauen Eimer. Matthias wiederholt, was kurz vorher in meinem Mund passiert ist: Das Getreide wird mit der Kraft eines Akkubohrers durch ein Gerät getrieben, das die Körner schrotet, also zusammenquetscht.
„Durch das Schroten werden die Spelze vom inneren Korn getrennt. Nur so können sie anschließend verzuckern“, erklärt Matthias, der in einer Wolke aus Gerstenstaub verschwindet. Das, was die Heimbrauer verschroten, ist Gerstenmalz. So wird das Getreide genannt, das im Rohzustand in einem kontrollierten Keimvorgang dazu gebracht wird, ein Enzym zu bilden. Das wird später für den Stärke- und Eiweißabbau beim Bierbrauen gebraucht. Nach der Keimung wird dieses Gerstenmalz gedarrt, also getrocknet. Das verleiht ihm den typischen Eigengeschmack, der an Röstaromen erinnert. In großen Säcken liegt das Gerstenmalz jetzt in Matthias Mosers Keller. „Je höher der Alkoholgehalt sein soll, desto mehr Gerste sollte man verwenden“, erklärt der Hausherr und hält mir eine weitere Hand voll Getreide entgegen. Diesmal ist es ganz dunkel, was für eine intensivere Darrung spricht. Kurz zerkaut, schmeckt dieses Gerstenmalz in etwa so, als würde man auf Rauch beißen.
Das Bier, das heute gebraut werden soll, trägt den Namen „Mint goes Barfuss“. Bereits das 13. Mal werfen die Heimbrauer ihren Braukessel an. Nachdem sie vor einem knappen halben Jahr gemeinsam den Bierexperten-Lehrgang im Batzen Bräu in Bozen absolviert hatten, beschlossen sie, ihr Brauglück das erste Mal gemeinsam zu versuchen. Stichtag war der Valentinstag diesen Jahres. So wie damals erhitzen sie auch heute 23 Liter Wasser im Kessel und schütten das Getreide dazu. „Das nennt man einmaischen“ erklärt André und fächert mit seiner rechten Hand den Rauch, der aus dem Kessel kommt, in meine Richtung. Es riecht nach frischem Brot.
Bei 57° Celsius startet nun der eigentliche Braugang. Die beiden blicken in den Sud, ihre anfängliche Nervosität scheint langsam zu sinken. Laut Rezept, dem sogenannten Maischplan, muss der Sud aus Getreide und Wasser nun auf 64° Celsius erhitzt werden und für 40 Minuten auf dieser Temperatur bleiben. Durch dieses sogenannte Rasten fangen die Enzyme im Getreide an, zu arbeiten. Die Stärke löst sich. Genug Zeit, um das erste Bier zu verkosten.
„MattAn Helles“ zischt laut beim Öffnen der Flasche und fließt mit schöner Schaumkrone in mein Glas, das das Logo der jungen Heimbrauer trägt. „MattAn Craft Beer – Uan’s trikm’r no!“ steht darauf geschrieben. Der erste Schluck verwundert mich, denn es schmeckt besser als gekauftes Bier. Zum eigenen Hellen serviert Matthias Käse aus dem Nonstal. „Wenn wir warten, füllen wir normalerweise das Bier des letzten Brauganges ab“, sagt André und rührt die Maische um.
Nach 40 Minuten folgt die zweite Rast. Nun muss das Bier 25 Minuten auf 72° Celsius gehalten werden. Das zweite Bier wird geöffnet. Diesmal eines, dem die Heimbrauer Kandiszucker hinzugefügt haben. Es zischt erneut und in einem glänzenden Bernsteinton fließt das Bier ins rundliche Glas. „Beim Verkosten achtet man auf die Spritzigkeit, den Schaum, die Farbe, den Geruch, die verschiedenen Aromen und den Geschmack“, erklärt Matthias. Beide schwenken ihr Glas. Ich mache ich es ihnen nach und rieche am Glas. André erkennt eine tropische Note. Matthias riecht Ananas und Pampelmuse. Dann folgt der erste Schluck. Angenehm bitter prickelt das Bier im Mund, im Nachgeschmack ist es süßlicher als das erste. „Das kommt vom Kandiszucker“, meint Matthias. „Summa summarum ein gutes, angenehmes, leicht herbes Bierchen“, ergänzt André und nimmt noch einen Schluck.
Immer wieder kontrollieren die Heimbrauer Zeit und Temperatur und leiten schließlich die letzte Rast ein. Fünf Minuten bei 78° Celsius. Dann folgt die Jodprobe. Ein kleiner Schluck Bier wird herausgenommen, ihm werden zwei Tropfen einer pechschwarzen Jod-Lösung hinzugefügt. Wenn sich die dunkle Flüssigkeit im Bier auflöst, spricht das für eine positive Probe. Damit ist genug Zucker im Sud enthalten – die Basis für das fertige Bier. „Nun können wir Abmaischen“, ist Matthias zufrieden und öffnet das Ventil an der unteren Seite des Kessels, um den Sud durch einen Sieb in den Eimer fließen zu lassen.
Von nun an spricht man beim Sud von der Würze. Die darf eine Läuterruhe genießen, bevor sie wieder in den Kessel geschüttet wird. Erneut meint André: „Probier mal“ und hält mir ein Glas voll orange-brauner Würze entgegen. Vom Aussehen her erinnert sie mich an Apfelsaft. Im Mund schmeckt sie nicht anders als Zuckerwasser. Nach dem Umschütten wird die Würze auf 100° Celsius erhitzt. Dann muss sie 90 Minuten lang kochen. Diese Zeit nutzt André, um den Hopfen zu wiegen. Der ist in kleine Pellets gepresst und riecht stark nach Zitrone und Hanf. „Hopfen ist ein Hanfgewächs“, erklärt André. „Es gibt zwei Sorten: den Bitter-Hopfen und den Aroma-Hopfen.“ Ersterer sorgt für die Haltbarkeit des Bieres und die Schaumstabilität. Der Aroma-Hopfen verleiht dem Bier seinen Geschmack. Ihn sollte man nur die letzten paar Minuten mitkochen, damit das Aroma nicht verloren geht. Nach dem Wasser ist der Hopfen eine der wichtigsten Zutaten für ein gutes Bier. Nicht das Aufkochen allein macht die Würze nämlich steril, sondern auch der Hopfen.
Nun folgt die längste Wartezeit. Die beiden Brauer nutzen sie, um mir ein drittes Bier aus ihrem Sortiment zu präsentieren. „Jetzt folgt mein Lieblingsbier, das Drei Hopfen Böckl“, meint André. „Es hat malzige Aromen, schmeckt nach Johannisbeere und Brombeere, ist spritzig und nicht zu schal. Zum Wohl!“
Was ihm am Bierbrauen am besten gefällt? „Das Resultat natürlich“, lacht der Dorf Tiroler. „Nein, eigentlich alles, vor allem aber die Arbeit und das gesellige Zusammensein beim Brauen.“ André erzählt von den Anfängen des Bieres um 6.000 v. Chr. in Mesopotamien, davon, dass Bierbrauen früher Frauensache war und natürlich von den berühmten Klosterbrauereien. „Statt des Hopfens hat man früher Rosmarin, Schafgarbe oder Bilsenkraut verwendet. Sogar Fliegenpilze hat man ins Bier gemischt“, erzählt André. Weil so viel gepanscht wurde, hätten viele Leute den Biergenuss mit dem Leben bezahlt. Aus diesem Grund wurde 1516 das Reinheitsgebot eingeführt, das die Grundzutaten eines Bieres gesetzlich regelte.
Mit dem Craft Beer wird diese Regelung außer Kraft gesetzt – experimentieren ist hier erlaubt. Deshalb wird auch heute in den letzten fünf Minuten des Kochvorgangs nicht nur der Aromahopfen dazugegeben, sondern auch etwas vom Melissensaft von Andrés Mama.
Das Bierbrauen ist für die Heimbrauer schon zum Ritual geworden, jeder kennt die Abläufe genau. Am Ende wird die Würze noch einmal abgesiebt. „Der Unterschied zu den großen Brauereien ist, dass wir unser Bier jetzt nicht filtrieren. So ist es zwar nur ein halbes Jahr haltbar, aber dafür umso gesünder“, meint Matthias. Für die anschließende Gärung muss das Bier mit einem Durchlaufkühler abgekühlt werden. Wie kühl das Gebräu sein muss, wenn es in den Gärbottich kommt, hängt von der Hefe ab, die anschließend hinzugefügt wird. Für untergärige Hefe muss die Würze stärker gekühlt werden, für obergärige schwächer. „Die Hefebakterien fressen den Zucker und scheiden Alkohol und CO2 wieder aus“, erklärt André.
Das heutige Bier ist obergärig. Daher wird die Würze auf 20° Celsius abgekühlt und in den Gärbottich aus weißem Plastik geschüttet. „Wenn die Flüssigkeit brodelt, gärt sie“, erklärt Matthias. Um „Mint goes Barfuss“ zu vollenden, wird in Stoff gewickelte frische Minze aus Matthias’ Kräutergarten mit in den Gärbottich gehängt.
Nach fünf bis sieben Tagen ist das Bier fertig. Dann wird es mit etwas Zucker in die Flaschen gefüllt. Diese Technik nennt man Karbonisieren. Sie dient dazu, eine Zweitgärung in der Flasche einzuleiten. Nach dem Abfüllen müssen sie die Reifezeit abwarten, bis sie die erste Flasche öffnen dürfen. In sieben bis acht Wochen sollte der Braugang bereit zum Verkosten sein. „Dann schmeckt es erst wirklich nach Bier“, meint Matthias.
Im Herbst starten die Heimbrauer die Ausbildung zum Biersommelier. Bis dahin sollte auch ihr neuer Braukessel bereit sein. „Dann folgen einige Versuche mit verschiedenen Kräutern und Gewürzen – und dann hoffentlich bald unser erstes eigenes Rezept“, sagt André.
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