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1,70 Meter, 64 Kilogramm, Maße 100-75-95. Damit zählt Melanie Fischnaller bei manchen Agenturen als Plus Size Model – eine Tatsache, die die 20-Jährige manchmal zum Nachdenken bringt. Heute ist die Brixnerin seit fünf Uhr morgens auf den Beinen und gerade mitten drin in den Vorbereitungen für ein aufwändiges Fotoshooting. Make-up, Nägel feilen, lackieren, polieren. Und alles für ein einziges Foto für eine Werbekampagne einer Firma für Nagelrekonstruktionen.
Später auf dem Foto wird man Melanie nicht ansehen, wie anstrengend und aufwändig die Vorbereitung war. Wie immer. Sie ist professionell, auch wenn sie nur hobbymäßig modelt. Auf dem Laufsteg und für Fotoshootings. Melanie modelte bereits für Marken wie Bonita, Mirou oder Wella und steht auch bei vielen Workshops Modell. Mal ist ihre Natürlichkeit gefragt, mal bekommt sie ein extrem aufwändiges Make-up, wie vor drei Wochen, als sie für ein Fotoshooting ganze vier Stunden in der Maske saß. In Sardinien hatte sie ein extremes Fotoshooting auf Felsen und im Wasser. Einige Posen waren sehr anstrengend, teilweise war ihr Kopf längere Zeit halb im Wasser, das Liegen in Felsklüften oder zwischen Seeigeln war alles andere als bequem. Später auf dem Foto sieht man davon nichts. Alltag im Leben als Model. „Mich fasziniert vor allem, dass die Arbeit so abwechslungsreich ist“, sagt Melanie.
Melanie ist kein Magermodel und keine 1,80 Meter groß. Für manche Jobs gilt sie als zu dick, für manche zu klein. Viele große Agenturen stecken sie in die Schublade „Übergröße“. Für die anderen ist sie ein „Curvy Model” zwischen dem Normalo-Model und Übergrößen-Model. „Es hängt davon ab, für wen man modelt“, erklärt Melanie. Bei Shootings für Frauen ab 30 etwa gelte sie noch nicht als Übergrößenmodel. Bei großen Agenturen in Deutschland falle sie aber in diese Kategorie. Ab deutscher Größe 38 gilt eine Frau nämlich bereits als Plus Size Model. Melanie hat es als normalgewichtige Frau in der Modewelt oft schwer. „Ich repräsentiere die reale Frau. In der Modewelt gibt es aber fast nur nur zwei Extreme”, sagt sie. „Frauen über 1,80 Meter mit nicht viel mehr als 40 Kilo oder Frauen, die dann schon 150 Kilo wiegen.”
„Junge Mädchen sollen merken, dass es nicht nur dünn gibt. Das ist nicht der Maßstab schlechthin.“
Die vielen Anfragen und Aufträge bestätigen Melanie, auch wenn sie anfangs nicht damit gerechnet hat, so gut anzukommen. Viele Fotografen würden wieder mehr nach „normalen” Frauen suchen und nicht nach Idealbildern. Sie shooten gerne mit der 20-Jährigen, der es sehr wichtig ist, ein Vorbild zu sein. „Junge Mädchen sollen merken, dass es nicht nur dünn gibt. Das ist nicht der Maßstab schlechthin.“
Die Magermodels verändern das Idealbild von jungen Mädchen. Viele wollen so dünn sein wie die Models in Magazinen und im Fernsehen. Immer wieder stehen Fernsehsendungen wie „Germany’s Next Topmodel“ in der Kritik, Magermodels zu fördern. Und obwohl in Frankreich Ende 2015 Magermodels offiziell verboten wurden – Models müssen nun einen BMI über 19 haben – halten sich noch nicht alle Designer daran und weiter sind die Magermodels „im Trend.“ Auch Melanie wurde von den Medien beeinflusst und hat manchmal an sich gezweifelt. Vor allem als sie noch zur Schule ging. „Aber auch heute denke ich manchmal, ob ich mehr Aufträge bekommen würde, wenn ich dünner wäre. Solche Fragen stellt man sich“, gibt Melanie zu. „Aber ich kriege so viel positiven Zuspruch und stehe zu mir und meiner Figur.“
Die Brixnerin geht ins Fitnessstudio und ernährt sich gesund, aber alles was darüber hinaus geht, sei ihrer Meinung nach zu viel. Bei ihren Aufträgen als Model ist der Magerwahn ständig präsent. Nicht so sehr hier in Südtirol, sagt sie, aber außerhalb. „In Mailand haben mir Kolleginnen erzählt, dass sie gesehen haben, wie Mädchen Watte in Wasser tränken und schlucken, damit der Körper das Gefühl hat, gegessen zu haben“, sagt sie. Für die passionierte Hobbyköchin käme so etwas nie in Frage. Sie liebt die mediterrane Küche und kocht gerne für Familie und Freunde. Ihr Lieblingsgericht ist ein Gericht von Oma: „Spinattorte – übereinander geschichtete Omeletten mit Spinatfüllung.“ Melanie lächelt.
Den Magertrend spüre Melanie auch daran, dass sie sehr viele Anfragen für Dessous bekomme. Da ist der kurvige Typ gefragt. Aber das sei nichts für sie. „Ich habe öfters darüber nachgedacht, aber ich finde, das wäre nicht mit meiner Arbeit vereinbar, wenn bestimmte Fotos im Internet auftauchen“, sagt Melanie, die im Herbst ihr Psychologiestudium beginnen will. Sie ist in das Modelleben hineingerutscht. Dass sie modelt, verdankt sie einem Freund, der sie vor zwei Jahren zu einem Shooting überredet hat. Die Fotos landeten auf Facebook und ab diesem Zeitpunkt kamen immer mehr Anfragen. Anfangs von Bekannten, dann von Fotografen aus ganz Südtirol. Nach einem Jahr modelte Melanie schließlich auch in Trient, Verona, Innsbruck, aber auch in Deutschland, Österreich, Spanien und Sardinien. Ein guter Nebenverdienst – vor allem als Hostess, Laufstegmodel oder als Hairmodel verdiene man gut. Die Bezahlung in Südtirol sei aber eher mangelhaft, gesteht Melanie.
„Je größer das Label, desto unpersönlicher und desto größer die Castings.“
„Solange ich Aufträge habe, bin ich froh darüber und ich schätze mich auch glücklich, aber ich weiß, dass ich es irgendwann nicht mehr machen kann.“ Zurzeit studiert Melanie Sprachen und Literatur an der Universität Verona, ab Herbst dann Psychologie. Sie arbeitet auch als Barista und hat ihre Ausbildung zur Masseurin abgeschlossen. Ihr Alltag ist durchgeplant. „Die meisten, denen ich erzähle, was ich so mache, sagen: so viel?“ Melanie lacht. „Aber wenn man alles mit Herz macht, klappt es immer, alles unter einen Hut zu bringen“, sagt die junge Frau. Man müsse eben organisiert sein.
Und so wählt Melanie alle Modelaufträge sorgfältig aus. Manchmal hat sie fast jeden Tag einen Auftrag, manchmal eben nur zwei pro Monat. Lieber arbeitet sie für kleine Labels. „Je größer das Label, desto unpersönlicher und desto größer die Castings“, weiß die junge Frau. Bei einem Casting für Hairmodels stand sie neben 50 Mädchen in einer Reihe. Die Haare eines jeden Mädchens wurden für wenige Sekunden begutachtet, dann kam ein Ja oder Nein. Als Model muss man sich ein dickes Fell zulegen und darf nicht jede Absage persönlich nehmen.
Als Kind wollte Melanie mehr hinter als vor der Kamera stehen. Fotografin war einer ihrer Traumberufe. Bis heute begleitet sie die Fotografie. Privat hat sie immer ihre Kamera dabei, vor allem bei ihren vielen Reisen.
Im Sommer geht sie gerne Windsurfen auf dem Gardasee oder in Sardinien, wo sie seit Kindestagen an zusammen mit ihrer Familie Urlaub macht. „Mein Papi hat uns schon mit drei, vier Jahren auf ein Surfbrett gestellt“, sagt sie und lacht. Ihre Reisen verbindet sie immer mit einigen Modeljobs. Die Anfragen kommen über eine Agentur aus Trient, mit der Melanie viel zusammenarbeitet oder über Facebook. Wie die für den heutigen Job als Handmodel für die Nagelfirma. Allein für die Nägel wird Melanie insgesamt sieben Stunden stillsitzen. Und das nur für eine Hand. Ohne Geduld geht eben nichts, im Modellbusiness.
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