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Wer nach Matthias Prieth googelt, möchte meinen, dass es gleich mehrere mit seinem Namen gibt. Ein Matthias Prieth tourt als Sänger und Songwriter durchs Land, ein anderer Matthias Prieth rüttelt die Öffentlichkeit mit seinen gesellschaftskritischen Kunstinstallationen auf und noch einer vermarktet an der Schnittstelle zwischen Kunst und Handwerk hochwertige Design-Objekte, von einzelnen Möbelstücken zu kompletten Inneneinrichtungen.
Hinter all diesen Figuren verbirgt sich derselbe Mensch. Ein Mann Mitte Dreißig, der unter seinem Rauschebart einen roten Foulard mit einem selbstgewebten Woll-Jangger und viel zu weiten Opa-Hosen kombiniert. „Ich mache Dinge“, sagt Prieth, wenn man ihn nach seinen Tätigkeiten fragt. Allen anderen gilt er vor allem als Künstler, manchmal schrullig, manchmal genial, im ländlich-konservativen Südtirol jedenfalls immer wieder auch mit einer gewissen Skepsis beäugt.
Erst in Vernuer, einem entlegenen Weiler am steilen Westhang des Passseiertals, war die Reaktion eine andere, als er sich Anfang 2020, kurz vor dem ersten harten Lockdown, gemeinsam mit seiner Frau Katrin und seiner Tochter Paula in der ehemaligen Lehrerwohnung im Gemeindehaus einquartierte. „Wos, du bisch Künstler? Na, bärig!“ sagten die Alteingesessenen. Und verzichteten auf alle weitere Fragen nach einem „richtigen Beruf“.
Diese Offenheit mag auch an Prieths Vorgänger gelegen haben, der hier wohl Vorarbeit geleistet hat. Anfang der 70er Jahre lebte der legendäre Dichter, Alkoholiker und Grundschullehrer Norbert C. Kaser innerhalb derselben Mauern, die Prieths Tochter Paula nun mit ihren bunten Kinderzeichnungen behangen hat. Ob auch Kaser hier vor einem Glas Wein am Küchentisch saß und Ende September beobachtete, wie vor dem Fenster hunderte Schwalben vorbeischossen? „Sie sammeln sich jetzt, um dann gemeinsam gegen Süden zu ziehen“, erklärt Prieth das Naturschauspiel.
Matthias Prieth ist die vielen Kompromisse satt, die wir täglich eingehen, ob in der Politik oder in unserem Privatleben, wenn es um Umweltschutz und ein faires und nachhaltiges Leben geht.
Wie die Vögel vor seinem Fenster, ist auch er in Aufbruchsstimmung. Erst kürzlich hat Prieth einige Projekte abgeschlossen, nun stehen neue an. Das letzte, mit dem er landesweit für Aufmerksamkeit gesorgt hat, ist ein menschenhohes Fragezeichen aus Müll, den er entlang der Passer auf seinem Weg zur Arbeit mit dem Rad aufgesammelt hatte. Eine halbe Tonne Müll hinterlässt jeder von uns im Durchschnitt pro Jahr. Und viel davon landet in der freien Natur. Wer ist für diesen Müll verantwortlich? Und was tun wir, um die Müllentstehung zu reduzieren? Solche unangenehmen Fragen hat Prieth mit seinem Projekt in Meran mitten in den öffentlichen Raum gestellt.
Als nächstes will Prieth nicht nur Fragen, sondern mögliche Antworten liefern. Dafür plant er, mit einem Gefährt unter dem Banner „Agrarwender/in“ mehrere Länder zu bereisen und dort visionäre Landwirte aufzusuchen, die neue und nachhaltige Wege der Lebensmittelproduktion beschreiten. Diese Pioniere will er dann in einer Porträtreihe abfotografieren und als die eigentlichen Treiber der sogenannten Agrarwende vorstellen. „Ich will nicht nur kritisieren, sondern auch zeigen, wie es anders gehen kann. Und vor allem dürfen wir nicht nur bei leeren Worthülsen bleiben, sondern müssen endlich zu Taten übergehen“, sagt Matthias Prieth.
Auch sein langsames und überlegtes Sprechen täuscht nicht darüber hinweg, dass da etwas am Brodeln ist. Matthias Prieth ist die vielen Kompromisse satt, die wir täglich eingehen, ob in der Politik oder in unserem Privatleben, wenn es um Umweltschutz und einen fairen und nachhaltigen Lebensstil geht. Selbst die verpackungsfreien Lebensmittel seien oft genug eine Mogelpackung. „Neulich war ich bei einem Bauern, der einen solchen verpackungsfreien Supermarkt beliefert. Die Einweckgläser, in denen man die Lebensmittel dann mit nach Hause nimmt, werden aber zunächst selbst mit Plastik verpackt. Diese Verpackung produziert fast genauso viel Plastikmüll, als hätte man das Produkt gleich verpackt gekauft.“
Bis in die 70er Jahre gab es nach Vernuer keine asphaltierte Straße, wer ins Tal musste, verließ sich auf gutes Schuhwerk.
Seine Antwort darauf: „Wir müssen radikaler werden.“ So bedächtig ausgesprochen, wie bei Prieth, klingt das Wort „radikal“ nicht einmal beängstigend, eher als wohlüberlegter Weckruf. Er selbst verzichte schon seit Jahren aufs Fliegen, auch wenn er von den endlosen Wäldern im Norden Kanadas träumt. „Aber soll ich, um mich an dieser wunderbaren Natur aufzugeilen, sie zugleich mit Luftverschmutzung und CO2-Emissionen zerstören? Das wäre doch absurd!“
Trotzdem ist da der Alltag. Der abgelegene Standort in Vernuer. Die Tochter, die zum Kindergarten in Meran muss. Die Arbeitsaufträge und Kunstprojekte im ganzen Land. Dann ertappt sich Matthias Prieth wieder dabei, in sein Auto zu steigen und den Motor zu starten. Es sei eben doch manchmal notwendig – nein, bequemer. Denn was ist schon notwendig? Bis in die 70er Jahre gab es nach Vernuer keine asphaltierte Straße, wer ins Tal musste, verließ sich auf gutes Schuhwerk und schlug den Versorgungsweg ein, der etwa 800 Höhenmeter hinab ins Tal führte.
„Ob die Menschen deshalb unglücklicher waren?“ fragt Matthias Prieth. Dass das Streben nach Glück und das Streben nach Komfort wirklich dasselbe sind, daran zweifelt er. In einem sechsmonatigen Versuch, der politischer Akt und persönliche Suche zugleich sein soll, will er es endgültig herausfinden. In nächster Zukunft, vielleicht schon im Frühjahr, will er seinen Lebensmittelpunkt in eine Jurte auf dem Grundstück eines befreundeten Bauern versetzen. Es soll ein Leben sein im Einklang mit der Natur. Ohne Gasheizung. Ohne Müll. Und ohne ökologischen Fußabdruck.
Anders als die Politik will der Aktionskünstler nicht bis 2040 oder 2050 warten, sondern will schon in fünf Jahren ganz ohne Verbrennungsmotoren leben.
Ob das wirklich gelingen wird, weiß der Aktionskünstler selbst noch nicht. Aber einen Versuch sei es doch wert. Eines ist dabei sicher: Anders als die Politik will er nicht bis 2040 oder 2050 warten, sondern will schon in fünf Jahren ganz ohne Verbrennungsmotoren leben. Alternative Transportmittel, die für ihn infrage kommen, sind das Fahrrad oder ein Pferd, das, wie seine sieben Legehennen, natürlich artgerecht gehalten werden soll.
Ein offenes Fragezeichen ist schließlich auch die Familie. Ist ein absolut nachhaltiger Lebensstil mit den Kompromissen, die man in einem Zusammenleben zwangsläufig schließen muss, heute noch vereinbar? Katrin, das hat sie klargestellt, möchte jedenfalls nicht in eine Jurte ziehen. Auch die Heimat Südtirol würde sie ungern verlassen. Für Matthias Prieth steht dieses Südtirol hingegen für Gier und Turbokapitalismus. „Unsere Heimat wurde zwei Mal verkauft“, sagt er dazu nur, „zuerst unter Zwang an die Faschisten, danach gegen Geld an die Touristen.“
Vielleicht liegt das Problem aber nicht nur an Südtirol, auch nicht am materialistischen Westen, gesteht Prieth, der aus ökologischen Gründen noch nie außerhalb Europas war, am Ende doch ein. Gehören Gier und Besitzdenken nicht irgendwie auch zur Natur des Menschen – oder zumindest zur Natur des sesshaften Menschen?
Seit dem Abschied vom Nomadentum habe der Mensch angefangen, sich die Welt zu unterwerfen, seinen Besitz bis ins Maßlose zu vermehren. Der Ursprung so vielen Übels, der Vernichtungskriege und der heutigen Umweltzerstörung. „Ja, vielleicht ist das eigentliche Problem die Sesshaftigkeit. Das ist ein Gedanke, der mich in letzter Zeit beschäftigt“, sagt Matthias Prieth und wirft einen Blick aus dem Fenster. Dort ist es jetzt ruhig geworden, der Himmel strahlend blau. Die Schwalben sind schon auf und davon.
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