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Tische haben in diesen vier Wänden schon lange nicht mehr die Funktion als solche – sie dienen in angepasster und umgebauter Form als kunstvolle Klangobjekte. Schlüssel, Rohre, Öl- und Weinfässer, ja sogar Sauerstoffflaschen aus dem Krankenhaus werden in Max Castlungers Werkstatt zweckentfremdet zu Steels and Drums, gestimmten und verstärkten Plastikrohren oder spielbaren Cajonstühlen. In einem ehemaligen Stall, gleich neben seiner Wohnung in einem alten Siebeneicher Ansitz, findet man sich in einer musikalischen Fundgrube an selbstgebauten Instrumente sowie Musikinstrumenten aus aller Welt wieder. „Upcycling Music“ nennt der gebürtige Gadertaler, der schon als Ethno-Trommler für große europäische Konzerthäuser und mit Herbert Pixner on Tour war, sein Herzensprojekt. Außerdem spielt er in mehreren Ensembles und Bands und vermittelt Kindern seit über zwei Jahrzehnten seine Leidenschaft für die Musik.
Vom Klarinettenspieler zum musikalischen Allrounder
Es ist die klassische Klarinette, mit der Max Castlunger den Schritt in die Welt der Musik macht. 11 Jahre lang musiziert der Sohn eines Musikers und einer Kindergärtnerin in der Musikkapelle in seinem Heimatdorf St. Martin in Thurn – nach Noten versteht sich. Dass jemand wie er, der vom künstlerischen Feuer lebt und zehrt, nach strikten Angaben spielt, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Mit 17 Jahren kommt er erstmals mit tunesischen Trommeln in Berührung – und spürt auf Anhieb, wie anders, wie befreiend es für ihn ist, einfach loszuspielen und sich vom Rhythmus treiben zu lassen. Musik wird für ihn zum Lebensgefühl, das bis heute anhält.
In Bologna, wo er sich an der Fakultät für Fremdsprachen und Literatur einschreibt, probiert und tobt er sich musikalisch aus – und spielt sogar in der italienweit bekannten „Andrea Mingardi and Rosso Blues Brothers Band“ mit. Zum ersten Mal kommt er überhaupt auf die Idee, dass er mit Musik auch seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Seine Reise führt ihn für zwei Monate nach Indien, wo Max klassische Musik an einer Musikschule studiert. Mit dem Land fühlt er sich bis heute besonders verbunden, erzählt er, und die Musik wirke auf ihn entspannend, heilend und kraftvoll. Doch nach wie vor ist es vor allem das Spiel mit Percussion-Instrumenten, das Max im wahrsten Sinne des Wortes bewegt.
Sein Vater, der selbst jahrzehntelang volkstümliche Musik gespielt hat, ist zunächst wenig begeistert von dieser neuen, experimentellen Richtung, die Max einschlägt. „Mittlerweile ist er aber sehr stolz auf mich“, schmunzelt Max, barfuß sitzend auf seinem Sofa.
Die Musik im Koffer
Seit über 20 Jahren nimmt er von seinen Reisen die für ihn wohl schönsten Andenken mit: Musikinstrumente. Seine Aufenthalte in anderen Ländern inspirieren Max – vor allem deshalb, weil er sich anderswo eigentlich nie als Tourist fühlt, sondern schlichtweg als Musiker, der mit anderen Musiker:innen zusammenkommt. Er spricht von einem „Faden, der Musiker:innen weltweit verbindet“. Die traditionelle Musik eines Landes ist das, was ihn interessiert und inspiriert, der Spirit in den Entwicklungsländern berührt ihn besonders: „Dort hat die Musik noch einen ganz anderen Stellenwert. Sie ist die Sprache der Götter und ist durch sie mit dem Übernatürlichen verbunden.“
Wenn Max über die Musik spricht, über das Leben und die Liebe – drei Dinge, die für ihn unweigerlich zusammengehören – dann funkelt die Leidenschaft in seinen Augen. Kein Wunder, dass er viele Menschen mit seinem Tun begeistert.
„Musik ist Medizin für uns Menschen.“
Positive vibes
Seit zwölf Jahren lebt Max Castlunger mittlerweile in Siebeneich. Seine Wohnung ist – wie seine Musik – Ausdruck seines Selbst. Überall stehen – wie könnte es anders sein – Instrumente herum, Andenken aus aller Welt, bunte Ethno-Tücher und CDs on masse. Perserteppiche säumen den Boden des geräumigen Wohnzimmers und ein feiner Räucherstäbchen-Duft durchzieht die offenen Räumlichkeiten, in denen der Gadertaler mit seiner Partnerin lebt. „Wir haben hier im Wohnzimmer schon die eine oder andere Fete geschmissen“, lacht er, schweigt über die dazugehörigen Anekdoten und nimmt stattdessen einen tiefen Zug an seiner Zigarette. Der 45-Jährige lässt sich von den positiven Vibes, die ihn umgeben, inspirieren – egal, in welcher Form sie auch auftreten mögen: von Begegnungen mit kreativen Menschen, die etwas schaffen. Von der Natur und der Energie eines Ortes. Von der traditionellen Musik eines Landes. Das Zusammentreffen mit den verschiedenen Weltkulturen und deren traditioneller Musik.
Ausdruck. Energie. Und Leben.
Seine selbst gebauten Instrumente sind geprägt von Materialität, Einfachheit und den daraus resultierenden Klängen – und sie sind inspiriert von traditionellen Instrumenten. Die ersten selbstgemachten Trommeln entstanden bereits vor 12 Jahren – Holztrommeln aus ausgehöhlten Baumstämmen, inspiriert vom Cajon. Max stellt sich in Position und spielt los, denn wie könnten sie sich besser beschreiben lassen, als durch das Zuhören und das Erleben ihres Klanges? „Jede Größe bedeutet eine andere Note“, ruft er zwischen den Trommelschlägen hervor. Von der ersten Sekunde an ist klar: Das Trommeln ist für ihn purer Ausdruck, dadurch kann er seine Extrovertiertheit ausleben. Er wandelt sie um in Energie und Freude, die man ihm vom Scheitel bis zur Sohle ansieht.
Diese Energie fließt auch in jedes seiner Instrumente, die er aus allem möglichen Krimskrams zusammenbastelt. Fündig wird Max vor allem auf dem Wertstoffhof, sehr oft sind es aber auch Gebrauchtgegenstände von Leuten, die nicht mehr wissen, wohin damit. Diese Dinge bringen also auch noch ihre ganz eigene Geschichte mit. Ob diese in das Spiel mit einfließen? Kann gut sein. Jedenfalls laden die Upcycling-Instrumente nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder zum Ausprobieren ein – denn Max Castlunger ist seit fast 25 Jahren für Workshops in Schulen und mit seinen selbstgebauten Werken auch für Ausstellungen unterwegs. Der Multiinstrumentalist bringt Musik also nicht nur auf der Bühne rüber, sondern vermittelt sie vor allem auch im persönlichen Austausch. Spaß mache ihm beides, so Max: „Auftritte stärken natürlich das Selbstbewusstsein und es kann dabei eine extrem tolle Energie mit dem Publikum entstehen. Die Ausstellungen und Workshops tun aber meinem Herzen sehr gut – die didaktische Arbeit mit den Kindern erfüllt mich sehr.“
„Wenn ich mal einige Tage kein Instrument spiele, geht es mir nicht gut.“
Sich vom Rhythmus treiben lassen
Für Max Castlunger bedeutet das Leben an sich Rhythmus. Die Schwingungen des Universums gehen auf uns Menschen über, ist er überzeugt, und wir geben sie wieder zurück. Musik ist Medizin für uns Menschen, sagt er, und es gibt kaum Tage, an denen er nicht auf irgendeinem Instrument spielt. Und wenn, dann gehe es ihm nicht gut, gesteht Max. „Man kann mit Musik sehr viele Pathologien und Sorgen verarbeiten und Gefühle unterstreichen.“ Als sein Bruder stirbt, hilft ihm die Musik dabei, die Lücke zu füllen, die dessen Tod hinterlässt. Während des Gesprächs wird klar: Der stets gut gelaunte Max hat auch mal ernste Momente. „Als junger Mensch hatte ich auch immer wieder Unsicherheiten und auch heute gibt es immer wieder mal schwierige Momente im Leben. Aber ich habe gemerkt, dass wir am Ende mit uns alleine zurechtkommen müssen. Deshalb versuche ich einfach, nicht mehr die Nerven zu verlieren.“ Stattdessen macht er Musik. Lässt sich von seinen Sinnen und seiner Lust und der Liebe am Leben leiten. Taucht in seine Welt der Percussion-Instrumente ein und voller Energie wieder auf und teilt dieses Lebensgefühl mit allen, die seiner Musik lauschen.
Musik für die Ewigkeit
Und so bastelt, baut und musiziert Max Castlunger immer weiter. Seine Zukunftsvision: ein Ort, an dem sich alles um die Musik dreht, an dem seine Musikinstrumente ein gebührendes Zuhause finden, an dem sie alle Interessierten bestaunen und ausprobieren, an dem Kurse und Workshops stattfinden können. Eine Art interaktives Musikzentrum. Ob es dazu eines Tages kommen wird? Wer weiß. Bis dahin kann man Max Castlungers Instrumentensammlung oder seine Klangkunstwerke immer wieder mal auf Ausstellungen bestaunen und ausprobieren, wie im Dezember im Haus der Museen in Olten (Schweiz) oder von April bis Juni 2024 auf Schloss Runkelstein in Bozen. Und natürlich kann man ihm zuhören, wenn er auf der Bühne eins wird mit seiner Musik oder wenn er durch die Straßen zieht mit seinen Trommeln. Einfach dem Rhythmus des Lebens folgend.
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